Spätsommer in Finnland (2/8)
Von Christof Hofbauer
Kouvola - Samstag, 21.08.2021Es gibt Tage, da muss man die Vorhänge einfach zulassen, um sich nicht bereits vor dem Gang unter die Dusche so richtig zu demotivieren. Und dieser 21. August im Jahre des Herren 2021 gehört eindeutig dazu.
Kein Tag an dem ich, wäre ich jetzt zuhause, ohne zwingenden Grund den Fotorucksack schultern würde. Im Gegenteil! Couch, ein Tee und ein guter Film wären wohl eher angesagt. Aber es ist ja Urlaub, und da ist alles anders.
Schon am Flur stehend, drehe ich nochmal um. Intuitiv bin ich nach dem Blick aus dem Gangfenster überzeugt, dass es doch besser sei, die dickste Jacke mitzunehmen, die sich in meinem Koffer finden lässt. Und diese Ahnung bestätigt sich schlagartig, als ich das Hotel verlasse. Es ist nicht nur dunkel und nass, nein, auch ein böiger Wind bläst einem jegliches Sommergefühl aus den Rippen. So freut sich der Mensch, wenn er mitten im August die Sitzheizung seines Mietwagens hochdrehen kann.
Mit leise summendem Auto nähere ich mich gerade der Parkplatzausfahrt, da kommt es auch schon zu ersten Unstimmigkeiten mit einer meiner beiden Mitreisenden. Ich wäre ja jetzt, meinem Bauchgefühl folgend, nach links abgebogen, auf direktem Weg raus zur Umgehungsstraße. Das elektronische Helferlein vor mir zeigt aber unmissverständlich nach rechts. Und damit auch gleich gar keine Diskussion aufkommt, wird selbige Weisung noch mit einer kräftig und bestimmt vorgetragenen Ansage bestätigt. Also gut, so früh am Morgen will ich mich noch nicht streiten. Zudem ist sie hier, im Gegensatz zu mir, zuhause.
Also einmal der Länge nach durch Kouvola. Gut, wenn ich ehrlich bin, hab ich immer noch Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Fahrtroute. Andererseits, ich brauche dringend noch Nahrungsmittel und Getränke. Musste ich doch eben, beim Durchschreiten des Foyers, das aufmunternde Klappern eins gerade im Aufbau befindlichen Frühstückbuffets aus Zeitgründen ignorieren. Zudem ist Vainikkala, das Ziel des heutigen Tages, wie ich vor vier Jahren leid- und qualvoll feststellen musste, weder mit einem Ortskern, noch mit irgend einer Art von Geschäftswelt gesegnet. Es ist einfach eine Ansammlung verstreuter Häuser mitten im Wald, mit übergroßem Bahnhof. Wer hier hungrig und durstig ankommt, bleibt es auch!
Also folgte ich brav den Vorgaben der munteren Dame und rolle geschwind, mit Tempo 30 km/h, einmal quer durch, von West nach Ost. Kein Verkehr, kein Problem …. aber auch KEIN Geschäft. Nicht mal eine Tanke lag am Wegesrand, als ich nach gut 10 Minuten Gezuckel endlich das Ortsschild passiere und gen Fernstraße strebe. So wirklich gebracht hat die ganze Aktion also nichts. Im Gegenteil, Zeit hab ich verloren und das Ernährungsproblem nicht gelöst. Erste Zweifel beginnen zu wachsen!
Immerhin ist mein Plan nicht in Gefahr. Hab ich doch bis zur Abfahrt des Fenniarail Zuges genügend Puffer eingeplant. Den will ich aber nun schon unbedingt haben. Sind doch die Züge von Openrail und eben Fenniarail, nach dem Corona bedingten Ausfall des Moskau-Schnellzugs und der Allegro, die einzig planbaren Highlights, die es neben dem VR eigenen Fahrzeugen im Grenzbahnhof gibt. Gut, ich hoffe natürlich auf den ein oder anderen Diesel der RZD, eigentlicher Hauptgrund, um ans Ende der Welt zu fahren. Aber von denen ließ sich vor vier Jahren auch den ganzen Tag keiner sehen. Daher eben nicht planbar.
Um so größer ist jetzt natürlich der Schock, der mir in die Glieder fährt, als mein Blick über die Anzeige des Navis schweift und dort, neben einem einladenden Pfeil nach recht, eine Ankunftszeit prangt, die über eine Stunde später ist, als die bisher prophezeite, und damit deutlich nach der Abfahrtszeit des Objekts der Begierde.
Jetzt weiß ich ja, dass südlich von mir eine Straße mehr oder weniger parallel gen Osten läuft. Aber warum, erst recht bei einer Stunde Zeitverlust, sollte ich da rüber wechseln. Stau? In so einer Länge, dass sich dafür ein so weiter Umweg lohnt? Bei dem spärlichen Verkehr heute Morgen mehr als unwahrscheinlich. Zudem ist die Straße breit genug, um ausreichend Platz zum Ausweichen, um was auch immer herum, zu bieten. Sperre? Dafür ist der Verkehr nun wieder zu viel und zu dicht. Auch die LKW die im Gegenverkehr unterwegs sind, sprechen dagegen. Also bleib ich stur und auf meiner Strecke! Kann die Gute doch rechnen und Pfeile zeichnen, wie sie lustig ist. Und sie hat wahrlich Durchhaltevermögen! Nach jeder von mir „verpassten“ Abfahrt, wirft sie ihre gesammelten Schaltkreise erneut an, nur um mir immer neue, abstruse Alternativen vorzuschlagen.
Kurz gebe ich ihr die Genugtuung mich endlich überzeugt zu haben, als ich eine der vorgeschlagenen Abfahrten nehme. Aber nur, um gleich darauf für eine tiefe, virtuelle Enttäuschung zu sorgen, weil ich, statt nun brav der Ausweichroute zu folgen, in einen Rasthof abbiege, um die fälligen Essens- und Getränkeeinkäufe zu tätigen. Dann geht es stur wieder hinaus auf die Hauptstraße. Das Kästchen beginnt innerlich vor Wut zu rauchen und rechnet neu.
Dann, weit über die Hälfte der Strecke bis Lappeenranta sind geschafft, tauchen tatsächlich die ersten Baumaschinen auf, ist der Teerbelag neu und wenig später sogar abgefräst. Nur von Sperrung keine Spur. Tempo runter von 100 km/h auf 80 km/h. Das war’s. Ansonsten geht es munter dahin. Mein Bauchgefühl hat also über die Dualsystem basierte Rechenleistung gewonnen. Mensch 1 – Technik 0! Yes!!!
Der Widerstand bricht bei der Abfahrt von der Schnellstraße. Zähne knirschend ergibt sich die Dame im Armaturenbrett der Realität und zeigt plötzlich wieder eine realistische Route an, mit einer Ankunftszeit, die eher meinen Vorstellungen entspricht. Doch einen Pfeil hat sie noch im Köcher. Um sich an mir für die Missachtung zu rächen, jagt sie mich unvermittelt links hinein in die finnischen Wälder. Nun ist es ja nicht so, dass ich nicht leidschaftlich Schotterpisten fahre, besonders in diesem Land, wo man gerne mal Längsbuckel in die Fahrbahn baut, damit das Wasser besser abläuft, die dann gewundene Wege quasi mit Steilkurven versehen, in die man ordentlich rein heizen kann. Und ich glaube dem Sammelsurium von Chips und Drähten auch gerne, dass das eine Abkürzung ist. Doch ich sitze in einem fabrikneuen Wagen und das Prasseln der Schottersteine gegen den Wagenboden tun mir in der Seele weh. Also schweren Herzens runter vom Gas, Spaß verloren und auch Zeit.
Ein Fahrer vor mir hatte dagegen wohl andere Probleme. Kopfüber liegt da nämlich ein Fahrzeug im Graben. Ob er es mit den Steilkurven etwas übertrieben hat oder ein gelangweilter Elch *BUH* Erschrecken spielen wollte? Ich weiß es nicht und ehrlich, es ist mir auch egal. Die Vorstellung alleine als Erster hier mitten im Wald an einen Unfallort zu kommen, ohne Handyverbindung und ohne Fähigkeiten wenigsten zu fragen, wo es weh tut, beschäftigt mich gerade ausreichen genug. Doch zu meiner grenzenlosen Erleichterung sehe ich, dass um Reifen und entlang des nach oben zeigendem Unterboden rot-weißes Flatterband gezogen wurde. Der Aus-, oder soll ich besser sagen Abflug, in den Graben liegt wohl schon etwas zurück und Hilfe bedarf es aktuell nicht, maximal noch die eines Krans!
Gleich danach ist auch dieser Off Road Abschnitt geschafft, ein kurzer Sprint noch über kurvigen Asphalt, dann heißt es bremsen. Mit 30 km/h fahren wir ein in die Metropole am Rande Finnlands.
Vainikkala, eine Ansammlung von lose verteilten Häusern, mitten im finnischen Nichts. Ein Bahnhof, der „über Nacht“ zum Grenzbahnhof wurde, als sich nach dem Krieg Länder verschoben und der Eiserne Vorhang Europe teilte. Ein Name, den wohl die wenigsten kennen würden, würden hier nicht die Netze von VR und RZD aufeinandertreffen. Ein Schienenstrang, der von hier bis nach Wladiwostok am Japanischen Meer reicht. Quasi, einmal um die „halbe Welt“.
War der Weg zur Brücke hinunter, die über den Bahnhofsteil tavara führt, schon immer gesperrt? Oder hab ich das Schild vor vier Jahren einfach nur ignoriert? Sähe mir gar nicht ähnlich. Laufen will ich jetzt nicht darunter. Nicht bei dem Wetter. Außerdem ist man dann unflexibel. Aber den Zug von Fenniarail möchte ich schon dort aufnehmen. Also, dann halt quasi von Hintenrum hin, vom Bahnhof her. Ist eigentlich sowieso ganz gut. So kann ich wenigstens von der großen Brücke dort mal nach dem Rechten sehen. Einen Überblick verschaffen und schauen, ob vielleicht schon was von der RZD drin steht.
Nö, aber Fenniarail ist da. Und die zwei üblichen Dr14. Im Gegensatz zu vor vier Jahren, sind die beiden Vertreterinnen ihrer Rasse schon in den grünen Farbtopf gefallen. Find ich nett.
Wenn ich schon mal da bin, dann kann ich ja mal schnell Richtung Grenze hinter. Schauen, ob die Schilderlage dort nun eindeutiger ist. Liebäugle ich doch immer noch mit dem Gedanken mich dort zu platzieren, um eventuelle Grenzgänger mit Wald im Hintergrund aufnehmen zu können. Der Plan stirbt aber schon im Ansatz. Nicht nur dass die Beschilderung weiterhin alle möglichen Interpretationen zulässt, ob der Weg zur Bahn nun erlaubt oder schon im Sperrgebiet liegt, nein, Max Maulwurf hat massiv zugeschlagen. Links und rechts der Gleise ist alles wie abgefräst, neue Schienen, neuer Schotter, neue Masten und ein neuer Zaun! Dessen Tor steht zwar einladend offen, doch seit den Erlebnissen in Südafrika 2014, hab ich eine ausgeprägte Phobie gegen solcher Art Durchlässe.
Rein optisch hat der Standort sehr gelitten. Darum halte ich mich nicht lange auf um jemanden uniformierten zu finden den ich fragen kann, ob ich hier legal fotografieren könnte. Dann lieber wieder zurück auf die andere Seite und zwischen asema und tavara Stellung bezogen. Mehr Verkehr und ein gemütlicheres Warten sind hier garantiert. Und was die Motive angeht….
O.k., wer hier irgendwas wie ein großartiges Motiv erwartet, ist völlig falsch. Hier geht es einzig und alleine um den Betrieb und das Flair eines Grenzbahnhofs. Motive gibt es wo anders. Würde ich meine zwei noch folgenden Mitreisenden hier her verschleppen um einen ganzen Tag im Schotter zu stehen, sie würden mich langsam in Käsefondue ertränken, um mich anschließend Gian & Giachen, den beiden Graubündner Steinböcken, zum Fraß vorzuwerfen. Kein erhöhter Standort am Gegenhang, kein weiter Landschaftsblick, kein Panorama, und auch die Drohnen kann man nicht steigen lassen, ohne damit einen unvermeidlichen Start finnischer und russischer Abfangjäger zu provozieren.
Hier gibt es nur Gleise, Schotter, Gebäude und sonstigen Krimskrams, und eine Dr14, die gerade mächtig wummernd eine Rangiereinheit aus dem Bahnhofsteil asema zieht.
Die aus Russland kommenden Güterzüge enden in der Regel in Vainikkala asema. Dort stehen zwei der schweren Rangierloks der Reihe Dr14 bereit, um die Züge zu teilen und für die Weiterfahrt ins Landesinnere neu zusammen zu stellen. Dr14 1870 gehört zu den Maschinen, die aufgrund fehlender Zugsicherungstechnik nur für eine Höchstgeschwindigkeit von 35 km/h zugelassen sind.
Nun steht die Ausfahrt des Fenniarail Zuges an, der von einer Dr18 gezogen wird, einem Effishunter1600 aus dem Hause CZ Loko. Bekanntermaßen stecken hinter der Bezeichnung modernisierte Maschinen auf Basis von 770/771/S200 oder ČME3. Und damit schon eigentlich nicht mehr ganz so exotisch, wie man im ersten Moment beim Gedanken an eine tschechische Lokschmiede meinen könnte. Wäre es theoretisch doch durchaus möglich, dass von russischer Seite eine solch Original-Hummel in den finnischen Bahnhof gerollt kommt.
774 713-2 von Fenniarail hat in Vainikkala asema einen Holzzug, bestehend aus mit Birken beladenen Wagen der RZD, übernommen, um ihn als T7102 in Richtung Kouvola zu bringen.
Ich finde ja immer spannend, dass die Maschinen mit Nummer beschriftet sind, die dem tschechischen Nummernsystem entstammen. 774 für ein Hummel Derivat und die 7 in der laufenden Nummer für „Industrielok“. Nur an den beiden Führerstandseiten steht, etwas verschämt, die finnische Nummer Dr18 103.
Punkt eins der Tagesordnung hat also geklappt. Auch wenn die Tatsache, dass ich genau diese Maschine schon beim letzten Besuch, übrigens als bisher einzige von Fenniarail, fotografiert habe noch schwerer wiegt, wie das fehlende Licht. Lässt sich doch gegen letzteres in Photoshop noch so dies und das tun. Gut, gegen die Nummer auch… aber das wäre dann gelogen.
Auf dem Rückweg zum Auto, kurz noch ein Blick hinunter auf die Gleise des Bahnhofsteils tavara. Die Zahl der dort abgestellten Güterzüge gibt zur Hoffnung Anlass, dass sich in Sachen RZD Lokomotiven heute mal was tun könnte.
Da es bis zu Punkt zwei erwähnter Tagesordnung, der Ankunft des ersten Operail Zuges, noch eine gute Stunde ist, platziere ich mich wieder zwischen den beiden Gleisharfen. Laut Julia ist eigentlich bald der erste Grenzgänger fällig. Doch von Osten her ist Ruhe und die genannten Zeiten verstreichen, ohne dass sich ein Rad bewegt. Dafür nähert sich von Süden ein heftiges Gewitter. Sturzflut artig ergießt sich Wasser über meine Scheiben, der Wind rüttelt kräftig am Auto und Blitz und Donner toben durch den Himmel. Ideale Voraussetzungen dafür, mich für den gleich ankommenden Operail Zug rauszustellen. Mit wachsender Nervosität wandert mein Blick von der Karte mit der sich nähernden Zugnummer, hinauf zum Himmel, das Ende der ziehenden Gewitterfront herbeisehnend.
Bis zum letzten Moment hab ich gewartet, dann bin ich wieder nach hinten zur Brücke gefahren. Jetzt stehe ich hier, auf einem Gebilde aus Stahl und nassen Holzbohlen, geduckt unter meinem kleinen Regenschirm, der zum ersten Mal seit in meinem Besitz ist, mich vor Niederschlag schützt und nicht vor zu heftiger Sonne. Noch immer blitzt und grollt es, aber mittlerweile alles etwas nördlich von mir. Und ich hoffe inständig, dass nicht noch ein Nachzügler unterwegs ist, während sich hinten an der Einfahrt schon verstohlen Spitzenlichter im Regengrau zeigen. Mit ISO-werweißwieviel angesetzt, dann zurück ins Auto. Trockenlegen!
Während das schwere Gewitter noch mit Blitz und Donner nach Norden abzieht, erreicht 29016 von Operail im strömenden Regen als VET17301 Vainikkala.
Ein Blick auf das Kamera Display lässt nur mit Mühe Kontraste erkennen, hatte ich doch im letzten Moment die ISO nochmal herunter gedreht. Rauschvermeidung. Nun muss ich beim Bearbeiten allerdings ordentlich Licht rein hauen, was der Körnung nun auch nicht gerade gut tut. Photoshop hilf! Es heißt quasi den Teufel mit Beelezebub austreiben. Tja, auch die digitale Fotografie stößt irgendwann an ihre Grenzen. Aber zu analog Zeiten hätte ich heute gleich im Bett liegen bleiben können. Zumindest, nimmt man lichtmäßig den bisherigen Tagesverlauf als Maßstab.
Wieder vorne in der „Wartezone“ ist auch die Dr20 noch da. Hoffend auf baldigen Einlass steht sie vor dem Signal. Zeit mir die Gute mal etwas genauer anzuschauen. Also raus in den Niesel. Ich bin ja schließlich nicht zum Spaß hier!
Ganz ehrlich, so in Natura sieht die Reihe gar nicht so hässlich aus, wie auf den Bildern. Gut, die Schnauze mit den beiden Höckern hätte man vielleicht etwas anders designen können. Aber sonst…. Und der Motorenklang ….. *seufz* ….. Erleichterung für Personal und Umfeld durch Flüsterdiesel hin oder her, so muss eine moderne Diesellok klingen, denk ich mir, als sich der Koloss wummernd in Bewegung setzt.
Ich schaue ihr noch hinterher, wie sie sich langsam durch die Gleisharfe schlängelt und denke: „Ach, eigentlich ganz nett. Hat sich schon rentiert heute hier her zu fahren! Nur die Lackierung…..“
Ja, was sich die Esten dabei gedacht haben! Zwei trübe, schmutzige Blautöne! Dazu das skurrile Firmenlogo. Tut das optisch hier schon nichts für die Dr20, verkrampft sich mir der Magen bei dem Gedanken, dass dafür die C36-7i drüben in Estland ihre schöne, rot-gelbe Lackierung verlieren …. *brrrr* !
Nässe und Wind treiben mich wieder ins anheimelnde Innere meines Hybrids. Und während ich mich dort noch via Internet mit dem bisherigen Lebensweg der GE PH37ACai befasse, ploppt etwas orange-rotes in meinem Sichtfeld auf. Erst verstohlen, dann langsam immer größer werdend. Alles fliegt! Kamera geschnappt, gerade noch das Handy in die Tasche bekommen, schon steh ich draußen, mit strahlenden Augen, und habe Puls. Jetzt nur nichts falsch machen!
Für den Grenzabschnitt zwischen dem russischen Бусловская (Buslovskaya) und dem finischen Vainikkala setzt die RZD Dieselloks ein. Grund sind die unterschiedlichen Stromsysteme, die ansonsten den Einsatz von Mehrsystem-Elloks nötig machen würden. Gerade setzt ein Pärchen, bestehend aus ТЭМ18ДM 1121 und 1123, in Vainikkala um, um gleich darauf leer wieder in Richtung Osten zu entschwinden.
Was mir vor vier Jahren verwehrt geblieben war, hat heute geklappt! Endlich! Gut, dafür gibt es keine RZD-Ellok, aber das kann ich im Augenblick gerade ganz gut verschmerzen.
Warum die ganze Aufregung? Es sind doch nur russische Loks! Wohl wahr! Aber so schnell werd ich wohl nicht nach Russland kommen, um die Maschinen dort in ihrem heimischen Revier in Massen aufnehmen zu können. Zudem ist es, wie schon eingangs beschrieben, das besondere Flair der Situation. Kindliche bzw. jugendliche Konditionierung geht eben nicht so leicht aus der Wäsche. Ich sag nur Nebeltag in Daberg an der Strecke von Furth i.W. hinüber nach Domažlice, anno 1982!
Aber wir sind jetzt hier nicht in der herbstlichen Oberpfalz, sondern in Finnland. Und hier ist jetzt Action angesagt. Denn kaum sind die beiden orange-roten dem Blick entschwunden, kommt von links ein weiteres Doppelgespann herein, welches optisch und technisch nicht gegensätzlicher sein könnte.
Von Westen rollen Sr2 3240 und 3242 als Leerfahrt heran, um wenig später einen Güterzug zurück ins Landesinnere zu bespannen.
Sr2 hier in Vainikkala? Das gab es beim letzten Besuch auch noch nicht. Damals war die Strecke hierher noch eine reine Domäne für die Sr1. Macht sich hier auch schon langsam die stetige Auslieferung der Vectron bemerkbar? Wenn die neuen Maschinen in Leistungen der Sr2 vordringen, können die ihrerseits wieder die Sr1 verdrängen und so langsam aber sicher auf’s Altenteil schicken.
Wer im übrigen beim letzten Bild mal genauer hingesehen hat, dem ist vielleicht der Hauch von Blau aufgefallen, der sich in zwei Flecken im linken oberen Eck zeigt. Und tatsächlich, in die ansonsten in Grautönen changierende Wolkendecke reißt es unvermittelt das ein oder andere blaue Loch. Eines davon groß genug und genau richtig platziert, um die ewig rangierende Dr14 in einen Sonnenspot zu tauchen. Hatte ich zwar eben schon die Gute, aber was soll’s! Die Beleuchtung ist gerade so nett.
Der blaue Fleckt da oben bringt mich auf eine Idee. Ob es eine gute ist, entscheide ich dann später. Ich könnte doch die Chance auf Licht dafür nutzen, die zweite, untätig im Vorfeld stehende, Dr14 abzulichten und so meinem Archiv zwecks Vervollständigung zuführen.
Gesagt, getan. Und wenn man eh schon mal rollt, kann man auch, rein aus Interesse, mal auf die Ostseite des Bahnhofs schauen, ob die beiden Russen sich vor einen Güterzug gesetzt haben oder gleich gen Heimat durchgefahren sind.
Erkenntnis 1 der Aktion: Die beiden RZD-Maschinen sind nirgends zu sehen und somit vermutlich schon wieder drüben.
Erkenntnis 2: Man hat nicht nur die Ostseite großzügig neu eingezäunt, auch auf der Westseite des Bahnhofs Vainikkala ist massiv Draht gewachsen.
Erkenntnis 3: Die Tage meiner Sportlichkeit sind klar vorbei! Ich sollte dringendst etwas für meine Fitness tun!!!
Aber der Reihe nach. Die Ostaufahrt zeigt nur „unbelokte“ Enden diverser Güterzügen. Die beiden RZD-Maschinen müssen also ohne Fracht wieder nach Бусловская (Buslovskaya) hinübergewechselt sein. Daher kehrt Marsch und die Dr14 fotografiert, bevor das Licht noch trüber wird. Das Loch in den Wolken beginnt sich nämlich langsam wieder zu schließen. Hätte ich mal doch gleich das Foto gemacht. War jetzt irgendwie sinnlos dahinter zu fahren, denn welche Erkenntnis hätte mir die Tatsache gebracht, wären die beiden dort an einem Zug gestanden? So hat mir die Aktion wahrscheinlich nur ein Sonnenbild der Dr14 gekostet.
Wieder auf der Westseite angekommen der nächste *urgs*-Moment. Der Zaun neben den Gleisen ist auch hier gewachsen und zieht sich jetzt deutlich weiter in Richtung Brücke. Und damit auch vor die Dr14. Kamera am langen Arm hoch über dem Kopf im Live-View Modus wäre die einzige Alternative, ist doch der Schutz für keine Ahnung wen, vor keine Ahnung wem, so seine zwei Meter hoch.
Aber ich weiß nicht, ob so eine Aktion gerne gesehen wäre. Schließlich ist dies hier immer noch ein Grenzbahnhof. Das letzte Mal, als ich das weiter vorne beim Moskauer Schnellzug so gemacht habe, um die eingefahrene EP20- noch mit Zug am Bahnsteig zu erwischen, hatte ich vorher geguckt, dass keiner guckt.
12.08.2017 – Gerade hat EP20-044 mit dem, von Moskau her kommenden, P32 den finnischen Grenzbahnhof Vainikkala erreicht. Gleich wird die Zweisystem Maschine abspannen, um danach leer wieder in Richtung Russland zu rollen. Erst am späten Abend trifft der Gegenzug hier im kleinen Grenzort ein, den dann die Maschinen wieder übernehmen wird.
Jetzt kuckt aber einer! Besser gesagt, gleich zwei Menschen mit gelber Warnweste, wohl Eisenbahner, beäugen mich und mein Tun äußerst argwöhnisch. Ob jetzt aus Interesse oder Verwunderung, schließlich gibt es aktuell eigentlich keinen Grund hier zu sein, es sei denn man ist Eisenbahner oder Polizist, oder aus Missbilligung kann ich nicht sagen. Ich räume trotzdem lieber das Feld. So toll würde das Bild nun auch nicht werden, um dafür vielleicht die großen Diskussionen führen zu müssen. Alternative? Brücke, ganz klar.
Also das Auto gegenüber neben dem Schotterwegs geparkt, Rucksack geschultert und die Rampe hinauf gehetzt. Schließlich will ich oben sein, solange noch ein Hauch von Licht ist.
Während links Dr14 1870 fleißig im Bahnhofsteil asema hobelt, steht rechts Dr14 1857 auf Reserve. Dazwischen hat sich 29016 von Operail vor einem Kohlezug platziert.
Während ich noch kräftig hechelnd auf der Brücke hin und her laufe, im Bestreben, möglichst wenig Masten vor die Loks, und möglichst viel Licht aufs Bild zu bringen, lösen unüberhörbar die Bremsen des Kohlezugs. Nein, bitte nicht! Doch, sie lassen die Operail Leistung wohl etwas früher auf die Strecke.
Einige Sekunden lang verharre ich, hin und her überlegend, ob ich es mit einem beherzten Sprint noch hinbekomme, rechtzeitig unten am Auto und vor dem Zug hinten an der Brücke zu sein, oder ob es besser ist, zu kapitulieren und von hier einen Notschuss zu machen. Nein, definitiv keine Option. Also Sekt oder Selters. Atemnot und Herzrasen oder Gruselbild. Glückgefühle oder ein von Herzen kommendes „ach hätte ich bloß ….“!
Mit der Eleganz eines Kastanienmännchens eile ich die Rampe wieder hinunter zum Auto. Dabei in Knie und Hüfte federnd, als hätte ich wie ein ebensolches Beine aus Schaschlikstäbchen. Ich bin noch nicht unten, da ist die Maschine schon wummernd unter der Brücke durch. Äch, jetzt noch den Wassergraben umlaufen. Das mit Springen klappt bestimmt nicht mehr. Rucksack auf die Rückbank und schon geht sie los, die wilde Fahrt. Schotter spritzt, und während ich noch nach Luft ringe, springt das Auto förmlich über die Schlaglöcher. Trotzdem, ein gutes Viertel des Zuges ist schon durch. Aber er ist langsam, und ich bin schnell.
Hart arbeiten die 16 Zylinder neben mir, dringt ihr Wummern trotz eigenem Motorengeräusch, dem Poltern des Fahrwerks und geschlossener Scheiben an mein Ohr. Jetzt schon neben mir, dann von hinten. Jawohl, ich schaff’s! Schließlich muss er auch noch durch die Weiche und sich aufs Hauptgleis einfäden. Das reicht! Schon stehe ich auf der Brücke, die letzten Meter wieder gerannt, messe ein und genieße.
Sicht- und hörbar schwer tut sich 29016, um den schweren Kohlezug aus dem Bahnhof Vainikkala asema heraus zu beschleunigen. Das es gleich hinterm Bahnhof bergan geht, erleichtert das Vorhaben nun auch nicht gerade. Als T 7302 ist der aus russischen Wagen bestehende Zug auf dem Weg nach Kouvola.
Russische Kohle für den Export via finnischer Häfen. Was etwas überrascht, betrachtet man Bauart und Zustand der Wagen, ist die angeschriebene Geschwindigkeit von 120 km/h. Kann das wirklich sein?
Alles richtig gemacht. Zufrieden schlendere ich wieder zurück zum Auto. Erst mal ein kräftiger Schluck aus der Pulle. Dann geht es wieder „nach vorne“. Doch kaum auf meinem Aussichtplatz zwischen asema und taverna angekommen, setzt sich die nächste Fuhre in Bewegung. Diesmal sind es die beiden „Schweizerinnen“, die den stark verspäteten T 2660 in Schwung bringen. Also wieder zurück das Ganze!
Mit gut eineinhalb Stunden Verspätung brechen Sr2 3242 und 3240 auf. Am Haken haben sie den schweren T 2660 nach Kotka Mussalo.
Wie schon die Dr20 vor ihnen, haben die beiden auch mächtig zu kämpfen. Hängt doch eine schier endlose Schlange von Kessel- und Silowagen am Haken. Schaut man sich den Zug an wird klar, warum man für die Leistung zwei „Schweizer“ eingeteilt hat. Denn so sehr ich die Sr1 auch mag, mit der Last wäre auch eine Doppeltraktion wohl hoffnungslos überfordert gewesen.
Während sich das Summen der beiden Sr2 langsam entfernt, poltert dumpf Wagen für Wagen unter mir durch. Es will irgendwie kein Ende nehmen.
Methanol auf dem Weg nach Westen. Zusammen mit einer langen Reihe weiterer Kesselwagen, bringt 50767086 dieses Ladegut aus Russland.
Noch eine ganze Weile schaue ich dem Zug hinterher, der kaum Fahrt gewinnt, dann geht es wieder zurück zum Ausguck und die Spannung steigt. Glaubt man Julia, steht nämlich demnächst wieder eine Leistung aus und wenig später ein Zug nach Russland an. RZD-Alarm …. wenn denn diesmal etwas kommt.
Und es kommt! Immer wieder war der Blick hoch gegangen, weg vom Handy Display, auf dem ich schon mal etwas den morgigen Tag plane, hin zu den Gleisen von Vainikkala asema. Dann, als ich beinahe überzeugt bin, auch diesmal ist die Trasse nur eine Trasse im Plan, kommt etwas grau-rotes heran, was mein Herz augenblicklich höher hüpfen lässt.
Gehofft hatte ich ja ganz, ganz tief in meinem Herzen. So wirklich ersthaft dran geglaubt, aber eigentlich nie. Nämlich daran, dass noch etwas anderes den Weg über die Grenze finden würde als TEM18DM. Und ich war ja auch schon zufrieden, wenigsten die mal heute erwischt zu haben. Aber was jetzt hier auf mich zurollt ist natürlich vom Feinsten. Schade nur, dass gerade jetzt „Licht aus“ ist!
2M62-0522 der RZD auf dem Weg nach Vainikkala tavara, um sich dort vor eine lange Reihe leerer Holzwagen zu setzen.
40 Jahre hat die Gutste schon auf dem Buckel. 40 Jahre harten Dienst, die man ihr trotz „neuer“ Lackierung auch irgendwie ansieht. 1981 hat sie mit der Fertigungsnummer 4280/4277 in Voroshilovgrad das Licht der Welt erblickt und seit Ende der 1990er ist sie, mit einer Unterbrechung, im Depot TCh-11 Vyborg stationiert. Glaubt man dem Internet, haben die dort nur noch ganze 6 Maschinen dieser Reihe, die 0522 miteingeschlossen, in Betrieb.
Kein Wunder also, dass ich das Grinsen aktuell gar nicht mehr aus dem Gesicht bekomme.
Zwischenzeitlich hat sich der Doppeldiesel vor eine lange Garnitur leerer Holzwagen gesetzt. Das Lokpersonal ist abgestiegen, hat freundlich winkend herübergegrüßt und macht sich jetzt dran, die Luftleitung anzuschließen und die Wagen zu kontrollieren.
Noch während ich mich etwas für einen Querschuss verschiebe, schiebt sich hinter der grau-roten Doppellok ein anderes russisches Doppel in die Szenerie. Zwei Bahnen, zwei Traktionsarten, ein Herstellungsland. Taigatrommel trifft Siperian Susi!
Während 2M62-0522 auf die Ausfahrt mit einer Schlange leerer Holzwagen in Richtung Heimat wartet, setzt Sr1 3016, zusammen mit der noch verdeckten Sr1 3042, von einem eben eingefahrenen Zug ab.
Kaum zu glauben. Die Sr1 3016 ist die ältere der Beiden. Von 1973 an wurde die Reihe geliefert. Und mit Baujahr 1975 stand die Ellok bereits auf Schienen, als das Erz für Blech und Rahmen der 2M62 noch tief in der Erde geschlummert hat.
Kurzzeitig lass ich die Trommel, Trommel sein und widme mich dem anderen Russenpärchen, dass sich jetzt anschickt, sich nach kurzer Sägefahrt auf ein Nebengleis in tavara zu stellen, um dort darauf zu warten, eine Rückleistung zu übernehmen.
Zusammen mit Sr1 3042 hat Sr1 3016 den T 2455 nach Vainikkala tavara gebracht. Nun setzen sie ab, um einige Gleise weiter auf die Gegenleistung zu warten.
Dann steht die Ausfahrt für den Diesel und es geht los. In gespannter Erwartung auf das bekannte Trommeln stehe ich da, und werde enttäuscht! Die Zuglast stellt für die Dame in den besten Jahren keine große Herausforderung dar. Zügig und ohne großes Tamtam, oh sorry, trommeln nimmt sie Fahrt auf. Immerhin, die beiden Lokführer scheinen meine Enttäuschung gespürt zu haben und widmen mir wenigstens noch eine kleine Abgasfahne fürs Bild, bevor sie mich, erneut freundlich lachend und winkend, passieren.
Keine große Mühe hat 2M62-0522 um den, nur aus leeren Holzwagen bestehenden, PAR 63648, hinüber nach Бусловская (Buslovskaja), in Schwung zu bringen.
Kaum Zeit bleibt mir nach dem Verschwinden des Leerzuges mein letztes Sandwichs zu essen, da betreten die nächsten Protagonisten die Bühne vor mir. Der Mann am großen Trafo dort oben, meint es heute wirklich gut mit mir. Und da sich jetzt auch noch häufiger die Sonne zwischen den Wolken blicken lässt, fehlt es nicht an Bewegung.
Während der Bahnhofshund sich um einige abgestellte, russische Güterwagen kümmert, die er mit etwas Mühe und unter Protest festsitzender Bremsen wenig später los zerrt, ist dahinter schon wieder der nächste Güterzug gen Osten angekommen. Macht Hoffnung, dass eine der demnächst anstehenden Plantrassen von und nach Бусловская (Buslovskaja) noch genutzt wird.
Gruppenbild mit Dr14. Während 1870 sich gleich um abgestellte RZD-Wagen kümmert, warten im Hintergrund zwei Sr1 Pärchen darauf, sich in Bewegung setzen zu können.
Zusammen mit Sr1 3072 hat die führende 3052 einen weiteren Güterzug in Richtung Osten nach Vainikkala tavara gebracht. Jetzt setzen sie ab, um nach asema hinüber zu wechseln. Dort wartet schon die nächste Leistung zurück ins Landesinnere.
Die Lebensuhr der Sr1 läuft unwiderruflich ab, wie man am Unterhaltungszustand einige Maschinen deutlich sehen kann. So wie hier bei Sr1 3052, die bis auf den grünen Balken an der Front, noch die rot-graue Lackierung trägt.
Noch kurz schau ich den beiden reifen Damen nach, wie sie sich drüber im Bahnhofsteil asema einsortieren, dann geht der Blick schon wieder nach links. Die nächste Operail Leistung steht nämlich an. Es ist wieder Dr20 Alarm.
An die Brücke hinter fahren werd ich nicht. Schließlich gab es da schon mal, wenn auch im Regen, ein Bild von einer Solo einfahrenden Lok dieser Reihe. Also diesmal hier, beim obligatorischen Halt von dem Einfahrtssignal. Das genau jetzt die Sonne wieder hinter der nächsten Wolkenkante verschwindet ist natürlich doof.
Als Leerfahrt mit der Nummer VET 17311 hat 29010 Vainikkala erreicht. Jetzt heißt es kurz vor dem Einfahrtssignal warten, bevor es hinein in den Bahnhofsteil asema geht, um dort einen Güterzug aus Russland zu übernehmen.
Das sonore Brummen des Diesels ist noch nicht richtig verklungen, da kommt auch schon wieder etwas von Links. Diesmal ist es ein langer, schwerer Kesselzug, der hinter zwei Vectronen die Rampe herunter gerollt kommt. Fein! Meine ersten finnischen Vectron die ich auf den Chip bekomme, nachdem ich gestern schon mal einen bewundern durfte, ohne ein Bild davon anzufertigen. Aber warum muss es dafür jetzt gerade so dunkel sein. Für mein Erstlingswerk hätte ich mir schon etwas Theaterbeleuchtung gewünscht.
Puh, das war ja jetzt mal ordentlich Programm. Zeit gemütlich zu relaxen! Eigentlich. Denn jetzt kommt das, auf was ich im tiefsten Grunde meines Herzens schon längst gewartet habe. Ein VW-Bus schiebt sich heran, drin zwei Herren der Sorte finnischer Bär. Typen, mit denen Du gerne mal auf ein Glas oder in die Sauna gehen würdest, aber auf keinen, ja auf gar keinen Fall in den Infight.
Man sieht mir wohl den Ausländer an, denn die Frage kommt sofort auf Englisch: „Fotografieren sie hier Eisenbahn?“. Hm, die Kamera in meiner Hand und der Blick hinüber über die Gleise haben mich wohl verraten, wie es scheint. Ich bejahe und es entspinnt sich sofort eine nette Konversation. Wo ich denn her käme, ob das mein Hobby sei, wo ich aktuell übernachten würde, wann ins Land gekommen, wie lange ich bleiben würde, ….? Sehr wissbegierig die beiden freundlichen Herren.
Aber natürlich machen sie nur ihren Job! Und so folgt auch die unvermeidliche Frage nach Pass oder Ausweis. Der ist schnell geholt, schnell kontrolliert und auf den Scanner gelegt und schon geht die muntere Plauderei weiter. Zum Abschluss dann noch der mit einem Augenzwinkern hervorgebrachte Hinweis, nicht zu nahe an die Gleise zu gehen. Dann sind die beiden verschmitzt lächelnden Vertreter des finnischen Gesetzes auch schon wieder entschwunden.
Bei der Gelegenheit mal ein ehrlich gemeinter Dank an all die Menschen, die mit ihrem Einsatz dafür sorgen, dass wir nachts gut schlafen können.
Ach übrigens, auch wenn die Gelegenheit jetzt da gewesen wäre, die Frage, ob man auf der östlichen Bahnhofsseite an der Ausfahrt fotografieren darf, hab ich mir erspart. Ersten ist da das Umfeld aktuell so verwüstet, dass man gar kein Foto machen möchte, zum anderen, ich werde heute nicht mehr hinter fahren, und sollte ich irgendwann mal wieder herkommen, ist die Auskunft die mir irgendwelche zwei Herren von der Grenzpolizei mal irgendwann gegeben haben, auch kein gutes Argument mehr.
Noch während ich meinen Pass verräume, schleichen sich die beiden Sr3 nochmal heran. Und da etwas Licht ist und ich so die vorhin an zweiter Stelle laufende Sr3 3317 fürs Archiv ablichten kann, drück ich ab. Auch wenn das Umfeld jetzt nicht gerade kalendertauglich ist.
Verwundert kann ich beobachten, dass die beiden Siemens Maschinen sich genau hinter den Zug setzen, den sie vor einer halben Stunde hier her geschleppt haben. Warum nun das? Als dann auch noch der Zugschluss angeht, nachdem sie sich an die Kesselwagen gesetzt haben, steigert sich die Verwirrung noch mehr. Einzig logischer Schluss wäre, dass der Kesselzug so schwer ist, dass die beiden dem/den russischen Diesel/n Schub geben müssen, damit diese/r die Fuhre aus dem Bahnhof bringt/en. Ist aber jetzt auch wieder unlogisch, denn dieselelektrische Maschinen im Kriechgang sollten das auch alleine schaffen.
So grübel ich etwas vor mich hin, bis es Zeit ist, nach hinten zur kleine Brücke zu verschwinden. Fenniarail nähert sich. Und vom Himmel strahlt es hell. Perfekt!
Weniger perfekt ist, dass die Maschine, die den aus leeren, russischen Holzwagen bestehenden T 7103 nach Vainikkala bringt, die ist, die ich nun bereits zum dritten Mal fotografiert habe. Wieviel Glück gehört denn bitte da dazu. Jetzt hätte Fenniarail doch so einige Loks mehr und ich erwische an zwei Tagen, in zwei unterschiedlichen Jahren immer die Gleiche. Ich sollte vielleicht mal Lotto spielen….
Jetzt, wo so schön die Sonne scheint, mach ich auf dem Weg zurück zum Ausguck noch einen kurzen Abstecher auf die Ladestraße von tavara, um von dort die beiden wartenden Sr1 im Licht zu fotografieren. Aber die sind so gekonnt hinter Masten geparkt, dass zwar ein Belegbild entsteht, aber halt nicht mehr.
So dauert es bis zur Rangierfahrt der Fenniarail Maschine, bevor der Auslöser das nächste Mal berechtigterweise durchgedrückt wird.
Kurz nach 17:00 Uhr meint die Uhr und ich überlege so langsam aufzubrechen. Eigentlich bin ich ja schon mit allem durch. Doch einmal Russe(n) würde ich gerne schon noch mitnehmen. Und vielleicht ergibt sich ja ganz nebenbei auch noch die Auflösung des Sr3 Rätsels.
So warte ich noch ein bisschen, nehme das Ausrücken der beiden geparkten Elloks mit einem Hauch von Streiflicht auf, bevor sich tatsächlich rechts von mir wieder etwas orange-rot-graues zwischen den Güterwagen zeigt.
Wieder sind es die beiden TEM18DM von heute Vormittag die gedieselt kommen. Ein wenig schade, gegen nochmal einen „neuen“ Satz Maschinen fürs Archiv hätte ich ehrlich gesagt jetzt nichts gehabt. Aber das wäre dann wohl auch des Glücks zuviel gewesen. Und von Haus aus unwahrscheinlich. Denn warum sollte man im Grenzbahnhof auf der anderen Seite so viele verschiedene Loks vorhalten? Nur um Eisenbahnfotografen ausreichend zu bespaßen?
Als noch einmal die Sonne rauskommt, gibt es einen Querschuss, wobei die Freude über „Licht“ durch den Mastensalat doch getrübt wird. Auch das Foto 6-Achser neben 6-Achsern bei der Ausfahrt des Fenniarail Zuges wird noch angestrahlt. Dann trödelt der Ostfahrer aber einfach zu lange. Und als sich die beiden TEM endlich in Bewegung setzten, ist die Sonne Augenblicke davor bereits wieder hinter den Wolken verschwunden. So geht es für den Lokführer und seinen Beimann, der entweder ein ganz junger Auszubildender oder eher der Sohn ist, im Dunkeln vorbei am Fotografen.
Während sich dunkle Wolken über den Himmel schieben, fällt ein Sonnenspot auf die in Vainikala tavara wartenden ТЭМ18ДM-1123 und 1121 der RZD.
Fast mühelos ziehen die beiden Loks den Zug durch das Gleisgewirr von Vainikkala. Ich schaue noch zu, bis die Wagenschlange quietschen und ächzend an mir vorbeigefahren ist, dann packe ich langsam zusammen. Eine Anfrage bei Julia hat ergeben, dass planmäßig nun erstmal nichts zu erwarten ist, und der Blick an den Himmel lässt zudem stark vermuten, dass „Dunkel“ für heute hier wohl das neue „Hell“ ist.
Also Abmarsch. Es lockt das Abendessen, so sättigend und lecker waren die beiden belegten Brötchen jetzt nun nicht wirklich gewesen, und die Aussicht, evtl. unterwegs doch noch das ein oder andere Sonnenbild zu machen. Westlich von mir zeigen sich nämlich große, blaue Löcher dort oben.
Ein letzter Blick von der Brücke. Die beiden Sr3 stehen immer noch mit leuchtendem Zugschluss hinten an den Kesselwagen. Das andere Ende des Zuges ist von hier aus nicht einzusehen und meine Neugierde nicht groß genug, nochmal zum Ostkopf zu fahren. Also verlasse ich den Grenzort für heute, mein Navi nun komplett ignorierend. Weder die Abkürzung durch den Wald, noch die Vielzahl der angebotenen Alternativrouten zur „gesperrten“ Schnellstraße nehmend, komme ich schnell vorwärts.
Und auch wenn es rollt, zu einem Sonnenbild unterwegs kommt es trotzdem nicht. Scheint die Glühmurmel ungehindert vom Firmament, ist keine Fotostelle vorhanden. Gäbe es etwas zu stellen, schieben sich dunkle Wolken vor die Sonne und tauchen alles in trübes Grau.
Am Ende fahre ich, mit abnehmender Motivation, das Katz und Maus Spiel noch länger mitzumachen, durch bis Kouvola. Dort zeigt sich der Himmel großflächig blau, mit einem sanften Hauch von Schmodder, und so reift spontan der Gedanke, dem Bahnhof einen kurzen Besuch abzustatten. Mal schauen was da so rum steht.
Aufgereiht stehen sie am letzten Bahnsteig. Drei Sm2, wartend auf die nächsten Einsätze rund um Kouvola. An der Spitze der noch rot-beige Sm2 6298, dahinter ein ergrünter Bruder, sowie eine weitere rot-beige Garnitur.
Am Stumpfgleis weiter vorne steht ein Vectron in der Sonne. Der muss natürlich auch noch aufs Bild. Genauso wie evtl. die ein oder andere der im Bw abgestellten Sr1, sofern deren Nummer(n) sich noch nicht im Archiv befinden. Dazu muss ich Bahnsteig wechseln. Und bei der Gelegenheit kann ich dann auch gleich ein Bild von der im Bahnhof abgestellten Einstöcker-Garnitur machen, die mittlerweile mehr als rar auf finnischen Schienen geworden sind. Warum ich dann aber wirklich nur den letzten Wagen fotografiere, kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen. *grmbl*
Am Ende einer selten gewordenen Garnitur aus Einstöckern stet Eil 25040 im letzten Licht des Tages im Bahnhof von Kouvola.
Sr1 3092 stehen gleich zwei Maschinen der Reihe abgestellt im Betriebswerk von Kouvola, die ich bis dato noch nicht fotografiert habe. Da freut sich der Sammler!
Noch während ich auf dem Weg zurück zum Durchgang bin und zwei Güterzüge lautstark von Osten her einlaufen, um sich in den Durchfahrtsgleisen aufzustellen, versinkt die Sonne endgültig im Schmodder am Horizont. Das wars dann mit den Fototag für heute. Das Abendessen ruft!
Vier Jahre zuvor bzw. vor Corona, hätte ich jetzt noch auf den Moskauer gewartet….
Sr1 3088 erreicht am 12.08.2017 mit dem P32 von Helsinki nach Moskau den Bahnhof von Kouvola. Gleich hinter der Lok läuft der, für diese Leistung aus einem Personenwagen umgebaute, Autotransportwagen mit.
Einen Tag vorher hatte die ganze Szenerie noch anders ausgesehen. Ein schweres Unwetter mit Blitz, Donner, sintflutartigem Regen und Sturmböen hatte den Eisenbahnbetrieb mächtig durcheinander gebracht und die meisten der wartenden Reisenden hinunter in die Bahnsteigunterführung getrieben. Mit ordentlich Verspätung roll Sr1 3082 an diesem 11.08.2017 in Kouvola an den Bahnsteig.
Wieder im Hotel heißt es kurz frisch machen und dann ab zum Abendessen. Diesmal ist die Bedienung mehr auf Zack und ich habe mein Essen in kürzester Zeit. Allerdings ist die Portion heute tatsächlich kleiner, was dafür spricht, dass ich gestern mit meinem Verdacht, ich hätte einen „schlechtes Gewissen Bonus“ bekommen, nicht ganz so verkehrt war.
Warum ich da so genau vergleichen kann? Weil ich dasselbe bestellt habe wie am gestrigen Abend. Nein, nicht zum abchecken der Portionsgröße im Vergleich zum Vortag. Es war lecker gewesen und auf der Karte hatte mich jetzt nicht so angesprungen.
Weil der Service super war, möchte ich auch ordentlich Trinkgeld geben. Und da das zum einen gestern via Karte irgendwie nicht ging, ich aber kein ausreichendes Kleingeld mehr in bar dabei habe, was ich dann am Tisch liegen lassen könnte, erkläre ich der verblüften Mitarbeiterin, die hiesigen Zahlungssitten völlig ignorierend, dass ich mit Cash zahlen will und nenne den aufgerundeten Betrag.
Fluch der guten Tat, kann ich nur sagen. Da hab ich ja jetzt was angefangen. Es scheint schon ein Problem zu sein, die Kasse zu öffnen *grins* Am Schluss werden so drei Personen aus dem anwesenden Personal für gut 10 Minuten gebunden, bis alles soweit erledigt und das Wechselgeld auf dem Weg zu mir ist. Teils belustigt, teils beschämt ob des Aufstandes den ich verursacht habe, nehme ich es in Empfang, wünsche einen guten Abend und ziehe mich zurück aufs Zimmer.
Plan für morgen? Ist schnell gemacht. Wettercheck *urks* eigentlich müsste man gar nicht raus. Also mal schauen, wann ein passender Sm2 nach Kotka fährt. So passend, dass man vorher noch ordentlich ruhen, und vor allem, dass Frühstückbuffet ausreichend plündern kann.
Upps, soviel spuckt Julia für den morgigen Tag gar nicht aus. Ist das generell so auf der Linie? Oder nur weil Sonntag ist. Egal, ein bisschen was sollte gehen. Und wenn das Wetter wirklich soooo schlecht wird, wie vorhergesagt, dann setz ich mich einfach chillig zum sightseeing nach Helsinki ab. Dort soll nämlich dann übernachtet werden.
Aber jetzt erstmal Licht aus, einmal in den Federn gedreht und Gute Nacht!