In Zentralasien – unbekanntes Terrain in Usbekistan (1) – erste Begegnungen
Von Neel Bechtiger
Dienstag 02. September 2024Nur wenige Sätze zu Heute. Ich habe meinen Tag komplett verpeilt. Ich dachte bis vor kurzem noch, wir fliegen erst am Mittwoch. So habe ich meinen Dienst und einen Arzttermin noch darauf ausgerichtet. In der Konsequenz habe ich um 16 Uhr Uniform gegen Flugklamotten getauscht und bin direkt zum Flughafen. Da warteten schon Gubi und Wipf und gemeinsam entledigten wir uns des Gepäcks und besorgten die Boardkarten. Das Logo von Turkish Airlines prangerte auf den beiden die jeder von uns danach in den Händen hielt. Von Zürich nach Istanbul und von Istanbul nach Tashkent.
Mit Turkish fliegt es sich am angenehmsten nach Usbekistan ab der Schweiz. Denn es ist eigentlich die einzige Airline, welche mehrere Flüge am Tag nach Tashkent anbietet. Zudem auch eine der günstigsten Optionen. Und mehre tägliche Flüge als Back-Up zu haben schadet ja nicht wenn man umsteigen muss. Klappt mal etwas nicht, ist man nicht erst einen Tag, sondern maximal ein paar Stunden später am Ziel. Und die Urlaubszeit wollen wir nicht an irgendeinem Flughafen rumsitzen.
Um 20 Uhr rollten wir ungefähr los und der Flug nach Istanbul war entspannt. Der A330 war nicht sehr gut gefüllt, wir hatten alle unsere eigene Sitzreihe und genossen den Flug. Ich begann schonmal damit etwas Schlaf nachzuholen, der war die letzten Tage wegen dem Dienst etwas zu kurz geraten.
20 Uhr war eine Stunde später als geplant, wir sahen unseren Anschluss schon wackeln. Die Umsteigezeit war mit knapp 2h angenehm, abzüglich einer Stunde aber schon sportlich. Für uns, aber auch für das Gepäck. Als dann das Handy im türkischen Netz wieder Internet empfing ploppte aber sogleich die Meldung auf, dass de Anschlussflug auch eine gute Stunde Verspätung haben soll. So war das Polster wieder hergestellt. Und diese Verspätung störte uns überhaupt nicht, denn ob wir jetzt um 7 oder um 8 Uhr in Tashkent landen ist sowas von egal … 8 Uhr ist sogar fast angenehmer. Das Auto hatten wir auf 9 Uhr reserviert, also alles kein Thema bis dahin.
Zum Tageswechsel liefen wir gerade irgendwo durch den Flughafen, auf dem Weg zum neuen Gate. Der Flughafen ist irgendwie riesig und umsteigen für lauffaule stelle ich mir eher mühsam vor – zum Glück sind wir nicht lauf faul :-).
Mittwoch 03. September 2024
Der Flug nach Tashkent war leider nicht so leer wie jener von Zürich nach Istanbul. So gab es keine eigene Reihe für jeden. Aber auch dieser Flug ist mit etwa 4h eigentlich noch in einem sehr angenehmen Rahmen. Kaum abgesessen ist man auch schon wieder da. So hat es sich angefühlt, könnte auch daran liegen, dass ich ganz gut geschlafen habe und auch ziemlich entspannt aufgewacht bin als wir die Räder auf usbekischen Boden setzten. Das dieses «ich bin fit» nicht den ganzen Tag halten würde war klar, so ging es nicht nur mir. Es gab beim Umsteigen in Istanbul auch mal die Zeit wo ich mir einfach nur ein Hotel nach der Ankunft wünschte zum Ausschlafen. Dieser Wunsch war beim Aussteigen nicht mehr vorhanden. Bei den anderen auch nicht, also war das nie ernsthaft ein Thema. Wir würden heute pünktlich ins Bett kommen … und die Zeitverschiebung ist mit 3h gar nicht mal sooooo gross.
Wir rutschten durch die Zollkontrolle. Die Hüte der Zöllner waren klein, die Blicke gar nicht so grimmig. Ich möchte nicht sagen, wir wurden von der Staatsmacht freundlich empfangen, aber zumindest nicht unfreundlich. Auf das Gepäck mussten wir dann gefühlt eine Ewigkeit warten, die Zeit verstrich. Um 9 Uhr waren wir nicht bei Europcar, aber die sind ja bestimmt da! Also die sind bestimmt da …? Ich habe jetzt so ein Meme im Kopf wo man den Text gut einbauen könnte ;-). Aber nur weil wir in Kasachstan mit Europcar miserable Erfahrungen gemacht haben, muss da ja in Usbekistan nicht auch so sein?
Die Koffer kamen dann irgendwann und der nächste Schritt war Geldbeschaffung. Man könnte wohl kaum, wie in Skandinavien, wochenlang ohne Bargeld rumreisen. So ein Grundstock wäre schon etwas Tolles. Ich hatte meine Euro und USD-Reserven in der Tasche, die anderen immerhin ihre Plastikkarten. Die beiden testeten mal die Cash Automaten und ich beehrte eine Geldwechselstube.
Ich liebe Ausländische Währungen, was gibt es in Usbekistan? Das Ganze heisst Som und ist gar nicht mal so viel Wert. Also nominal, im Vergleich zu unserem Geld. 1 CHF (oder von mir aus auch 1 EUR) sind so ganz grob etwa 15'000 Som. Blöd zu rechnen, aber man gewöhnt sich dran. Wir organisierten uns also gleich mal ein paar Millionen von den Soms (oder Sömer? ;)). Da der grösste Geldschein 200'000 Som ist gibt das eine ganze menge Papiergeld. Der kleinste Schein ist übrigens der 1’000er, Klimpergeld gibt’s gar nicht.
1- In einem Land wie Usbekistan braucht man Bargeld. Das gibt’s sowohl aus Geldautomaten wie auch in Wechselstuben. Ein CHF entspricht etwa 15'000 Som – so kommen solche Geldstapel zu stande.
Wir hatten also Geld, vermutlich nicht genug für den ganzen Urlaub, aber wir hatten was. Wir hatten unsere Koffer und dann brauchen wir nur noch das Auto. Irgendwie schlichen wir uns dann aus dem Zollbereich. Alle anderen mussten rechts abbiegen und den Koffer nochmal scannen lassen. Als wir gerade aus liefen, hat sich aber niemand beschwert. Ob wir damit schon die erste Straftat des Urlaubs begangen haben? Vielleicht. Aber, wer hier schon lange mitliest mag sich vielleicht erinnern – ich bin da entspannt, denn; Wipfs Fingernägel wären die ersten die dran glauben müssen, wenn wir in einem dunklen Loch verschwinden. ICH habe das noch nicht vergessen :-).
Als wir so auf die Koffer warteten, aktivierte ich mal meine E-Sim, dat läuft! Ebenso bei Gubi. Wipf holte sich eine lokale Simkarte direkt bei den Gepäckbändern. Da ist ein riesiger Counter die ihm für noch weniger Taler (irgendwie 5 USD) 50GB auf einer Simkarte verkauften. Also waren wir auch alle Online! Die Welt 2024 ist schon unheimlich praktisch geworden. Ich erinnere mich noch an die Zeiten wo wir in dem Moment noch einmal im Flughafen W-Lan die letzten Infos ziehen mussten und dann die Landkarte aufspannten. Ist praktisch, wenn es nicht mehr so ist, aber Abenteuer … nah, ich vermisse es eigentlich nicht ;-).
Der Europcar Counter ist wirklich direkt am Ausgang, den kann man gar nicht verfehlen. Und da sass tatsächlich ein Mensch! Und der Mensch konnte sogar Englisch. Es geschehen noch Wunder. Der Papierkram dauerte seine Weile und als alles durch war packte uns Herr Europcar und lief mit uns zum Parkplatz etwa 500m vom Terminal entfernt. Obwohl im Schlepptau von einem Local hätten wir in dem Moment gefühlt 1001 Taxi nehmen können, denn jeder Mensch dem wir auf dem Weg zum Parkplatz begegnet sind wollte uns mit seinem Auto irgendwo hin fahren. Aber Dankeschön, wir sind mobil. Am Auto gab es dann ein kleines Problem – das uns 30min kostete. Denn der gute Mann hatte irgendwie das falsche Auto im Computer. Alles kein Thema. Aber die Formulare, welche uns zum Fahren eben dieses Autos berechtigte waren mit dem falschen Kennzeichen geschrieben. Dieses Formular müssten wir bei jeder Polizeikontrolle zeigen! Das richtige Auto werde aus der Stadt jetzt zu uns gefahren, dauere nicht lange. Oder doch? Am Ende warteten wir am Auto und er lief zurück zu seinem Office und machte die Papiere einfach neu. Das war OK, denn der China RAV4 sah ganz gut aus … ausser dem eher bescheidenen Luftdruck der Reifen. Ob das jetzt aber einfach nicht gut gefüllt war oder ob sich da ein Platten einschleicht? Da sich der Vermieter überhaupt nicht darum sorgte und meinte «hö, ist doch alles gut!?» beruhigte uns. Vielleicht fährt man in dem Land so rum.
Als der gute Mann die Papiere organisierte kauften wir an einem der zahlreichen Kioske / Häuschen / Geschäfte, die es um den Parkplatz gibt schonmal einen ersten kleinen Vorrat an Getränken. Wer weiss, wie gut man ausserhalb der Ortschaften an Getränke kommt? Und Wasser braucht man immer reichlich. Es war dann 11 Uhr bis wir die Schlüssel hatten und uns auf die Strassen begeben konnten.
Wohin eigentlich? Weite Sprünge wollten wir nicht mehr machen, soviel war klar. Wir hatten auch mal so ungefähr drei Ziele ausgesucht, wo wir in den kommenden zwei Wochen hin möchten. Und eins ist relativ nah an Tashkent. Die Strecke eins Ferghanatal. Sacht euch nix? Also horcht zue.
Das Ferghanatal ist im äusserste Nordosten von Usbekistan. Es ist nicht ein Tal, eher eine riesige Ebene eingekesselt von Bergen. Das Tal ist das am dichtesten besiedelte Gebiet in ganz Usbekistan. Zudem wichtig für Bodenschätze, Industrie und Landwirtschaft. Und seit 2016 ist das Tal auch auf direktem Weg über die Schiene mit dem Rest des Landes verbunden. Vorher führte nur ein Gleis über Tadschikistan hinein ins Tal. Das war bis so 1989 ja überhaupt kein Problem, aber seit dem Zerfall eines grösseren Reiches schon. Denn so wirklich mögen tut sich da in der Gegend niemand. Und so machte es für die Usbeken durchaus Sinn, den Umweg über den (unbeliebten) Nachbarn zu sparen.
2016 wurde die Strecke von Angren ins Tal hinein erst fertig gestellt. China war daran nicht ganz unbeteiligt. Als Teil der neuen Seidenstrasse hat das Reich der Mitte kräftig mit Geld ausgeholfen, um die Strecke zu bauen. Denn einfach ein Gleis im platten Land hätten die Usbeken selber hinbekommen. Die Strecke ist anspruchsvoll trassiert und das grösste Bauwerk ist der 19.2km lange Kamchiq Tunnel.
Wir wollten vor allem auf der Westseite des Scheiteltunnels etwas machen. Und dieser Abschnitt ist von Tashkent kaum 150km entfernt. Also perfekt, um noch schnell hinzudüsen und dann heute Nachmittag schonmal die ersten Fotos abzustauben. Einen grösseren Ort gibt’s da mit Angren auch noch, also würden wir auch ein Hotel finden für heute Nacht. Zumindest kennt Google ein paar Hotels, Booking kannte schonmal nichts, egal.
Wir kaperten also die Strassen Tashkents mit unserer Chinakarossa. Am Stadtausgang machten wir nochmal Halt an einem etwas grösser aussehenden Supermarkt für Esswaren. Während ich das Auto am Strassenrand bewachte, sind die andren da rein und kamen mit zwei vollen Tüten Esswaren zurück. Kekse, Brot und was man so alles brauch um mal einen kleinen Hunger zu stillen bevor es dann noch ein Abendessen geben soll heute. Nach Angren ging es dann stetig nach Osten, immer über eine «Autobahn». Wobei es eher einer zweispurigen Hauptstrasse entspricht. Zwar ist alles Richtungsgetrennt, aber Ein/Ausfahrten gibt es nicht speziell. Um zu drehen, gibt es immer wieder mal Lücken in der Leitplanke und Tafeln welche das U-Turnen erlauben. Dass in dem Moment die Fahrzeuge dann auf der linken Spur stehen und warten bis sie im Gegenverkehr irgendwie reindrehen können ist dann ein kleiner Schönheitsfehler. Merke; einfach links zu fahren gemütlich ist daher nicht möglich. Was, in dem Zusammenhang nicht unentscheidend ist, auch auffällt: Blinkerflüssigkeit muss unheimlich teuer sein in Usbekistan. Eine andere Erklärung, weshalb der Usbeke an sich eigentlich niemals blinkt haben wir nicht gefunden ;-).
Wir glitten gemütlich übers Land unter der Sonne. Es waren so knapp 30° und wolkenlos. Und genau solches Wetter erwartet uns die nächsten Tage, wenn man den Prognosen denn glaubt. Und wenn sie so sind, tun wir das einfach blind. Gemütlich gleiten hat auf diesen Strassen aber noch eine Schwierigkeit. Was ist erlaubt? Der Vermieter meinte man müsse innerorts 60+5 fahren, es habe viele Kameras. Das ist lieb, aber … wann ist man innerorts und wann nicht? Sind es die Ortsschilder? Sind es Geschwindigkeitstafeln? Die sind zwar immer wieder mal da, aber eine Beschränkung ist niemals aufgehoben. Die beste Taktik wäre dann sich dem übrigen Verkehr anzupassen. Aber das ist schwierig, wenn einige konsequent mit Lichthupe links und rechts überholen und mit ~120km/h einfach vorwärts kommen wollen … und andere konsequent mit 50km/h mal links und mal rechts vor sich hindümpeln. An den Rasern orientiert man sich besser nicht, an den Schleichern auch nicht (ausser man will niemals ankommen). Fährt denn niemand einfach normal? Nein :-). Nicht mal in der Nähe der zahlreichen Polizeikontrollen. Von denen gibt es einige verschiedenster Typen. Entweder stehen einfach Polizisten am Strassenrand und picken sich raus wenn sie wollen, und es gibt fix installierte Kontrollstellen. Für uns interessierte sich aber niemand an diesem Nachmittag.
Wir waren um kurz vor 14 Uhr im Zielgebiet. Angren haben wir durchfahren, ohne ein Hotel gesehen zu haben, obwohl wir welche hätten sehen müssen wenn Google stimmt. Das störte uns aber noch nicht maximal. Da waren wir dann also, am Ohangaron Stausee. Die Bahn verläuft auf der Nordseite des Sees über ein paar Kilometer. Genau von da ist übrigens auch dieses eine Bild das ich oben erwähnt habe ;).
Am erstbesten Platz fuhren wir mal runter zur Bahn und parkten unser Auto. Gerade eine Kurve hinter einer grossen Kontrollstelle, aber das war alles nicht einsehbar von da aus. Also good enough! Sowieso sah uns niemand an diesem Ort, was uns gut passte. Denn am ersten Tag schon Reibereien mit irgendeiner Miliz wollten wir vermeiden. Wie wir uns an die Stelle stellten sahen wir im Bahnhof vor uns auch schon ein Zug stehen. Mit Lok vorne und hinten, und er setzte sich kurze Zeit später in Bewegung – zu uns. Das war eine wunderbare Punktlandung. Da kam man ja nicht mal zum Essen!
2- Der erste Zug! Kurz nach unserer Ankunft rollte schon etwas. Wir stehen bei Karanchitugay am Ohangaron Stausee. Der Zug kommt aus dem Ferghanatal und ist westwärts unterwegs nach Angren / Tashkent. Es zieht 20’ZELR 405, eine Chinesische Doppellok. Gewöhnt euch schonmal an die komischen Baureihenbezeichnungen.
Was zieht denn da? Ein Chinese, ganz offensichtlich. Die Baureihe hört auf den Namen 20’ZELR. CRRC hat die Doppelloks gebaut, in zwei Serien für die Usbekische Eisenbahn. Die Loks sind fix gekuppelt und die Sektionen haben eine A und eine B Nummer. In China sind Loks derselben Plattform unterwegs, unter der Bezeichnung HXD1.1 (sehen ja auch ähnlich aus).
Der Zug war durch und wir warteten einfach mal weiter. Wir hatten eine klare Idee was wir später tun wollten. In unserem Rücken ist eine Aussenkurve, da wären wir aber noch ein wenig zu früh. Die 30min in denen wir noch standen bis die Sonne dann eine akzeptable Position eingenommen hat, kam nur mehr ein Zug von hinten.
Wir trampelten also durch den Staub die 300m zurück und machten es uns gemütlich am Gegenhang. Es war ungefähr 30°, aber es ging ein angenehmer Wind. So liess es sich warten. Und kaum an der Stelle angekommen rollte der nächste Zug nach Westen.
3- Nur ein wenig weiter östlich dann der nächste Zug. Bespannt mit 20’ZELR 419 (es führt die B Sektion).
Eine Stunde später, es rollte wieder ein Zug von hinten durch in dieser Zeit, war es Zeit für einen Personenzug. Der Gegenzug ging vor uns in die Kreuzung und kündigte sein erscheinen an. Es war der erste Test für den Grafischen Fahrplan vom Wipf. Und er stimmte fast auf die Minute genau. Ob das so weiter geht? ;-).
4- Etwas querer an der Stelle von eben. Zug 125 Andijan - Khiva. Der Zug hat Andijan um 11:26 Uhr verlassen und erreicht sein Endbahnhof im Südwesten des Landes +1 um 10:28 Uhr - nach 1465km fahrt. Es zieht nicht etwa eine 20’ZELR wie man auf den ersten Blick vermuten würde, sondern eine 20’ZUY. Gebaut 2020 bis 2022 bei CRRC in China. Es gibt anscheinend lediglich 8 Doppelloks dieser Baureihe.
Das es nicht eine normale Doppellok war wie bei den Güterzügen vorhin erkannten wir erst auf den zweiten Blick. Die Front ist nicht ganz identisch, der grösste Unterschied ist aber die Anzahl der Achsen. Bei der 20’ZUY sind es jeweils 4 und nicht 6 pro Sektion. Dank der stets weissen Radreifen erkennt man das auch ganz gut :-). Der optische Zustand der Züge ist sowieso aussergewöhnlich gut bisher. Ob wir überhaupt mal etwas Schmutziges oder gar verschmiertes sehen werden in diesem Urlaub?
16 Uhr war durch und wir hatten noch etwas Sonne an der Stelle. Die letzten Züge folgten sich ziemlich exakt mit einem Abstand von 60’. Und dann wäre um 17 Uhr ja wieder einer fällig. Das geschah aber leider nicht. Die Sonne versank hinter dem Hügel. Wir standen zwar gerade am Anfang des bergigen Abschnitts und in der Plätte davor wäre noch eine gute Stunde Sonne zu haben. Aber da war das Licht immer exakt in de Streckenachse. Also brachen wir ab und fuhren los. Die Idee das folgende Tal noch kurz zu beäugen, liessen wir fallen, denn aus irgend einem Grund hatte es Stau auf der Strasse in diese Richtung. Das wollten wir uns nicht antun und drehten an der erstbesten Möglichkeit und fuhren nach Angren.
Hotel: Was wollen wir? Es gab drei die irgendwie mehr oder weniger annehmbar aussahen für unsere Ansprüche. Wir haben keine hohen Ansprüche übrigens. Sauber wäre gut, ein westliches Klo wäre gut, und irgendwie so ein bisschen Platz im Zimmer wäre auch gut. Also: schlicht ein Hotel, keine Höhle bitte! :-). Aber das sollte zu machen sein. Das erste Hotel welches wir uns anschauten war am Stadtrand. Das Hotel Fayz ist es, bei Google eine solide 3.8. Der freistehende Bau ist eingezäunt und klotzig. Es wurde viel mit Stein gearbeitet. Es sah irgendwie verlassen aus, kein Auto auf dem Parkplatz, kein Mensch zu sehen. Trotzdem war die Türe offen und es stolperte jemand von einem Sessel zur Reception als wir den Bau betraten. Jaja, klar. Ein 3er Zimmer gibt’s, kostet 500'000 Som. Kurzes Kopfrechnen folgte … das sind … ääh … etwa 30 Euro. Das nehmen wir doch.
Die Kommunikation erfolgte mit Google Translate. Denn Usbekisch oder Russisch konnten wir nicht bieten, das Personal keine Sprache, die wir beherrschen. Aber die moderne Technik hilft auch da, Hände und Füsse mussten nicht helfen.
Es sah ganz gut aus, die Betten waren zwar bretthart, aber sauber. Und das Zimmer riesig. Das Badezimmer verströmte diesen normalen etwas miefigen Duft eines nicht vorhandenen Siphons. Aber das hat in diese Weltregion auch irgendwie System? Egal, mir wars recht. Und das Restaurant sei auch offen meinte man, obwohl eben … irgendwie gar nichts nach überhaupt offen aussah. Wir hätten jetzt den Drang verspürt in ein Restaurant zu gehen in dem etwas los ist. Aber der Stadtrand war jetzt ein Problem. Ohne Auto wäre da nichts zu erreichen. Und die Müdigkeit schlug jetzt voll durch, Sprünge vermochten wir nicht mehr machen.
Also hinein in die gute Stube. Die Karte war zwar nur auf Russisch oder Usbekisch, aber es hatte Bilder. Und Bilder helfen immer. Wir bestellten etwas, was nach Hähnchen ausschaute (und Tavuq hiess, Tavuk auf Türkisch = Hähnchen, also wird das schon). Es kam eine Schüssel mit Gemüse und Poulet, dazu ein Brot und Pivo. Das war alles deutlich schmackhafter als wir befürchtet hatten. Ob es uns auch bekommt, finden wir dann im Laufe de Nacht hinaus.
Wir taten dann gar nichts mehr, es war zwar erst 21 Uhr, aber nach einer Dusche zog es uns die Decken über den Kopf. Ein langer Tag geht zuende, ein erster Tag ins Usbekistan. Wir sind tatsächlich da. Und was wir gesehen haben bisher macht Lust auf mehr!
Donnerstag 04. September 2024
Die Sonne schaute zwischen den Vorhängen hervor, als sie als orange Kugel über dem staubigen Horizont im Osten aufging. Der Tag versprach wie prognostiziert einfach wolkenlos zu werden. Frühstück gab es keins im Hotel, das hielt uns also nicht auf. Wir haben alle ganz gut geschlafen, vor allem aber lange. Aber dann auch lange genug, um 7 Uhr war Leben im Zimmer. Die Abfahrt hatten wir auf 7 Uhr gelegt. Geschuldet war das vor allem dem Personenverkehr, der an der Strecke ins Ferghanatal vor allem zu Randstunden stattfindet – zumindest zur aktuellen Jahreszeit.
Wir wollten heute ins Tal hinein, also vorbei am Stausee von gestern weiter in die Höhe. Der Strassenverkehr in der Früh war spärlich und vom Stau gestern Abend (der Grund ist eine Baustelle) war nichts zu sehen. Nach kaum 25min fahrt erreichten wir eine Stelle, die wir uns genauer anschauen wollten. Das Luftbild machte uns neugierig. Wir hatten die Aufgabe eine Stelle zu finden für Ostfahrer am frühen Vormittag. Das klingt, bei einer Strecke, die nach Osten geht, einfacher als es ist. Den oft läuft die Strecke tatsächlich einfach direkt nach Osten. Den Anspruch licht auf der Seite des Zuges zu haben, haben wir nicht verloren nur weil wir in einem neuen Land sind ;). Dann dreht die Strecke oft nach Norden in der Gegend. Was ich damit sagen will; es gibt gar nicht so wahnsinnig viele potenzielle Ecken für die zwei Personenzüge am Vormittag.
Die ausgesuchte Stelle beim kleinen Ort Ko’k Saroy schien aber alles zu erfüllen. Und man kommt auch über den Fluss. Das ist dann das nächste Problem, die Bahn verläuft immer mal wieder auf der südlichen Flusseite, die Strasse konsequent auf der nördlichen. Sehr viele Möglichkeiten die Flusseite zu wechseln gibt es nicht, aber da gab es eine. Und zwar über eine grössere Brücke mit Weg oder über eine lottrige Holzbrücke. Die Holzbrücke wäre unsere, wenn man denn drüber gehen kann?
Wir parkten mal an der Strasse und wurden sofort von einem Bauern gesehen und angesprochen. Hände wurden geschüttelt und der Versuch einer Erklärung, was wir hier tun, fruchtete nur so bedingt. Aber es war ihm reichlich egal – und er deutete zur Brücke und nickte, jaja, da könnt ihr rüber. Na wenn der das sagt … ;). So waren auch die anderen beiden Herren überzeugt, die hätten wohl lieber die Wegbrücke und den Umweg genommen.
5- Diese wacklige Brücke mussten wir überqueren um zur ersten Stelle zu kommen. Ist das ein Problem? Nein, die Holzprügel halten bestimmt. Und wenn nicht fällt man ja nicht sehr tief ;).
Der Hügel der hinter dieser Brücke und den Bahngleisen zu besteigen war ermöglichte wunderbare Ausblicke in das Tal und auf die Strecke. Da blieben wir gleich mal für ein paar Stunden. Personenverkehr war was angekündigt, und vielleicht staubt man noch den einen oder anderen Güterzug ab?
6- Der Tag startet im Tal bei dem kleinen Ort Ko’k Saroy. Unser Auto steht an der Strasse und die kleinen Brücke hinter der Lok haben wir überquert und jetzt stehen wir etwas oberhalb der Bahn. Als erste Lok sehen wir heute eine 20’ZUY mit dem Zug 130 von Termez nach Andijan. Was diese grünen Wagen genau sind? Wir sahen sie immer mal wieder an diesem Zug .. Kurswagen von/nach Tadjikistan? Die Fahrpläne wissen davon nichts.
7- Es folgt mit knapp 2h Abstand Zug 730. Ein täglicher Zug von Tashkent nach Andijan. Wobei er einmal im Gegenuhrzeigersinn fast das gesamte Ferghanatal bedient. Die Strecke da hinten ist kreisförmig. Es zieht eine Lok der Baureihe O'Z-Y (ja, die heisst wirklich so). 15 Stück dieser Lok hat die chinesische Industrie 2009 - 2011 nach Usbekistan geliefert. Siemens hatte bei der Lokplattform wohl auch noch die Finger mit im Spiel.
Zwischen den beiden Personenzügen kam nur ein Lokzug. Das war schade. Wir wollten eigentlich weiter … aber der Blick nach rechts war auch nicht zu verachten. Es war sogar ein Personenzug fällig, der hätte zwar noch kein Frontlicht, aber egal. Auch als dieser durch war, warteten wir einfach weiter. Da muss doch mal noch ein Güterzug von Osten her kommen. Das Einzige was aber kamen waren Güterzüge von hinten (2 Stk.) und nochmal ein Lokzug von oben.
8- Wir verharrten auf dem Berg und warteten auf den nächsten Zug. Es ist wieder eine O’Z-Y mit Zug 731 von Andijan nach Tashkent. Von diesen «weissen» gibt es zwei Zugpaare von Tashkent ins Ferghanatal.
9- Anstelle von Güterzügen kamen nur Lokzüge von Osten her. Diesen hier gibt es zu sehen. Es ist eine bekannte 20’ZELR (405) und eine O’ZELR (der Einteiler). Natürlich wieder Chinesen. Davon gibt es 22 Stück aus zwei jeweils 11 Loks umfassenden Serien. Die erste Serie soll wohl vornehmlich in Doppeltraktion verkehren (O'ZEL 2XX), die zweite einzeln (O'ZELR 3XX). So gehen wir mal davon aus, es handelt sich hier um eine O’ZERL 3XX.
Man hätte jetzt ja wechseln können. Ich hatte auch eine Ecke etwas weiter oben im Tal rausgesucht die auch alle unsere Wünsche erfüllen könnte. Aber wir kamen nicht weg, irgendetwas hielt uns. Die Hoffnung auf einen Güterzug. Als die Sonne dann unter uns raus war, war sie in der Geraden aber langsam gut. Hm, also blieben wir sitzen. Denn es sass sich maximal gemütlich. Es hatte direkt bei uns einen Baum der Schatten spendete. Es war knapp 30° und es ging ein angenehmer kühler Wind. Wir wollten gar nicht weg ;).
Es wurde fast 14 Uhr bis wir dann von einem Zug aus unserer Lethargie geweckt wurden. Der letzte Personenzug, einfach fürs Protokoll, war schon um 10:30 Uhr bei uns. Wo war den der Verkehr von gestern Abend? Läuft so wenig oder hatten wir einfach Pech heute?
10- Und endlich mal ein Güterzug. Mit einer 20’ZELR kommt er aus dem Ferghanatal und rollt in Richtung Angren.
Das war jetzt der Startschuss um den Abstieg in Angriff zu nehmen. Die nächste Stelle hatten wir auch schon raus, man erkennt sie auf dem Bild oben. Wir wollten näher ran, stehen könnte man bei den Baucontainern am Ende der Geraden. Und der Zeitpunkt zum Wechseln war perfekt, denn die Strecke war jetzt erstmal durch diesen Zug belegt.
Wir stolperten über Steine und rutschige Felsen hinunter zur Bahn, über die wackelige Brücke und dann hinein ins aufgeheizte Auto. Wir hatten dann vor allem mal Hunger. Es war zwar kaum 1km zu fahren an die neue Stelle, aber auf dieser Strecke gab es etwa 10 Strassengeschäfte mit allem Möglichen. Kekse hatten wir schon gefuttert, da brauchten wir nichts mehr. Aber etwas Kühles zu trinken wäre toll, und etwas richtiges in den Magen. Eine Händlerin hat die Zeichen der Zeit erkannt als wir aus dem Auto ausgestiegen sind und war relativ aktiv darum bemüht, dass wir ihre Kunden werden. Ob es jetzt die beste Wahl war? Ihre Getränke waren eher so mässig kühl, aber kühler als die Aussentemperatur, was schonmal etwas war. Denn was im Auto lag, war deutlich über Aussentemperatur – also ein guter Deal. Zwei Brote wechselten auch den Besitzer und so waren wir ausgerüstet für die nächste Stelle. Da warteten wir vergebens auf einen Güterzug, als nächstes kam nämlich wieder ein Personenzug.
12- Zug 125 Andijan – Khiva. Der Standort ist fast unverändert, immer noch bei Ko’k Saroy. Die Lok ist wieder eine O’Z-Y. Leider wieder ohne Nummer. Die sind ziemlich dämlich auf einer Platte an der Front angeschrieben, praktisch unlesbar wenn man nicht direkt davorsteht.
Den Bauarbeitern welche an der Stelle etwas entfernt von uns rumwuselten waren wir ziemlich egal. Wir standen zwar in der Nähe ihres Klos, aber alle die das «stille Örtchen» (direkt an der Hauptstrasse ;)) besuchten grüssten nur und verschwanden dann im Wellblechverschlag.
Das war dann doch gut. Man hätte an der Stelle natürlich variieren können, aber es bliebe doch die gleiche Stelle. Wir wollten eine andere noch machen. Nur ein paar Kilometer weiter vorne. Da wartete es sich genau so angenehm im Auto. Nur kam nichts in der Stunde bevor die Berge das Sonnenlicht klauten. Dann mussten wir uns zwangsläufig wieder verschieben, wir hätten an der Stelle von gerade eben noch länger licht. Wobei länger … die Strasse in diesem Bereich ist nicht sehr zahlreich mit U-Turns gesegnet. So waren auf beiden Seiten deutliche Umwege nötig. Der Vorteil; wir sahen viel von der Strecke östlich von uns. Das war alles nett, aber nichts Zwingendes. Wir hatten heute irgendwie instinktiv die richtige Ecke ausgesucht. Aber dazu später mehr, noch war ja Sonne.
Wie wir so gedreht haben im Tal und nochmal an die Stelle von gerade eben fahren sehen wir ein Spitzenlicht. Und wir waren am richtigen Ort, da hätte ich mich nämlich sowieso gerne gestellt. Leider war es dann kein Zug sondern nur ein Lokzug (schon wieder). Der Hügel im Bildhintergrund ist übrigens genau jener, wo wir fast den ganzen Tag drauf rumgeklettert sind ;).
13- Beim Stellenwechsel überraschte uns, am richtigen Ort, ein Spitzenlicht. Dass es nur zu einem Lokzug gehört war schade. Aber man nimmt mit was man bekommen kann. Die Stelle ist immer noch wo wir schon den ganzen Tag waren, bei Ko’k Saroy. Auf dem Hügel hinter den beiden O’ZEL kletterten wir den ganzen Tag rum. Da diese Loks jetzt als Paar verkehren gehen wir davon aus, dass es O’ZEL der ersten Serie sind (also dem 200er Nummernblock angehören).
Das wir uns dann nochmal auf die Fläche vom Personenzug von gerade eben stellten ist nicht mehr erwähnenswert. Denn es kam nichts mehr. Obwohl die Richtung mittlerweile sogar egal gewesen wäre.
Was ist das Fazit. Heute lief es ja im Güterverkehr gar nicht mal so gut. Aus dem Tal draussen hatten wir auch wieder Internet, und blickten mal in die Wetterapps. Das gehört irgendwie dazu, man trainiert sich das in Skandinavien einfach an ;). Und das sah schon besser aus. Gestern hatte er für die Region nämlich morgen plötzlich schlechtes Wetter gesehen. Heute war das schon abgeschwächt. Aber muss man es wirklich ausprobieren und beweisen das der Wetterbericht recht hat? Nein, wir denken nicht. Wir verlassen das Tal also nach 1.5 Tagen bereits wieder. Man kann sicher viel mehr machen, auch auf der anderen Seite des Scheiteltunnels, aber muss man? Ich merke mir das mal vor für die Zeit «apre Wipf» bevor wir zurück fliegen in zwei Wochen. Dann will man ja eh in der Nähe von Tashkent sein.
Das hiess für uns aber auch; wir müssen gar nicht mehr in Angren übernachten. Nichts gegen das Hotel von letzter Nacht, aber das geht besser? Google kannte etwas wirklich nettes in Olmaliq, der nächst grösseren Stadt im Westen, nur gute 45min weiter. Das Hotel Almalyk Plaza «Olmaliq – Almalyk – meint wohl dasselbe, bei Google und Openstreetmap wird hier frischfröhlich transkribiert). Beim eindunkeln erreichten wir das Hotel und gingen mal rein zum gucken was das Plaza Hotel denn zu einem Plaza Hotel macht. 3er-Zimmer habe man nicht, aber drei Einzelzimmer?! Das war ja mal nett, und alles zusammen für 1.5 Millionen. Das sind dann …. Bbrrrrr … 30 EUR pro Zimmer, kann man sich mal geben. Und es waren keine Zimmer, es waren Wohnungen. Also von der Zimmerfläche her. Das war alles sehr zu unserem Gusto. Und Frühstück gibt es auch, ab 7 Uhr, passte also alles ganz gut zusammen.
Nur zu Essen gabs nichts, Restaurant ist geschlossen. Aber ein sehr gutes Restaurant sei nicht weit weg. Das wurde uns sogar auf Englisch erklärt, hui. Das Plaza Hotel macht seinen Namen alle Ehren. In das empfohlene Restaurant liefen wir dann auch, den Kilometer mochten wir gerade noch auf uns nehmen.
Das Restaurant war super, draussen war gedeckt und wir nahmen unsere Plätze ein. Was gibt’s zu Futtern? Hunger war vorhanden. Vielleicht haben wir dann mit etwas viel Hunger bestellt. Am Schluss standen Hähnchenschenkel, Salat, Momo’s und zweierlei Pastateller auf dem Tisch. Sharing is caring. Das war dann ein bisschen etwas zu viel für uns drei. Aber es war vorzüglich! Bier gabs keins (stört nicht), der Muezzin hätte auch direkt vom Turm heraus auf unseren Tisch geblickt. Insofern, vielleicht besser damit sich niemand die Finger verbrennt.
Viel zu voll liefen wir zu den Zimmern zurück und verabredeten uns morgen auf 7 Uhr zum Frühstück. Gute Nacht!