Spätsommer in Finnland (4/8)
Von Christof Hofbauer
Montag, 23.08.2021Die dicken Vorhänge beiseitegeschoben, schon flutet grelles Sonnenlicht mein Zimmer. Noch leicht dröselig geht der Blick aus nur halb geöffneten Lidern nach oben. Weites Blau spannt sich dort, nur unterbrochen von einzelnen weißen Wölkchen, die ein böiger Wind über den Himmel treibt.
Dann mal los! Bad, Sachen zusammenpacken und ab zum Frühstück. Das ist nämlich im Preis dabei. Und ich habe vor, es ausgiebig zu genießen. Wer weiß, wann es wieder was gibt, heute.
Fixpunkt ist der S 948 von Turku her, der irgendwann kurz vor 10.00 Uhr Luoma passieren soll. Man sieht, ich bin noch im Relax-Modus. Früh aufstehen ist dann ab morgen wieder angesagt, wenn die zwei Schweizer mit von der Partie sind. Heute ist nochmal mehr Erholung.
Gut, an einer Strecke, auf der hauptsächlich im dichten Takt S-Bahn unterwegs ist, nur vereinzelt gestört durch etwas wiederkehrenden Fernverkehr, und das Ganze bei relativ wenig attraktiven Fotostellen, muss man jetzt auch nicht zwingend von Früh an, an den Gleisen stehen.
Also erstmal das Buffet plündern. Kann zwar mit dem gestern in Kouvola nicht mithalten, ist aber ausreichend, um alle leeren Stellen in der Magengegend angenehm zu füllen. Dabei kann man durch die Panoramafenster herrlich das morgendliche Treiben studieren, und ganz nebenbei versuchen zu ergründen, welcher Nationalität die beiden jungen Damen sind, die gleich davor in Blickrichtung sitzen und sich leise unterhalten. Diverse Vermutungen und Hypothesen stelle ich an und auf, so zwischen Rührei, Wurstsemmel und Orangensaft, bis sich die eine der Beiden, direkt neben mir outet, als sie, den Kopf über die Schulter gedreht, ihrer Begleiterin in bestem Schwäbisch die Frage zuwirft, ob sie ihr noch einen Orangensaft mitbringen soll.
Das Auschecken geht flott vonstatten, nur die Parkgarage widersetzt sich beim ersten Versuch meinem Wunsch, sie zu betreten. Kurzer Rückmarsch zur Rezeption, und schon bin ich technisch perfekt genug gebrieft, um die Türsperre zu überwinden und meinen braven Hybrid zu erreichen. Summend geht es hinaus in den Sonnenmorgen und ab zur nächsten Tankstelle. Denn auch wenn wir aktuell mit Strom für unser Fortkommen sorgen, hat der Gute doch auch Durst nach etwas fossilem. Und der muss jetzt erstmal gestillt werden, bevor es ans Tagwerk geht.
Einfach schnell tanken ist also angesagt. Wobei das einfach relativ ist und das schnell erst recht. Denn auf welcher Seite ist denn eigentlich der Tankdeckel? Und warum stelle ich mir die Frage erst, wenn ich schon an der Zapfsäule stehe? Gewohnheit würde ich sagen. Und da ich gewohnt bin, dass mein braver Golf zuhause den Tankstutzen rechts hat, bin ich auch gewohnheitsmäßig so an die Säule gefahren. Aber noch bei Ausstellen des Motors schießt mir der Gedanke durch den Kopf: „Ich sitz ja in einem Japaner!“. Und da ist der Tankdeckel gerne mal links. So wie bei diesem Gefährt, wie ein Blick auf den kleinen Pfeil in der Anzeige und einer in den Rückspiegel sofort bestätigen.
Also zurücksetzen und die andere Seite der Säule anfahren. Gut, dass nicht viel los ist, an diesem Morgen. So, das Problem ist also gelöst. Aber schon ergibt sich ein neues. Wie geht der verd…. Deckel jetzt auf. Erwartungsgemäß muss er händisch entriegelt werden. Aber wo?
Gründlich suche ich den Fußraum ab. Erst rund um die Pedale, wobei ich das, in einem solchen Fall schon fast rituell vorgeschriebene, Öffnen der Motorhaube natürlich nicht vergesse, dann den Bereich um den Fahrersitz. Nichts, nirgends! Kein Hebel. Was jetzt? So sparsam kann die Kiste ja nun trotz Hybridantrieb wohl doch nicht sein, dass man sie zu Lebzeiten nie auftanken muss und der Tankdeckel daher nur Attrappe ist!
Also ins Handschuhfach gespäht. Nein, nicht in der Hoffnung dort den richtigen Hebel zu finden, vielmehr soll mich die Betriebsanleitung auf den richtigen Weg führen. Ganz jungfräulich liegt sie da, eingekleidet in hauchdünnes Zellophan. In bester Aufreißer Manier zerre ich am durchsichtigen, hauchfeinen Nichts der Umhüllung, bis sie nackt und bereit vor mir liegt. Gierig schlage ich die Seiten auf, und siehe da, bestes Finnisch flutet meine Augen!
War nun auch irgendwie zu erwarten. In welcher Sprache hätte die Beschreibung denn andernfalls sein sollen? In bestem Mandarin? Nö! Aber zumindest auf ein englisches Inhaltsverzeichnis hatte ich gehofft. Und auch die Bilder bringen wenig Erhellendes. Bei mehreren 100 Seiten fehlt mir aber ehrlicherweise auch die Muse nach dem Richtigen zu suchen. Langsam macht sich Panik breit. Wird hier und jetzt die Tour an Spritlosigkeit scheitern? Hier, mitten auf einer Tankstelle?
Gottlob fällt mir noch das gute, alte Internet ein! Schnell in Google die richtigen Suchbegriffe eingegeben „Tankdeckel Entriegelung Toyota Corolla Hybrid“ und schon ploppen gefühlte 13.568 Einträge zu diesem Thema auf. Erst werde ich gleich im zweiten Artikel fündig, dann im Fußraum.
Irgend ein japanischer Designer, dessen fieses Lachen ich jetzt noch in meinen Ohren höre, hat den Griff an/in der/die Schiene des Fahrersitzes integriert. Ein Ort, an dem ich vorhin gesucht, aber nichts gefunden hatte. Gut getarnt das Teil.
Ab jetzt ist es ein Kinderspiel. Und nachdem das Auto um Sprit, und ich um Bounty, gesalzene Nüsse und kalte Getränke reicher sind, kann ich mich endlich wieder vom Acker machen. Zwischen mir und der Hauptstraße auf die ich eigentlich sollte, nur durch eine Wohnsiedlung getrennt. Die Ausfahrt der Tankstelle mündete nämlich dummerweise in eine Seitenstraße, die so eng und dicht befahren ist, dass der Versuch zu wenden, unweigerlich zu einem größeren Verkehrschaos führen würde. So fahre ich erstmal weiter, um mich Minuten später auf, für einen Auswärtigen, nicht so ganz legalen Wegen wieder zurück auf meine eigentliche Ausfallstraße zu schmuggeln.
Dort angekommen stell ich beim Blick auf das Navi mit Schrecken fest, dass mein dynamischer Start heute Morgen, mir so viel Zeit gekostet hat, dass es zwischenzeitlich sogar etwas knäpplich wird. Noch eine kleine Verzögerung, und der erste angepeilte Zug, der Pendolino aus Turku, ist durch. Daher diskutiere ich auch nicht mit meinem elektronischen Helferlein, als es mich von der Hauptstraße weg, hinein in die Pampa lotst. In meiner Erinnerung ginge die Anfahrt zwar ruckzuck von der Hauptstraße aus, aber wenn es meint.
Dumm nur, dass ich nur den Ort eingegeben habe, im Vertrauen, dass es sich um ein normales Dorf mit Ortskern handeln würde. Durch was ich jetzt aber rolle, ist eine Streusiedlung mitten in Wiesen, Gebüsch und Wald. Ich auf der Kuppe, die Strecke irgendwo verborgen unter mir hinter Häusern und Grün. Also biege ich bei erster Gelegenheit ab. Der schmale, geteerte Fahrweg wandelt sich, kaum hat er sich durch Omis Vorgarten geschlängelt, in eine noch schmalere Schotterpiste, die abrupt vor einem Zaum am Rande der Gleise endet, während sich gegenüber die Sandstraße weiter an der Bahn entlang zieht.
Hier war mal ein Bahnübergang. Die Betonung liegt auf WAR. Also wieder zurück geöddelt. Und das Ührchen tickt. Nächster Anlauf einige hundert Meter weiter. Hunderte von Metern, die einem bei Tempo 30 km/h und einem drückenden Pendolino wie Stunden vorkommen. Aber immerhin führt die Straße diesmal zum avisierten Bahnübergang. Und die Schranken sind noch offen! Puh, das hat gerade nochmal so gereicht.
Auf seinem Weg von Turku nach Helsinki passiert Sm3 7108 als S948 den kleinen Bahnübergang bei Luoma.
Keine 3 Minuten lagen zwischen Ankunft und erstem Bild des Tages. Das nennt man wohl Timing. Und das Plätzchen hier ist durchaus nett. Man kann gemütlich im Auto warten, gut bei dem aktuell böigen, kalten Wind, der zwar den Himmel schön frei putzt, aber einem auch die Hautzellen einzeln frösteln lässt. Dass die Bäume rechts von mir, von einem Harvester gefressen wurden, ist auch nicht gerade von Nachteil. Fast eine Zweirichtungsstelle. Nur das versiffte, besprayte Schalthäuschen stört die Szenerie. Und von da schrillt jetzt die Klingel herüber. Kamera gepackt und aufgestellt. Kundschaft naht!
Eher überschaubar ist die Auslastung der HL 8453, bewegen sich doch die Pendlerströme um die Tageszeit eher in Richtung Hauptstadt. Sm5 24 rollt bei Luoma dem nächsten Halt entgegen.
Kaum ist der Zug hinter der Kurve verschwunden, senken sich die Schranken mit schrillem Läuten auch schon wieder und Sm5 27 passiert als HL 8452 die Stelle in der Gegenrichtung.
Kein schlechtes Programm hier. Jetzt eine halbe Stunde, dann gibt es sogar noch was obendrauf. Neben den beiden S-Bahnen stehen nämlich noch je ein IC von und nach Turku an. Also schon mal geschaut, wie man auf der Geraden zumindest ein bisschen variieren kann. Dann ist es auch schon so weit. Sm5 23 macht den Auftakt.
Wieder zurück in die Hauptstadt geht es dagegen für Sm5 24 als HL 8454. Leicht schüchtern hintern Bewuchs versteckt, durfte auch das Fotomobil mit aufs Bild.
Nur kurz, dann springt das Signal in Richtung Helsinki erneut auf Grün und bald darauf rauscht IC 950, von Turku her kommend, Steuerwagen voraus an mir vorbei. Für den nötigen Schub sorgt, wie bei allen 5-teiligen Garnituren, mit Sr3 3304 einer der neuen Vectron.
Da kann man sich doch nicht beschweren. Das Wetter hat bislang gehalten, die Wolken sind zwar etwas mehr geworden, der Wind hat sie aber immer rechtzeitig vor der Sonne weggefegt. Und auch die VR war kooperativ und hat eine Sr3 geschickt. Für mich das erste richtige Sonnenbild der Baureihe. Nun ist aber erstmal wieder Ruhe angesagt. Denn so schön und abwechslungsreich der Viererblock eben war, besser wird es nicht. Denn außer den Fensterzügen rollt hier nix. Kein Güter- und erst recht kein Sonderverkehr, der andere Baureihen auf die Strecke bringen würde. Rein motivlich hab ich hier alle möglichen Variationen, zumindest für Sm5, durch. Daher beschließe ich, mich etwas weiter gen Westen zu verschieben.
Und da ich mir vor meinem geistigen Auge, nach soviel Grün, eine schicke Ortsdurchfahrt mit typisch finnischen Häusern im Hintergrund vorstelle, peile ich mal Jorvas an. Den vorletzten Halt vor dem Endpunkt der meisten Sausebahn Züge Kirkkonummi. Unterwegs gibt es noch einen schönen Blick über ein Sonnenblumenfeld hin zur Bahn. Und auch der Hintergrund wäre nett. Aber als ich den Weg dahin sehe, bin ich auch schon, getrieben vom dicht fließenden Verkehr, vorbei. Um da hinzukommen, müsste ich leider eine große Runde drehen. Und da die Sonne für die Stelle eh schon kritisch steht, entscheide ich am ursprünglichen Plan festzuhalten. Gemerkt ist der Platz aber. Wer weiß, vielleicht kommt man ja mal wieder hier her.
Schon bei der Anfahrt auf Jorvas dann der Schock. Der Haltepunkt und das drum herum eine einzige Baustelle. Neue Bahnsteige, ein gesperrtes Durchfahrtsgleis, aufgerissener Vorplatz, Bagger, Laster, Schotterberge, Betonteile, Container, Absperrbarken …. eben das volle Programm. Im Gegensatz zu hier, ist das Mare Tranquillitatis auf dem Mond geradezu heimelig romantisch.
Eigentlich will ich schon umdrehen, da seh ich einen Schotterweg nach hinten weggehen. Misstrauisch die großen, teils spitzen Steine beobachtend, die auf dem Weg liegen, schließlich will ich mir nicht gerade heute einen Platten einfangen, peile ich erst den letzten der Schotterhaufen an, dann eine Baumgruppe, gleich dahinter. Dort hat man zwar auch den Vordergrund kräftig verunstaltet, weitestgehend überwiegt aber das Grün. Und mit etwas gezirkel, lässt sich sogar ein Hauch von Haus mit draufbekommen. Groß wechseln wäre jetzt zudem eh nicht mehr drin, stehen doch die nächsten Zugleistungen an.
Im Gegensatz zu den Sm5 davor, trägt Zug 73 das violett dominierte Farbkleid. Als HL 8459 hat er gleich Jorvas erreicht.
Beim nächsten Takt, eine halbe Stunde später, kommt mit dem Sm5 42 erneut ein Vertreter der lila Zunft. Und da der Blick nur unwesentlich anders ist als bei 73er vorher, nur die teilverzierte oder besser gesagt beschmierte Holzscheune rechts war noch im Bild, gibt es hier den Triebzug auf der Rückfahrt als HL 8462 als Querschuss.
Zwischenzeitlich wolkt es schon ganz gewaltig am Himmel. Teils war minutenlang „Licht aus“. Ein IC galt es daher schon als Wolkenschaden zu verbuchen, ebenso wie einen Sm5. Warum stimmen Wettervorhersagen nur immer so genau, wenn es darum geht, eine Verschlechterung vorherzusagen.
Übrigens, wer am Bild vorher genau hinschaut, sieht, dass HL 8462 baubedingt als Falschfahrt unterwegs ist. Erst ein ganzes Stück weiter hinten, fast dort, wo der Wald angeht, liegt der provisorische Gleiswechsel, durch den die Züge mit recht überschaubarem Tempo schleichen.
Im Übrigen war ich in der Dunkelpause gerade nicht tatenlos herumgesessen. Ganz im Gegenteil, ich habe mich mit Energie der Lösung der Problemstellung „Gepäckunterbringung“ gewidmet. Obwohl großer Kombi, ist schon jetzt der Kofferraum des fahrbaren Untersatzes durch meinen, zugegebenermaßen für eine Woche recht üppig gewähltem Reisegepäck, zu einem guten Teil belegt. Zwei weitere von der Sorte passen da so einfach nicht hinein. Und es ist wohl anzunehmen, dass die Beiden, die am Flughafen einzusammeln ich später noch die Freude haben werde, bei drei bzw. vier Wochen Reisezeit wohl nicht mit kleinerer Baggage anreisen werden. Warum ich so einen großen Koffer dabei habe? Einfach erklärt! Meine anderen, kleineren, haben durch die Beanspruchungen der letzten Reisejahre zu sehr gelitten. Und ein Ersatzkauf konnte bis dato noch nicht realisiert werden.
Nun aber wieder zurück zum Problem. Nämlich dem, dass das Auto groß und für einen Kombi schnittig ist, dafür aber durch das schräg abfallende Heck auch weniger Platz anbieten kann. So würden drei Koffer mit Sicherheit hochkant nebeneinander passen. Aber dann geht die Heckklappe nicht mehr zu. Zumindest dann nicht, wenn man darauf verzichtet, die Heckscheibe mittels Gepäck zu durchstoßen. Also nochmal alles genau angesehen. Und siehe da, man kann sowohl die Box mit Kofferraumabdeckung entfernen, als auch die Aufnahme des Trennnetzes. Und schon hat man die paar Zentimeter gewonnen, die ein Schließen das Fahrzeugs möglich machen. Also alles paletti? Naja, fast, wie sich noch herausstellen sollte. Jetzt erstmal aber wieder zurück zum aktuellen Geschehen. Denn kaum ist der Zug von eben entschwunden kommt auch schon die Gegenleistung. Und die diesmal auch in Blau. Gut, so etwas Abwechslung schadet nie.
Und auch der eine Viertelstunde später passierende IC 954 geht sich noch bei Sonne aus. Langsam schiebt ihn Sr2 3209 in Richtung Helsinki, muss sie doch gleich den unweit der Stelle befindlichen Gleiswechsel passieren.
Puh, das war knapp. Kurz vor dem IC war noch finster und, gleich nachdem der Zug vorbei war, auch schon wieder. Langsam ätzend der Spuk dort oben am Himmel. Also gleich zum Flughafen fahren oder hier noch die Zeit verbummeln, bis ich weg muss? Beides irgendwie keine Option. Also mal Julia befragt und die Strecke gen Westen per Luftbild abgeflogen. Da, hinter Kirkkonummi, dem Endpunkt der meisten S-Bahnzüge, gibt es zwei Stellen, die ganz interessant sein könnten. Und da eben nur die meisten der Sm5 dort enden, nicht aber der nächste, wie mir der Fahrplan verrät, gilt es nun nur noch das Navi zu konsultieren. Reicht die Fahrzeit zu den beiden Stellen, inkl. Puffer für die Erkundung vor Ort? Wie sieht es mit der Fahrzeit, nach Durchfahrt des angepeilten Pendolino, von dort zum Flughafen aus? Den gibt es nämlich als Zuckerl obendrauf. Sollte man sich nicht entgehen lassen. Zwei Züge erhöhen zudem bei dem Wolkendrama über mir auch die Chancen, zumindest ein Sonnenbild einzusacken.
Siehe da, alles fügt sich aufs Beste. Schöner und genauer hätte man es nicht planen können!
Also nicht lange überlegt und auf den Weg gemacht. Die Fahrt des Sm5 nach „hinten“ fällt fototechnisch wechselbedingt aus. Hätte ich auch mit viel Hektik nicht geschafft. Umso mehr, als sich der Weg zur ersten angepeilten Stelle als gesperrter Privatweg entpuppt. Und auch an der zweiten Position scheine ich vom Glück verlassen zu sein, zeigt sie sich doch bei näherer Betrachtung als sehr „naja“. Bei mehr Kompromiss wie Bild würde vermutlich irgendwas gehen. Aber bestimmt nichts, was man sich mit Freude Jahre später noch anschaut.
Aber ich hab ja bei der Anfahrt noch Variante drei gesehen. Auf der anderen Seite der Gerade. Mit etwas Glück bringt man da sogar noch einen, im typischen Rot gestrichenen, Speicher in den Hintergrund. Jetzt muss nur noch der Bewuchs am Bahndamm mitspielen. Tut er so leidlich. Aber was ist mit dem Schild? Darf ich hier durch oder nicht? Irgendwie nicht eindeutig. Also entschließe ich mich für ein JA. Sollte ich einer Fehlinterpretation erlegen sein, wird mich schon jemand aus den angrenzenden Häusern darauf hinweisen.
Und so stehe ich da, mit immer banger werdendem Blick nach oben, jede Wolkenlücke fixieren, meist im Grau und umweht vom böigem, ar…kalten Wind. Dann taucht als erstes ein Anwohner auf, der mich ohne große Aufmerksamkeit passiert, und danach endlich der Zug. Passend zur Wolkenlücke.
Nur wenige S-Bahnzüge fahren über Kirkkonummi hinaus bis ins westlich davon gelegene Siuntio. Von dort kommend, passiert Sm5 22 als HL 8576 die kleine Streusiedlung Överby. Ziel des Zuges ist Helsinki asema.
Die schnellziehenden Wolken der heranrückenden Schlechtwetterfrint haben die Szenerie verdunkelt, als Sm3 7608 als Premium-Produkt S 955, auf dem Weg nach Turku, Överby passiert.
War mir das Glück beim Sm5 noch hold, half beim anschließenden S 955 kein Bitten und kein Betteln. Mehr als Halblicht war nicht mehr drin, um das ich ehrlicherweise aber sogar noch recht dankbar bin. Gab es doch in der Wartezeit und kurz nach der Vorbeifahrt noch deutlich trübere Phasen.
Durchaus zufrieden kann ich mich jetzt auf den Weg machen zur Pickup Zone. Zwar war heute nichts Spektakuläres dabei, aber ein paar nette Fotos vom Alltagsbetrieb sind doch entstanden. Und mit den Sm5 von gestern und heute hab ich wieder ein Loch in meinem Archiv gefüllt.
Allem Anschein nach, hat das Navi die Fahrtdauer recht konservativ berechnet. Ging es sich bei der Abfahrt von der Fotostelle gerade so aus, mit der angestrebten Ankunftszeit am Flughafen, korrigiert das Teil diese nun weiter und weiter nach unten, egal wieviel ich bummle. So bin ich um jede der vielen Baustellen auf der Autobahn fast dankbar, die den Verkehr auf 80 oder sogar 60 km/h herunter zwingen. Alleine, es nützt nichts. Ich erreiche den Airport nahezu zeitgleich mit dem Flieger der beiden Schweizer. Nun heißt es also Runden drehen, denn mal schnell so irgendwo parken am Flughafen ist ja nicht. Also einmal ums Karree und im Anschluss noch eine Runde durchs Parkhaus, genauer gesagt, durch die Pickup Zone. Ortskenntnis erwerben bzw. auffrischen. Dann wird was auf dem Parkplatz vor der Tanke frei. Dort kann ich die Zeit nun gut abbummeln, bis die Zwei Bescheid geben, dass sie das Terminal verlassen haben. Gerade summt mein Hybrid rückwärts in die Parklücke, da schnarrt auch schon das Handy los. War ja jetzt ein kurzes Vergnügen. Ich wollte doch nochmal Wetter kucken….
Während ich also umgehend die Abstellfläche wieder verlasse, keimt in mir ein Gedanke. Wenn die jetzt schon vorm Flughafen sind, dann könnte ich sie ja dort schnell aufgabeln, oder? Soweit ganz nett die Idee, und ich seh sie auch am Eingang stehen, nur reagieren sie nicht auf mein Hupen. Dafür aber die Polizei ein ganzes Stück vor mir in der Schlange. Köpfe drehen sich und suchen den Grund für das Warnsignal. Doch ganz gut, dass die beiden Jungs taub sind. Weiß nicht, ob die Ordnungshüter ein so improvisiertes Ladeverfahren mitten in einer baustellenbedingten Engstelle für gut befunden hätten.
Also nochmal ne Runde, die zwischenzeitlich vierte, dann hinein in die Pickup Zone und schon rappelt das Handy wieder: „Wo bist Du?“. Na hier, keine 50 m vor Euch im Parkhaus! Nur Geduld.
Kurzes Abklatschen, ein paar warme Worte, unglaublich, dass wir uns nun schon fast ein Jahr lang wieder nicht gesehen haben, sch… Cor…, dann Heckklappe auf und rein mit dem Gepäck. Und das ist mehr als erwartet, denn die Langzeittourer schleppen so einiges mit. Schnell füllt sich neben dem Kofferraum auch die Rückbank, und mit der Platzierung von Nil daneben, kann nun auch wirklich nichts mehr verrutschen.
Erstmal raus, bevor es noch was kostet. Kurz darauf unterbreche ich die losbrechende Konversation, jaja, wir haben uns viel zu erzählen, aber jetzt müssen wir erstmal festlegen „wohin“, sonst muss ich am nächsten Kreisverkehr endlos Runden drehen.
Die Auswahl ist eigentlich nicht sehr üppig. Laut Vorhersage soll sich morgen Früh um Turku das letzte Sonnenfenster öffnen und dort bis späten Vormittag, etwas weiter im Norden sogar bis zum Abend stabil bleiben. Dann kommt erstmal der große Regen!
Also schreibt sich die Fahrtroute von selbst: Auf nach Turku!
Gubi und ich sind so ins Gespräch vertieft, dass wir erst gar nicht reagieren, als Nil von hinten frägt, wo wir den eigentlich hinfahren möchten. Vor lauter Überschwang hab ich nämlich die Autobahn völlig ignoriert und bin weiter auf der Landstraße gefahren. Konditioniert vom Vormittag, als ich mich auf eben jener, immer parallel zu Bahn, quasi auch in Richtung Turku bewegt habe. Aber das ist halt nicht der schnellste Weg. Also leicht errötet eine Ehrenrunde gedreht und richtig eingefädelt.
Schnell geht es nun nach Westen. Und während wir uns auf den vorderen Plätzen wieder ungestört unterhalten, nimmt Nil wortlos seine Lieblingstätigkeit auf, das abwechselnde Checken von Julia und google earth. Dann die Mitteilung, er habe eine Stelle gefunden, an der wir den nächsten Zug gen Hauptstadt auflauern könnten. Kurz noch die Frage an mich: „In welcher Richtung stehen denn die Steuerwagen?“, dann steht das Ziel fest. Dort angekommen, mahnt er zur Eile, denn der Zug wäre quasi schon da. Kurzer Sprint nach oben zur Brücke, ein Blick vom Gott des Sonnenstandes und schon sind wir wieder unterwegs. „Nein, kein Seitenlicht!“, so die trockene Analyse von Gubi.
So passiert uns der Pendolino nur wenig später im schönsten Licht unfotografiert, während wir kurz danach auf der nächsten Brücke stehen, diesmal mit richtigem Winkel zur Sonne, dafür ohne Zug und, ja, eben auch ohne Sonne. Denn der Himmel ist jetzt fast durchgehend grau und nur ab und zu fällt ein kurzer Spot auf die Erde. Lässt die Wahrscheinlichkeit, einen Zug im Hellen zu erwischen, gen Null tendieren. Erst recht, da in diesem Abschnitt nur einmal pro Stunde und Richtung etwas rollt. Ansonsten wäre es hier eigentlich ganz schön.
Durchweg mit Sr2 bespannt, sind die kurzen Vierwagen-IC, die zwischen Helsinki und Turku pendeln. So auch IC 959, den Sr2 3209 in die finnische Hafenstadt bringt.
Eine Stunde später ist es in Sachen Ausleuchtung auch nicht besser, als Sr3 3312 nahe Ilttula mit dem abendlichen IC 961 auf dem Weg nach Westen ist.
Nach zwei Stunden Intensivföning im böigen Wind, verlassen wir die eigentlich ganz nette Stelle und machen uns auf gen Turku, als sich plötzlich doch nochmal der Himmel auftut und wir spontan, in der Hoffnung auf ein Abschlusssonnenbild, über Sandpisten zurück zur Strecke hoppeln. Und siehe da, wir finden tatsächlich eine Stelle. Eine mit weitem Landschaftsblick und sich näherndem IC. Doch Minuten bevor er da ist, ist das Sonnenloch genauso schnell wieder zu, wie es sich geöffnet hat, und wir ziehen leicht angenervt von dannen.
Immerhin haben wir die Zeit genutzt und uns ein grobes Konzept für Morgen und eine Übernachtung gesichert. Letztere stellt sich als Automatenhotel heraus, mit dem Hauch einer besseren Jugendherberge. Aber es ist sauber, günstig und gut gelegen. Denn ist doch das Ziel für Morgen Früh quasi nur ums Eck.
Und da wären wir schon beim Plan, den wir uns vor und nach der Einnahme eines vorzüglichen Menüs, kredenzt in einem der angesagten amerikanischen Restaurants, ersonnen haben.
Nördlich von Turku gibt es zwei Dieselstrecken. Eine kurze zur Bedienung einer nahen Ortschaft mit Hafen und eine längere, die schon fast nach einer Zugverfolgung schreit. Sind für die erste jede Menge Bedarfstrassen im Fahrplan eingetragen, verspricht die letztere den Tag über nur bescheidenen Zugverkehr, dafür aber wohl mehr Fotomotive. Dazu kommt noch die Tatsache, dass sich hier vor Ort die Sonne ja morgen ziemlich schnell verkrümeln soll, unter dem Ansturm der Schlechtwetterfront, so dass wir sowieso weiter gen Norden, an die Linie von Tampere nach Pori, verschieben wollen.
Aber es gibt eine Möglichkeit hier auf unsere Kosten zu kommen. Frühes Aufstehen vorausgesetzt. Schließlich wollen wir noch das angebotene Frühstück mitnehmen!
Um kurz vor 8:00 Uhr steht ein Zug aus Naantali an, dessen im Fahrplan hinterlegte Bemerkung, dass er bei zu wenig Fracht ausfallen kann, wir geflissentlich erstmal ignorieren. Nur rund 15 Minuten später kommt dann auf der Nachbarlinie, von Uusikaupunki her, ein weiterer Güterzug. Sportlich, aber machbar.
Um schon mal zu kucken, schauen wir uns noch den Abzweigbahnhof Raisio an, in dem sich beide Linien trennen. So wirklich Motiv gibt es hier nicht. Und da, wo vielleicht etwas gehen könnte, stört um die Uhrzeit der Schatten eines mächtigen Speichers. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als zwischen den Strecken zu wechseln.
Und noch eine Erkenntnis bringt der Besuch! Über der Linie hoch nach Uusikaupunki hängt Strippe! Hm, ist jetzt etwas enttäuschend, denn laut Karte sollte das doch eine Dieselpiste sein. Und ich hatte mich doch schon so auf bisher meinerseits eher selten gemachte Dv12 Bilder gefreut.
Die anschließende Recherche im Netz bringt Aufklärung. Die Strecke ist zwar schon elektrifiziert, der Fahrdraht aber noch nicht in Betrieb. Hm, immerhin. Es gibt „Dieselbilder mit Draht“. Mit dem Kompromiss kann ich leben. Aber was wird man dort wohl fahren, damit sich das Elektrifizieren einer so langen Stichstrecke mit verhältnismäßig wenig Verkehr rentiert? Mit diesem Gedanken gleite ich hinüber ins Reich der Träume.