Schaut mal die Zwei! Sind das nicht He Fu Bao und Bai Ho Tsai? – Teil 15
Von Christof Hofbauer
Hohhot – Ulanqap, 23.07.2016Wie waren doch gleich nochmal die drei großen Fragen der Neuzeit: „Was war vor dem Urknall?“, „Wenn du nur eine Sache ändern könntest, um die Welt zu verbessern, was wäre es?“ und „Warum muss man aus Hotelbetten und Hotels, die so gut sind wie dieses grundsätzlich immer so früh raus?“
Diese Fragen bewegen wohl viele Menschen früher oder später. Mich bewegt aktuell nur eine, nämlich die letzte! Nämlich genau in dem Moment als ich, noch leicht schlaftrunken, hinaus unter diesen strahlend blauen Morgenhimmel trete. Und da habe ich ja auch quasi schon die Antwort. Also zumindest für den heutigen Tag. Obwohl, es geht ja nicht um das warum im hier und jetzt, also um die strahlende Sonne und das bestmögliche Fotolicht, das gerade herrscht. Es geht ja viel mehr um die Tatsache, warum es gerade immer dann auftreten muss, wenn die Liegestatt doch so einladend dazu wäre, dunkle, regnerische Stunden einfach zu verdösen.
Egal, zu viel Philosophie am frühen Morgen, da lieber nochmal bequem in den Sitz geklemmt, die Lider etwas abgesenkt und sparsam Worte aus dem Mund fließen lassen. Wie gut, dass ich heute nicht fahren muss.
Früh dran sind wir heute, hat doch der Wetterbericht hat wolkenlosen Himmel versprochen für die Morgenstunden. Und jawohl, er sollte auch Recht behalten. Und da es spätestens am Vormittag erfahrungsgemäß zu quellen beginnt, hat um sechs schon der Wecker geklingelt. Gut, jetzt ist sechs auch nicht soooo früh, aber bedenkt man, wann wir uns ins Bett begeben haben, wird alles schon wieder relativ. Vor allem, wenn man noch hinzuzählt, dass wir mittlerweile gut 2 Wochen Fototour in den Knochen haben.
Aber ich will mich nicht beschweren. Man will es ja schließlich so. Und spätestens, wenn man um acht an der Fotostelle aus dem Auto steigt, in die kühle, klare Morgenluft, so kühl sie halt im Sommer bei den hier vorherrschenden Morgentemperaturen sein kann, dann ist alle Müdigkeit vergessen und es ist gut! Besonders wenn man, kaum ausgestiegen, von dem markig, rotzig brüllenden Sound eines 16-Zylinders begrüßt wird! Gut das die Kamera schon läuft…..
So kann doch der Tag beginnen. Kaum raus aus der Karre, dröhnt uns schon das Hämmern des 16-Zylinders der DF8B 5604 in den Ohren. Mit einem kurzen Zug aus Boxcars dröhnt sie an den noch leicht verschlafenen Fotografen vorbei in Richtung Ulanqap.
Immer wieder haben wir in den letzten Tagen Diesel dieser Baureihe unter dem Fahrdraht laufen sehen. Warum, wieso? Keine Ahnung. Lokmangel scheidet glaube ich als Begründung jedenfalls aus. Plan? Kann sein. Aber warum? Und wir haben auch nie dieselben Leistungen zweimal gesehen. Das wiederum würde für Dispatcher-Einsätze sprechen.
Genug Stoff also für die fröhliche Spekulations-Runde, die nun bepackt mit Rucksäcken, Taschen und Fotografenfrühstück, munter schwatzend den Hügel hinauf wandert.
Das muss durchaus schnell gehen, denn unten auf der Strecke geht es Schlag auf Schlag. Und so drücken wir 10 Minuten nach dem ersten Bild erneut auf den Auslöser. Diesmal aus deutlich höherer Position.
SS4G1093 hat einem beladenen Kohlezug den Bahnhof von Fanjia Gedan passiert und rollt nun weiter in Richtung Osten.
Nur ein kleiner Schwenk nach links, und schon hat man zwei Maschinen auf einem Blick. Leider verbirgt die nach Westen fahrende Maschine sich und ihre Identität wenig später hinter der 1093 und ihrem Kohlezug.
Kaum sind die beiden Güterzüge verschwunden, taucht hinten auf der Neubaustrecke schon ein CRH5A auf und „kreuzt“…….
Nochmal ein Querschuss auf den CRH5A mit schönem 3 Streckenblick. Wie lange wird es dauern, dann werden die „FIATs“ eine Etage höher unterwegs sein. Denn solange es keine durchgehende Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Beijing gibt, besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie dann den Dienst auf der neue Linie übernehmen. Ähnlich wie auf dem Neubauabschnitt westlich von Lanzhou.
Jetzt haben wir wirklich und wahrhaftig mal 15 Minuten Pause. Dann kündigt heftiges Rollen links von uns die nächste Zugfahrt an. Wieder ist es eine SS4G, die mit einem langen Leerzug daher kommt. Also eins ist jetzt ganz sicher, entgegen anders lautender Mitteilungen im Netz, Raritäten sind die SS4G zumindest hier in der Ecke noch nicht.
Hoi, heute rollt es aber! Da hat man wirklich keine Chance etwas ins kleine rote Büchlein einzutragen. Was dann später im Hotel und zuhause zu leichter Ernüchterung im Freudentaumel führt. Na, ihr wisst ja mittlerweile, dass ich so ein Freak bin, der erst ganz zufrieden ist, wenn er auch die Nummer der Lok hat. Und das gelingt nicht immer wirklich. Schräg, oder? Aber eine kleine Macke braucht man, sonst wäre ja alles zu normal. Und überhaupt, wäre man normal, würde man dann dieses Hobby betreiben? Und dafür auch noch so viele Kilometer zurücklegen? Egal, für Überlegungen dieser Art ist keine Zeit. Nicht hier und jetzt! Warum? Na, schaut doch selbst! Drüben auf der anderen Strecke kommt gerade ein Schnellzug aus dem Tunnel. Und hübsch, da hängt was Rotes davor!
Das sind noch Schnellzüge! Immerhin 18 Wagen lang ist die farbenfrohe Leine, die HXD3D0370 nach Osten bringt.
Dann wird’s Deutsch auf den Schienen unter uns. Auftritt der HXD10249, einer Vertreterin der Gemeinschaftsproduktion von Siemens und Zhouzhou, die zwischen 2006 und 2010 in einer Stückzahl von 220 gebaut wurde.
Vereinzelt kommen auch Maschinen der von 2006 - 2010 gelieferten Reihe HXD1 westlich von Ulanqap zum Einsatz, so wie hier 10249, die einen Leerzug am Haken hat.
Warum müssen die nur immer aus der Sonne kommen? Na, dann muss die Gute halt nochmal für einen Querschuss herhalten.
Auch Vorspannleistungen vor den schweren Kohle-Vollzügen gen Osten gehören zum Programm. SS4G 7020 leistet hier der jüngeren HXD211142 Hilfe bei der Traktion.
Blick auf zwei Generationen des Lokbaus in China. SS4G 7020, deren Reihe von 1993 bis immerhin 2007 gebaut wurde, und eine Vertreterin der Reihe HXD2.1, hier die 21142, gebaut ab 2012.
So schön der Blick von hier oben auch ist, und die Ballung von beige-wäscheblau an diesem Morgen, irgendwann hat man es mal gesehen. Und so warten wir nur noch die nächste Durchfahrt ab, bis wir rüber wechseln an die Neubaustrecke. Dort, so in einer guten Stunde, sollte ein roter Sechsachser seinen Auftritt haben. Wobei, einen kleinen Haken hat die Sache. Er kommt aus der falschen Richtung. Durchaus ein Problem bei dem Sonnenstand. Aber da wird sich drüben schon irgendwie eine Lösung finden.
Und die Lösung heißt „Querschuss“. Mal wieder. Find ich jetzt auch nicht so tragisch, so sieht man wenigstens mal mehr Lok und außerdem auch mal wieder eine andere Perspektive. Es braucht halt nur den passenden Rahmen. Einen Hang hinter dem der Zug hervorkommt zum Beispiel. Damit man selbigen nicht abschneiden braucht. Check! Hätten wir gefunden, als wir nämlich uns hinter einer kleinen Erhebung gemütlich im hohen, saftig grünen Gras ablagern. Nur, was so schön als natürlicher Fotoabschluss nütze ist, bringt eine neue Schwierigkeit mit sich: Die Vorwarnzeit ist gleich null! Denn mangels freier Sicht nach rechts, kann man erst dann reagieren, wenn der Zug hinter eben diesem Hügel hervorschießt! Und auf das Gehör braucht man sich auch nicht bauen, liegt doch unser Standort wieder direkt an der Böschung zur Autobahn, akustisch umspült von dem dort wogenden Verkehr. Und als ob das alles nicht schon genug Unbill wäre, quasi als Sahnehäubchen, haben wir ja keine 100%-ig verlässlichen Durchfahrtszeit. Nur die Schätzung laut Fahrplan und von der Beobachtung von gestern. Also stehe ich mir, während die anderen schwatzend in der Wiese herumflätzen, mit schiefen Sprunggelenken, stehts um Haltung am abschüssigen Hang bemüht, und mit krampfafter Armhaltung durch die im Anschlag befindlicher Kamera, eine gefühlte Ewigkeit die Beine in den Bauch. Aber, zumindest meiner Meinung nach, es hat sich durchaus rentiert.
Hatte ich schon erwähnt, dass sie zu meinen Lieblingen gehört? Hm, ich glaub schon mindestens einmal zu oft, oder? *grins* Mit Schnellzug K1517/20 Shenyang – Xining am Haken schießt SS7E 0082 nahe Houwanzi hinter der kleinen Erhebung hervor und eilt dem nächsten alt in Hohhot entgegen. Was für eine Maschine und was für ein Laufweg für den Schnellzugs.
Stolze 2.822 km ist die Wegstrecke lang, die der K1517 zurücklegt. Gestern um 11.58 Uhr in Shenyang North gestartet, wird er erst morgen um 8.17 Uhr in seinem Endpunkt Xining eintreffen. 44 Stunden und 19 Minuten war er dann planmäßig unterwegs. Mit wechselnden Bespannungen und einem interessanten Laufweg, der ihn unter anderem auch über die Jitong Linie geführt hat. Von der Querung des Passes so um Mitternacht dürften aber die meisten der Fahrgäste nichts mitbekommen haben. Naja, obwohl, die im Wagen hinter der mächtige gegen die Steigung anhämmernden DF4D wohl mit Sicherheit schon!
Apropos Bespannung! Es ist mal wieder Zeit für Spekulatius. Denn im Schnellzugverkehr dominieren hier in der Ecke doch eigentlich die HXD3D und vor allem die blau-grauen „Schönheiten“ der Reihe HXD3C. Der Zug aber eben, hatte in Ulanqap/Jining South einen Lokwechsel von der erwähnten DF4D der JT auf eben die SS7E 0082 der CNR *hm* und auf seinem weiteren Verlauf passiert er auch Lanzhou. Und dort, das haben wir ja im letzten Jahr gesehen, wimmelt es von SS7E! Und die sind mit ihrer gebauten Stückzahl von gerade mal 146 Stück nun auch nicht so zahlreich, dass sie sich gleich über das ganze Land verteilen könnten. Sollte es sich dabei also um einen Durchlauf des Depots Lanzhou handeln? Boah, das wäre dann aber ein mega Durchlauf. Hat doch der K1517 hier, fast genau auf unserer Höhe, erst die Hälfte seines Laufwegs hinter sich gebracht, und bis Lanzhou sind es noch rund 1.200 km! Würde aber andererseits auch das Auftreten der SS7C erklären, die ja auch nur mit 1 Zugpaar hier auf die Strecke kommt. Und auch die haben wir vereinzelt auf der, von der Stadt am Gelben Fluss nach Norden gehenden, Strecke in Richtung Bayin gesehen.
Zugegeben, Überlegungen und Schlüsse solcher Art sind in einem Land wie China, mit dem Informationsdefizit unsererseits, den enormen Distanzen und dem komplexen Eisenbahnsystem, recht unsicher und die gezogenen Ergebnisse fraglich. Aber eine schlüssige Erklärung wäre es allemal. Und so diskutieren wir in nun wieder vereinter Runde auch noch ein bisschen, bis sich das nächste, „aufregende“ Tagesgeschäft, diesmal im richtigen Licht und mit Landschaftsblick, unserer Position nähert. Alles auf! Und abdrücken!
Doch, doch! Auch eine HXD3C kann, vor so einer Garnitur, durchaus etwas nettes sein. Nur stellt Euch mal vor, wenn es jetzt vorne an der Zugspitze so richtig schön hell rot…. mit bullig geschwungener Form….! Is aaaaber nich!!! Und jetzt Schluss mit dem herumgeheule! *grmbl* Mit einer klassisch grünen Garnitur ist HXD3C0376 bei Houwanzi unterwegs.
Ja, objektiv betrachtet muss man schon zugeben, der Zug hat jetzt auch schon etwas her gemacht. Und auch der unmittelbar darauf kreuzende CRH5A kommt gut in der Landschaft. Nur leider halt von hinten und damit ohne Chance auf Nummernschuss. Wieder ein nicht näher definiertes Fahrzeug im Archiv.
Den Abschluss hier an dieser Stelle bildet dann wieder eine HXD3C, diesmal mit bunter, aber in der Hauptsache in orange-weiß daherkommender, Garnitur.
Kaum ist der letzte Wagen des gerade abgelichteten Schnellzugs an uns vorbei gerollt, schießt von hinten ein CRH5A heran, auf dem Weg nach Hohhot.
Ihnen kann man halt auf dieser Strecke nicht entgehen, den Maschinen der Reihe HXD3C. Trotz ihrer für den Schnellzugdienst und die gerade Streckenführung niedrigen Höchstgeschwindigkeit, bespannen sie auf dieser Linie doch die meisten Leistungen, so wie hier die 0890.
Mittlerweile haben sich uns einige Schafe genähert. Und während deren Hirte nun uns beäugt, beäugen Nil und ich abwechselnd Sonnenstand und den weiteren Streckenverlauf. Warum? Na, in rund 20 Minuten sollte der zweite Exot auf dieser Strecke seinen großen Auftritt haben! Die SS7C! Und da ich für diese Maschine nun nicht unbedingt nur querschießen will, sondern mir eher eine schöne Aufnahme nah am Gleis, aber mit ganzem Zug drauf, vorstelle, müsste man sich etwas verschieben.
Ganz leicht dreht die Strecke vor uns nach links. Nicht viel, aber zusammen mit der wandernden Sonne vielleicht gerade so viel, dass es nicht nur ein Streiflichtbild gibt, auch wenn die Front vermutlich dunkel bleiben wird. Also, was meinst du? Wie lange braucht man davor? Also erstmal zu den Autos, dann vorfahren, dann stellen? Sollte in 10 Minuten zu machen sein, oder? Jepp! Dann Rucksack hoch und los!
Die anderen folgen stumm, und so kommen wir noch völlig dem Plan nach zu den Autos und mit diesen dann bis zu einer Brücke beim nächsten Hügel.
Doch dann passierts! Schon während des Hochlaufens verfalle ich plötzlich in einen unerklärlichen Trödelmodus. Und oben angekommen, melden sich schließlich auch noch „Anspruchsdenken“ und „ästhetisches Befinden“. Hier, mit dieser unsäglichen Betonrinne, garniert mit diesem grusligen Zaun und den Starkstrommasten im Hintergrund? Nein, das geht ja gar nicht. Für die Maschine MUSS was anderes her als Kulisse! Doch woher nehmen? Unschlüssig drehe ich mich hin und her. Laufe ein paar Schritte in die andere Richtung, drehe wieder um, um mich für den Sicherheitsschuss zu stellen, nur um gleich darauf wieder Richtung Anhöhe zu laufen, die hinter mir liegt. Und so kommt es wie es kommen muss! Als ich zu guter, oder eher schlechter Letzt, auf meinem Weg zum vermeintlich besseren Standort bin, rollt es über mir! Und sogar jetzt hätte ich noch einen netten Querschuss mit „Lok auf Brücke“ im besten Licht zaubern können, hätte ich mich nicht zu allem Überfluss noch in meinem Kameragurt verheddert, beim Versuch, die um Schulter und Hals hängende in Fotoposition zu bringen. So fehlen mir 1 oder 2 Sekunden und die Schnauze der SS7C ist im Blätterwerk eines nahen Baumes verschwunden! Ich könnte kotzen, echt!!!
Pascal, der richtiger Weise an Ort und Stelle geblieben ist, hat die ganze Szenerie dagegen recht gut eingefangen.
Maaaann, bin ich pissig auf mich selbst und meine Dummheit! Was ich auch mit markigen Worten und einem meiner Standardsprüche, der nicht annähernde jugendfrei genug ist, um ihn hier aufzuschreiben, zum Ausdruck bringe.
Und die anderen kennen mich mittlerweile gut genug um mich in Ruhe zu lassen, bis ich von selber etwas ausgedampft habe und wieder zur Ruhe gekommen bin. Was aber in diesem Fall gar nicht so einfach ist. Denn da hilft kein Fahrtwind, der nun durch das geöffnete Fenster herein fächert und auch kein noch so ofter Blick auf das Kameradisplay. Denn egal wie viele Male ich mir mein „Meisterwerk“ anschaue, und wie groß ich es aufziehe, die Blätter vor der Maschine werden nicht weniger. Und da hilft auch kein elektronische Putzkommando.
Einzig die Tatsache, dass mir das Foto enthüllt, das es sich um dieselbe Maschine wie gestern Abend gehandelt hat, trägt etwas zur Blutdrucksenkung bei. Habe ich doch somit selbige wenigsten schon mal schön auf den Chip gebannt. Aber halt nicht so groß wie es eben da oben möglich gewesen wäre. Und so grummelt es noch einige Zeit heftig in mir, während wir über die Landstraße der Autobahn und damit Ulanqap zu streben.
Es ist eine ganze Ecke, die wir wieder zurück fahren in Richtung Hohhot. Also eigentlich in der falschen Richtung. Aber so ersparen wir uns die zeitfressende Ortsdurchfahrt durch Zhuozi. Außerdem vermeiden wir es, dem verführerischen Brückenblick zu erliegen, den wir vor Tagen auf der Hinfahrt dort entdeckt hatten, und mit dem wir jetzt nur viel zu viel Zeit vertrödeln würden.
Bis Liuzhouping geht es zurück. Erst dann kommen wir auf die Autobahn. Dabei passieren wir eine für Chinas Landstraßen typische Institution.
Werkstätten in denen LKW’s geflickt und wieder fahrtüchtig gemacht werden. Oftmals noch in beladenem Zustand und mitten unter deren Tour.
Nun sollte es eigentlich flott gehen, für uns, in Richtung Norden, an die Dieselpiste hoch in die Mongolei. Der größte Teil Autobahn und der Verkehr ist auch übersichtlich. Doch wir haben erst gut die Hälfte der Strecke zwischen Startpunkt und Ulanqap hinter uns gebracht, da kommt von hinten die Info: „Mit unserem Auto stimmt was nicht! Wir müssen raus! Und zwar schnell!“
Also Ausschau gehalten nach einer Möglichkeit stehen zu bleiben. Und da kein Parkplatz weit und breit in Sicht ist, die Verfolger es aber äußerst dringend gemacht haben, muss eine kleine Pannenbucht am Ende einer langen Steigung genügen.
Kaum kommen die beiden Autos in der Bucht zu stehen, springe ich auch schon elegant aus dem Fahrzeug und mache mich auf nach hinten zu eilen, nur um nach zwei, drei Schritten von einem freundlichen *pssssss* begrüßt zu werden! NEIN! Echt jetzt?!? Nicht wirklich, oder?!? Darauf hab ich nun ja jetzt gar keinen Bock!!! Also erstmal ignorieren und ab zum Infoaustausch mit Gubi. Der hat sich schon mal vor seinem waidwunden Silberpfeil aufgebaut und schildert nun sein Problem. Schon kurz nachdem wir auf die Autobahn rauf sind, ist bei ihnen die Kühlwassertemperatur immer wieder hoch gegangen. Zwar konnte es der dann anspringende Lüfter jedesmal wieder kurzzeitig abkühlen, aber kaum war der aus, ging sie sofort wieder nach oben. Hm, dat kann ja nu alles sein, wah?
Also erstmal Haube auf und nach dem Wasser gekuckt. Ein Blick genügt. Leider voll der Ausgleichsbehälter! Warum leider? Weil es dann nicht an zu wenig Wasser liegen kann. Was auf der einen Seite nun wieder gut ist, denn dann hat das Kühlsystem wenigstens kein Leck, auf der anderen Seite wäre dieses Problem aber relativ schnell zu beheben gewesen. Also, wenn nur Wasser auf zufüllen gewesen wäre, meine ich.
Nächste Möglichkeit: Das Thermostat hat den Geist aufgegeben. Das kenn ich leider nur zu gut. Das hab ich bei meinen Autos schon zweimal erlebt. Und das wäre jetzt extrem uncool! Weil da hilft nur die Werkstatt und das richtige Ersatzteil. Und schon erstere wäre schwer genug zu finden. Aber nicht auszudenken, wenn wir jetzt erst noch auf ein Teil aus irgendeinem Zentrallager in diesem riesen Land warten müssten! Denn das wird fast zu 100% bestellt werden müssen. Das geht nicht so schnell wie Bremsbeläge wechseln in Georgien, wo der Werkstattmeister seine Bestellung über die vielbefahrene Hauptstraße, hinüber zum Mitarbeiter des Kfz-Teile Fachhandels schreit.
Derweil ist auch Nil raus aus seinem Fahrersitz, umrundet unser Fahrzeug, nur um gleich darauf zu stocken in seinen Bewegungen, die Augen gen Himmel zu drehen und mir zu zurufen: „Hey, wir haben ein Loch!“. „Ja!“, so meine trockene Replik, „hinten rechts. Hab’s schon beim Vorbeigehen gemerkt. So ne Sch… aber auch. Kannst ja schon mal den Wagenheber raus holen!“ Was er dann auch pflichtbewusst sogleich tut.
Ich hab aber jetzt im Moment gar keinen Nerv für Muttern drehen. Und da ich der Sache mit dem fahrbaren Wasserkocher noch etwas auf den Grund gehen will, werf ich mich auf Chinas dreckige Teerdecke und schiebe meinen Kopf unter den Vorbau in Richtung Kühler. Vielleicht hat ja der Gubinator am Pass doch ein Andenken hinterlassen.
„Ja zum Teufel was ist denn das???“ Jetzt muss ich schon fast lachen. Grinsend krieche ich wieder unter dem Plastikbomber hervor, bedacht von entgeisterten Blicken der anderen. Nun hat’s ihn erwischt! „Ne, Leute. Kuckt mal selbst. Kein Wunder das die Kiste heiß läuft. Der Kühler kann ja nichts mehr kühlen!“
Warum? Es war wirklich eine Durchfahrt die Spuren hinterlassen hat. Aber nicht die durch den Gubinator, sondern die, durch den Schlammpfuhl gestern. Klebt doch eine dicke Schicht getrockneter Erde vorne flächendeckend auf den Kühlrippen. Klar, so kommt keine Luft an die selbigen und somit auch keine Kühle ins Wasser.
Also keine große Sache. Zwar nervig und wird uns auch Zeit kosten, aber im Gegensatz zum Wechsel eines Thermostats brauchen wir nur einen Dampfstrahler oder zumindest einen Wasserschlauch. Und Zeit, um eines der beiden zu suchen haben wir. Denn schließlich müssen wir mit unserem schwarzen Blitz zum „Vulkaneiser“. Man erinnere sich an das *pssssss*!
Nil hat zwischenzeitlich Koffer, Mülltüten, Proviant und was sonst noch so drin war aus dem Kofferraum befreit und fummelt gerade den Wagenheber heraus. Der unter seiner kompetenten Leitung auch unverzüglich zur Anwendung kommt. Ebenso wie der Radmutternschlüssel. Also mit anderen Worten, er steht mit den Händen in den Hosentaschen herum und schaut zu, wie ich mich im Schweiße meiner Füße mit der fußlahmen Karre abplage…….
Gubi ist immerhin insofern produktiv, als dass er das Bild zur Tat anfertigt. Ansonsten übt er sich in Zerknirschtheit, denn ohne den technischen Halt, den er initiiert hat, hätten wir unsererseits nicht die einzige Spax Schraube aufsammeln können, die im Umkreis von 100 km auf dieser vermaledeiten Autobahn herum liegt.
Moderne Zeiten auch in China. Und so muss auch unserer MG keines der so überaus schweren und belastenden Vollräder mitschleppen, neeeinnn, auch wir dürfen ein leichtes, kleines, feines und so sinnloses Notrad unser Eigen nennen. Sinnlos? Na, das Ding reicht offiziell gerade mal für 40 km. Dann brauchst du so oder so einen neuen Reifen und dass kleine Scheißerle kannst du auch gleich mit wegschmeißen, weil abgefahren. Und schnell darf man mit dem Rädelchen ja auch nicht. Obwohl, ich hab in Tschechien schon mal mit so einer Keksscheibe meinen Fototag fertig gefahren. Und ich muss sagen, bis 120 km Laufstrecke, kein Problem *grins*
Vor mich hin triefend und mit verschmierten Händen lasse ich mich auf den Sitz fallen. Aber wenigstens kann ich den kühlenden Fahrtwind genießen. Da hat‘s die im Auto hinter uns schon ärger erwischt. Die dürfen sich bei rund 30°C Außentemperatur einer auf MAX. gestellten Heizung erfreuen, bei voller Leistung des Gebläses *grins* Aber irgendwo muss ja die Wärme aus dem Kühler hin.
Gut das es nicht mehr weit bis an die Ränder von Ulanqap ist. Dort, an der ersten Abfahrt verlassen wir die Piste. Denn wie weiter oben schon erwähnt, keine Hauptstraße in China, wo nicht irgendetwas werkstattmäßiges herumsteht. Und auch hier werden wir nicht enttäuscht. Keinen Kilometer weg von der Abfahrt fallen wir in ein Gewerbegebiet. Und dreimal ums Eck, dann zeugen Reifenstapel an der Straße vom Ziel unserer Wünsche.
Und da die drei Herrschaften, die dieses Etablissement bevölkern, mehr oder weniger gelangweilt herumlümmeln oder vor sich hin werkeln, sind wir auch sofort an der Reihe. Ein Blick auf unseren Reifen genügt, und der Sachverhalt ist klar und unser Gummischuh in Arbeit. Und während sich Team Silber aufmacht die Wartezeit bis zur vollständigen Wiederherstellung unserer Bereifung aus zu nutzen, um Dampfstrahler und Co zu suchen, wandle ich durch die heiligen Hallen und schaue mich etwas um.
Ganz hinten im Eck stehen zwei ausrangierte Sitzbänke wohl schon längst verschrotteter PKW. Sie dienen den fleißigen Werktätigen des hier beschäftigten Arbeitskollektivs wahrscheinlich normalerweise als Ort der Stille und Kontemplation. Aktuell sind sie aber Spielplatz für eine kleine Mietze, die eifrig mit ihren Pfötchen in der Spalte zwischen den beiden Sitzflächen stochert.
Erst etwas schüchtern, reicht ein kurzes Raspeln mit dem ausgestreckten Finger an der Polsterkante und die wilde Rauferei geht los.
Kaum nähert sich das neue Spielzeug in Form einer 1,88 großen Langnase, ist die bisher so interessante Sofaritze augenblicklich vergessen. Volle Konzentration auf den Angriff!
Augenblicklich stoßen spitze Krallen und Zähnchen in meine Haut. Wirbelt das kleine Fellknäul wie wild umher und lässt sich auch dann nicht abschütteln, wenn ich die Hand, samt daran hängender Mietze mal so 30 cm über die Polster hebe. Schon unglaublich was das kleine Geschöpf, dessen Fell in Wirklichkeit übrigens nicht annähernd so weiß ist wie es auf den Bildern rüberkommt, für Kräfte entwickelt. Und müde wird sie auch nicht. Ganz im Gegenteil. Zeige ich mal kurze Anzeichen der Schwäche oder des Rückzugs, werde ich sofort mit Hurra wieder angesprungen und meine Hand zurück auf die Sitzbank gezerrt.
Man verzeihe mir die Unschärfe. Aber einhändig mit dem Handy fotografieren während man mit den anderen den Angriff einer Großkatze abwehren muss. Da kann einen schon mal ein leichtes Zittern durchlaufen.
Irgendwann reiße ich mich dann doch los, verfolgt von ungläubigen Blicken aus zwei kleinen Äuglein. „Wie jetzt? Wo willst Du hin? Wir sind doch noch nicht fertig!“ Ja ich weiß Kleine, aber Team Carwash ist wieder da und ich bin neugierig, ob sie ihren Kühler sauber bekommen haben. Zudem tut es meiner Hand auch mal gut, der altchinesischen Akupunktur nach Meister Kat Ze zu entkommen.
Also lasse ich mich draußen vor der Halle in der Sonne auf dem Boden nieder, lehne mich ans Gemäuer und lausche den Berichten der Zurückgekehrten.
Ha! Haste Dir gedacht! Denn nicht lange und schwupps, hängt das weiße, oder besser, schutzig graue Knäul wieder an meiner Pranke. Nene, so leicht komm ich ihr nun doch nicht davon! Wir waren ja schließlich noch nicht am Ende wir Zwei. Und drücken gilt nicht. Also ist mir die Süße die ganze Halle durch nachgelaufen und hat mich jetzt wieder in der Mangel. Ein bisschen spiele ich noch mit, dann schnapp ich mir den Zwerg, lege ihn in meinen Arm und verdonnere ihn, unter Bauch kraulen, zum Zwangskuscheln. Was er sich aber durchaus gefallen lässt. Ganz nebenbei erfahre ich, dass die anderen durchaus erfolgreich waren und ihren Kühler von gefühlt einer Tonne bester chinesischer Muttererde befreien konnten.
Und da auch unser Reifen ruckzuck fertig und wieder am Wagen ist, muss ich von meiner kleinen chinesischen Freundin auch schon wieder tränenreich Abschied nehmen. Noch lange kuckt sie traurig hinter uns her, als wir einmal in die Wendeschleife gehen, um dann nochmal an der Werkstatt vorbei, gen Autobahn zu rollen.
Übrigens, Schraube und damit auch Stopfen in der Lauffläche: Kein Problem! Also, wenigstens wenn man in China ist. Oder auch sonst wo! TÜV oder Polizei hierzulande würden hier unverzüglich Schnappatmung bekommen.
Wieder auf der Autobahn ziehen wir Bilanz. Unwidersprochen hat die ganze Aktion Zeit gekostet, aber uns noch nicht ganz aus dem Konzept geworfen. Mögen wir vielleicht ein oder zwei Güterzüge verpasst haben, den nächsten Fensterzug können wir aber immer noch schaffen. Dazu müssen wir uns irgendwo südlich des Abzweigbahnhofs aufstellen, an dem sich die Linien Richtung Mongolei und Jingpeng trennen. Und von dort, also von der Jitong-Linie, soll der nächste Schnellzug kommen.
Also rumpeln wir eine dreiviertel Stunde später durch Daliuhaocun, einem typischen Provinznest mit einstöckigen Bauten, dass sich links und rechts der ehemaligen Hauptstraße nach Norden ausbreitet.
Es kocht in der Wolkenküche, wie auf dem letzten Bild zu sehen. Und uns schwant schon fürchterliches. Sollte uns, nachdem die Pannen so einigermaßen glimpflich ausgegangen sind, nun diese Front, die von Norden her reinzieht, einen Strich durch die Rechnung machen? Das wäre schon bitter.
Erstmal aber heißt es einen Fotostandort suchen. Und nachdem die erste der angefahrenen Brücken nicht so gefällt, stehen wir an der Zweiten, auf Höhe des Ortes, eigentlich ganz nett. Nun bleibt nur die Frage, wer ist schneller? Zug oder Wolkenfront! Und so pendeln einmal mehr die versammelten Augenpaare von Minute zu Minute unsteter zwischen Himmel, Strecke, Fahrplan und Uhr hin und her. Bis uns die auftauchende Nase einer DF4D aus unserem stummen Leiden erlöst.
DF4D 3339 der JT hat an diesem Tag die Aufgabe den Schnellzug Harbin – Baotou bis nach Ulanqap zu bringen. Dort übernimmt dann eine Ellok der CNR die Weiterbeförderung.
Puh, das ging ja gerade nochmal gut. Keine 10 Minuten hätte das Licht hier noch gehalten. Ach was, 10 Minuten. Wahrscheinlich keine 5! Stellt sich nun die Frage, was nun? Dem Schnellzug folgen und südlich unser Glück versuchen. Dann müssten wir aber die Dieselstrecke streichen. Oder morgen nochmal wieder hier hochfahren, was die „Beijing-Fraktion“ jetzt nicht so prickelnd findet. Außerdem, so wie die Wolken ziehen, ist es nur eine Frage der Zeit bis es weiter südlich auch dunkel wird. Und dann haben wir Kilometer geschruppt für nix. Zudem würden wir die Schnellzüge von der und in die Mongolei verpassen. Und einen Regio. Das wäre schad! Aber hier vor Ort bleiben und bei „Licht aus“ Bilder machen ist irgendwie auch keine Option, die überzeugen kann.
„Na dann fahren wir einfach drunter durch!“, meint Nil trocken. Wie jetzt, was jetzt, und dann? „Dann wären wir hinter den Wolken und die Sonne wäre wieder da. So wie das aussieht ist das doch nur eine Gewitterfront, und die ist ja nicht unendlich“, meint er. Das ist aber jetzt schon viel Spekulation, oder? Schon, aber er meint es so überzeugend, dass wir uns ohne weiteren Widerspruch in Bewegung setzen. Zudem, bessere Vorschläge oder andere Optionen haben wir eh nicht. Also, was kann man schon verlieren?
Noch während wir durch die Ortschaft fahren, macht der Himmel dicht. Und kurz nach Erreichen der neu gebauten Schnellstraße, blitz es um uns herum und der Himmel öffnet seine Schleusen!
Wer hier nicht aufpasst, oder vielleicht besser gesagt durchpasst, der löst nicht nur, wie bei uns, die Höhenkontrolle aus, sondern gleich auch sein Dach von der Karosserie!
Knappe 70 km sind es von hier bis Hongge'ertuzhen, so in etwa 1 Stunde Fahrzeit. Dort beginnt die Strecke ordentlich zu drehen. Somit ideal in Sachen Licht, stehen doch, wie gesagt, später die zwei Fernzüge auf dem Programm. Je einer pro Richtung. Und neben dem Personenzug, der im Anmarsch ist, hoffen wir zudem auf ordentlich Güterverkehr. Gestützt wird diese Hoffnung durch die Erfahrungen aus unserer Mongoleitour vor einigen Jahren. Nimmt man als Maßstab wieviel Güterverkehr dort das Land durchläuft, sollte sich auch hier was bewegen. Irgendwo müssen die Züge ja schließlich hin.
Mittlerweile hat es sich über uns beruhigt und es hellt sogar auf am Horizont. Und siehe da, spätestens als wir die Schnellstraße verlassen haben und über Sandwege gen Zielpunkt hoppeln, fahren wir wieder im schönsten Sonnenlicht! Wer hatte nochmal die Idee mit dem „unten drunter durchfahren“? Respekt, was für ein schlaues Kerlchen!
Rundumblick! Ja, alles schon sehr mongolisch hier! Die leicht geschwungene, weitläufige Landschaft mit ihren kleinen Hügeln, die steppenartige Vegetation, die sandigen Verbindungswege. Selbst der Stacheldraht links und rechts entlang der Strecke, den es gilt zu überwinden, will man sich ordentlich in Position stellen. Auch dieser ist hier wie im großen Nachbarland. Vielleicht nur nicht ganz so gepflegt, was es nach einigem Suchen leichter macht ihn, ohne Zurücklassung diverser Kleider- und/oder Hautfetzen, zu überwinden.
Richtig schön hier! Wenn man die Landschaft mag. Und ich mag sie! Unschön dagegen, dass man beim Bau dieser eingleisigen Route, diese zwar schön in selbige gelegt, dabei aber keinerlei Rücksicht auf die Belange von Eisenbahnfotografen genommen hat! Frechheit!
Entweder die Trasse ist nicht oder nur mit erheblichem Aufwand erreichbar, oder sie verläuft so versteckt hinter Hügelchen oder den wenigen Bäumen und Häusern, dass ein ordentlicher Blick auf den Zug nicht möglich ist. Also laufen wir etwas ziellos entlang der Gleise, von einem Einschnitt zum anderen. Zu allem Überfluss irritiert uns auch noch ein grünes Blocksignal, dass verheißt, es kommt ein Zug von Süden her. Auf dem Zettel haben wir aber, den laut Fahrplan für bald angekündigten Personenzug nach Ulanqap. Hm, wie jetzt? Gut ein Bahnhof wäre gleich um die Ecke und somit auch ein Platz zum Kreuzen. Also eine Stelle gesucht, wo man erst nach Süden freien Blick hat und sich dann binnen kurzer Zeit umstellen kann, für den von Norden herkommenden Zug.
Nach einigem Gelatsche haben wir in Plätzchen am Rande eines Einschnittes gefunden. Dort lassen wir uns nieder, Blicke und Kameras erwartungsvoll nach rechts gerichtet. Nur tut sich da nichts. Dafür lässt sich von links unvermittelt das rotzige Aufbrüllen eines 16-Zylinders vernehmen! Was für ein Mist ist jetzt das? Güterzug aus Norden? Warum dann diese Signalstellung und warum immer diese Hektik. Denn nun heißt es aufspringen, Sachen schnell zusammen kramen und ab durch die niedere Botanik. Hier stehen wir nämlich für einen Südfahrer sowas von verkehrt. Also stolpern wir schnell los, bringen die rund 200 m hinter uns, während das Getöse des gequälten Motors bereits bedrohlich nahe klingt …… und schlagartige wieder verebbt! Stille!
Was zur Hölle soll jetzt das???
Hechelnd, mit heraushängenden Zungen, stehen wir auf einem Sandhaufen und schauen unschlüssig in die Runde. Wo ist denn jetzt in drei Gottes Namen dieser verdammte Güterzug geblieben? Steht DER nun hinten im Bahnhof und wartet auf die Kreuzung mit dem Nordfahrer? Aber wenn ja, wie geht das dann mit dem Personenzug, der ja auch bald kommen sollte? Kreuzt der dann mit dem Nordfahrer auch hier? Fragen über Fragen? Und keine zufriedenstellende Lösung was den Fotostandort angeht. Gut, mit einem Sprit wieder zurück nach hinten auf die nächste Kuppe könnte man sich für einen Güterzug aus Ulanqap schon stellen. Aber würde die Vorwarnzeit für so eine Aktion reichen? Wirklich Streckensicht haben wir von hier, wo wir jetzt stehen, nämlich nach Süden nicht. Und andererseits, mal ganz ehrlich, auch für Südfahrer ist der Standort hier gerade nicht ideal, bleibt doch die Front der Maschine(n) dunkel. Aber mehr geht gerade in der Situation nicht und um im großen Stil zu wechseln fehlt uns, so fürchten wir, die Zeit. Also einfach versuchen, das Beste daraus zu machen.
Nur wie geht es jetzt auf den Schienen weiter? Zwei, dreimal rotzt es noch auf, dann zeigt sich in der Bahnhofsausfahrt schemenhaft eine Lokfront. Hm, eine DF8. Hatte man sich bei dem Motorenklang schon gedacht. Und wenn ich ehrlich bin, ich hatte auch irgendwie nichts anderes erwartet. Nur gehofft, dass sich vielleicht Evolution hierher verirren. Oder dass man für das ein oder andere Zugpaar eventuell doch noch eine der letzten DF4B auf die Reise schickt, wenn es denn hier noch welche gibt.
Nein, es ist eine DF8B. Aber die wird auch gerne genommen. Heißt, würde gerne genommen, wenn sie denn mal kommen würde. Doch sie steht! Warum auch immer. Soweit entfernt wie wir vom Bahnhof postiert sind, lässt sich der Grund nicht ausmachen.
Gut je länger das wir hier stehen, desto wahrscheinlicher wird es. Man wartet auf die Überholung durch den von Erenhot herkommenden Personenzug. Das ist aber dann nicht sehr speditiv, was man hier veranstaltet. Und es lässt leider auf eine Streckenbelegung schließen, die so gar nicht unseren Hoffnungen oder Erwartungen nahekommt.
Und noch etwas schält sich für mich heraus. Ich will hier eigentlich nicht stehen. Nasenschuss mit Frontschatten? Nicht so das Gelbe vom Ei. Gut, es hat eine leichte Kurve und der Hintergrund ist auch ganz nett. Nur um in die Szenerie richtig hineintelen zu können, fehlt mir bekanntermaßen das richtige Equipment. Also schiele ich immer wieder auf den Hügel links von uns. „Ne, zu weit weg!“, kommt die brummelige Antwort der restlichen Fotoschar, als ich auf ihn als möglichen Alternativstandort verweise. Wie jetzt? Euch ist mal was zu weit weg von der Strecke? Seit wann?!?
So richtig zum los laufen kann ich mich aber auch nicht motivieren, tobt doch in mir der innere Disput zwischen der einen Hälfte, die sagt: „Da drüben hast du mehr Landschaft drauf, keinen Frontschatten, Maschine und Zug schön quer!“ und der anderen die meint: „Aber hier ist der Blick schön! Und vergess auch das grüne Signal von eben nicht! Was wenn doch was von hinten kommt? Von da drüben hast du keine Chance!“.
Und so verharre ich, bis mir die Uhr die Entscheidung quasi abnimmt. „Jetzt oder nie!“, denn wenn ich jetzt nicht gehe, schaffe ich es bis zur Durchfahrtszeit des Personenzuges nicht mehr. Und so dackel ich los, weg von der Truppe, den Stacheldraht überwindend und hinunter in die kleine Senke vor uns. Ist doch ordentlich weiter als gedacht und vielleicht haben die anderen ja Recht. Egal, jetzt bin ich unterwegs und jetzt muss ich es durchziehen! Also verfallen in Geschwindschritt, nicht dass mich der P-Zug mitten in der Senke erwischt, quasi mit herunter gelassenen Hosen.
Aber das Timing für den Abmarsch war richtig und so kann ich, nachdem ich zwei Drittel des Hangs hochgestiegen bin, noch einmal ordentlich durchatmen, bis DF4DK3208 mit ihrer bunten Garnitur an mir vorbeizieht.
Bingo! Das hat mal gepasst. Während ich nun ganz zur Kuppe hoch steige, um mich für den Güterzug zu stellen, haben sich auch die anderen vom Bahndamm gelöst und kommen zu mir herüber. Aufstellen für den nächsten Programmpunkt Güterzug.
Bis dieser und die heraneilende Fotografenschar aber da ist, bleibt mir noch genug Zeit für einen gepflegten Rundumblick und das Genießen der geschwungenen Weite dieser Landschaft.
Unvermittelt aufbrandender Lärm reißt mich aus meinen Betrachtungen. Mit epochaler Gewalt bahnen sich die Abgase des Diesels geräuschvoll ihren Weg durch die Schlote. Schiebt sich langsam eine blaue Silhouette in unser Blickfeld, hinter sich eine lange Schlange …… nichts!
Man mag es kaum glauben, so ein Gebrüll für die Anfahrt einer Lz. Der Meister auf seinem Bock muss Spaß an Aktion haben!
Wäre es nach dem Lärm gegangen, den DF8B 5610 vor und nach dem Halt im nahen Bahnhof gemacht hat, bei dem sie Zug 4651/54 passieren lies, hätte man meinen können, sie hätte einen langen Güterzug am Haken. So ganz ohne Zug verliert sich nun die leer fahrende Maschine etwas in der grünen Steppenlandschaft der Inneren Mongolei.
Zwischenzeitlich hat aber auch er von martialisch auf sparsam umgestellt und so poltert die DF8B recht geräuscharm an uns vorbei.
Gut, für diese Fuhre hätten wir auch nahe dran stehen können. Diesmal mit dem Kieswerk links im Hintergrund. Das hätte ich eigentlich auch von hier oben mit drauf bringen wollen, doch anstatt für „groß aufreißen für Güterzug“ habe ich mich dann doch eher für „direkt drauf halten für Lz“ entschieden. Egal, besser wie gar nichts erwischt hier ist es allemal. Und außerdem, es ist wieder eine neue Nummer, die sich im Archiv findet.
Durch die Ganze Lauferei haben wir jetzt ein Eck zurück zu unseren Autos. Zeit genug, um darüber zu spekulieren, was die DF8B gerade im Bahnhof so lautstark getrieben hatte und wie wir jetzt weitermachen. Stehen doch nun die beiden eigentlichen Highlight des Tages an. Ein Schnellzug aus und einer in die Mongolei. Und für die brauchen wir dringend eine andere Stelle. Wobei das mit dem Südfahrer und richtig im Licht schon schwierig wird.
Erstmal geht’s entlang der Strecke über die Sandpiste wieder zurück zur Hauptstraße. Dabei passieren wir den nahen Bahnhof und siehe da, durch eine Hecke hindurch lässt sich hier Leben ausmachen. Einen abgestellten Zug mit Personenwagen kann man kurz erkennen und jede Menge Menschen, die in grau-brau-oliv darum herum hüpfen. Upps, sollte das die Fuhre sein, die die Diesellok gerade hierhergebracht hat? Würde auf jeden Fall die Aktivitäten erklären, die wir gehört hatten.
Nach dem Tanken an einer nahen Versorgungsstelle geht es über die Hauptstraße bis hoch zu der Brücke wo die Strecke ihn Ost-West-Richtung abknickt. Das war der Wendepunkt, den wir uns vorgesetzt hatten. Weiter können wir nicht. Denn der Südfahrer drückt. Und da hier der erhoffte Querschuss nicht geht, heißt es kehrt machen und zu einer Stelle eilen, die wir bei der Herfahrt als Alternativlösung markiert haben. Viel Zeit bleibt nicht und so hat es auch etwas Spontanes, als wir uns am Straßenrand postieren, auf die Zehenspitzen gestellt um über eine Hecke hinüber, rüber auf die Gleise halten zu können. Und lange dauert es nicht und unser Schnellzug taucht hinter den Häusern auf.
Mit einer sehr interessanten Wagengarnitur ist DF4D 3168 nach Süden unterwegs. Neben chinesischen Wagen älterer Bauart laufen auch zwei mongolische mit, erkennbar an der helleren Farbgebung und den Pferde-Logos.
War das nicht wieder mal Maßarbeit! Sowohl vom Timing her, als auch von der Auswahl der Fotostelle für diesen Zug, passt die Fuhre doch ganz genau in das Motiv!
Eine Stunde Zeit haben wir jetzt bis zum letzten Höhepunkt des Tages, dem K23 von Beijing nach Ulaanbataar. Und da wir bei unserer Fahrt gen Norden gerade eben nichts schlaueres gefunden haben, schauen wir uns die Ortsdurchfahrt hier mal etwas an. Und siehe da, ein Bäumchen, ein kleines Denkmal, eine lange Gerade, kurz alles, was man für die Abbildung dieses langen Zuges so braucht. Und warten lässt es sich hier auch schön.
Nur umdrehen, nein umdrehen darf man sich nicht! Denn dann ist die gute Laune sofort dahin. Schiebt sich doch ein breites, graues Wolkenband immer näher auf uns zu. Und da hilft kein Flehen, kein Pusten, kein noch so häufiges Schauen auf die Uhr, in der Hoffnung die Zeit möge schneller vergehen. Und auch stures nach vorne blicken und ignorieren der Situation bringt keinen Erfolg, wir und die ganze Szenerie werden eingetaucht in graues, trübes Licht. Und mir ist zum Heulen! Noch heute schmerzt der Vergleich zwischen der letzten Testaufnahme bei Sonne und dem endgültigen Foto.
Und auch wenn kurzzeitig nochmal Hoffnung aufkeimt, denn fast hätte es gereicht und die Sonne wäre hinter dem Wolkenband wieder hervorgekommen, Verspätungen sind der chinesischen Staatsbahn Sache nicht, und so kommt die lange Schlange pünktlichst und im Trüben daher!
Es hätte so schön sein können. DF4D 3172 schleppt bei Wangbingcun die lange Wagenschlange des K23 Beijing – Ulaanbataar in Richtung Mongolischer Grenze.
Ein Bild mit schalem Beigeschmack zum Abschluss eines tollen Fototages. Schade drum!
Leise Verwünschungen vor uns hinmurmelnd packen wir die Rucksäcke in die Wagen, legen verbliebenes Knabberzeug und Getränke bereit und schwingen uns auf die Sitze. Denn jetzt geht es zurück nach Süden, nach Ulanqap. Reserviert haben wir nichts. Doch nahe der Autowerkstatt von heute Nachmittag, stand ein großes Hotel. Da sollte doch wohl was frei sein. Und die Lage ist auch gut. Müssen wir uns doch so nicht auch noch durch eine dunkle chinesische Innenstadt quälen, und auch morgen sind wir schnell wieder auf der Autobahn. Strecke machen. Denn es soll unverändert in Richtung Beijing gehen. Auch wenn ich doch noch gerne zumindest einen Tag unseres verbliebenen Urlaubs hier geopfert hätte. Aber um eine dahingehende Diskussion anzuleiern ist gerade nicht so die Stimmung.
Es dämmert schon, als wir die Autobahn verlassen und durch das Gewerbegebiet südlich von Ulanqap cruisen. Das Hotel ist schnell wiedergefunden, wo es aber in diesen Bunker hinein geht, ist weniger leicht zu ergründen. Hoch thront es über dem Areal, mit unendlich vielen Nebengebäuden. Neben einem dieser parken wir nun und streben einem Eingang zu, nicht wissend ob das zielführend ist. Aber irgendwo muss man doch mal anfangen. Und die Ausmaße des Komplexes sind wie gesagt enorm. Und so laufen wir, staubig und verschwitzt wie wir sind, auch gute 15 Minuten durch endlose Gänge, lange Flure und treppauf, treppab, bis wir in einer gigantischen Halle landen, deren Mitte ein großer Springbrunnen ziert, auf dem „geschmackvoll“ Seerosen auf Plastik treiben.
Alles um uns herum ist asiatisch edel, schwülstig und mit viel Pomp. Und wir mittendrin, in unseren Fotoklamotten, mit Wanderschuhen und, sofern noch vorhanden, zerzaustem Haupthaar. Und vorne weg mal wieder Nil, der sich, sich durch eine Horde Chinesen zwängend, die mit ihren Schlüsselkarten auf dem Weg zum Zimmer sind, an den Tresen schmeißt und in seinem besten Englisch nach drei Zimmern frägt. Ja man hat drei ebensolche und wird uns diese auch vermieten für eine Nacht, so die etwas schwer verständliche Replik. Auch wenn wir mit unserem Aussehen den Anwesenden im ersten Augenblick doch etwas suspekt sind.
Kredit- und Schlüsselkarten wechseln munter hin und her, bevor wir uns erst auf den langen Weg zurück zu den Fahrzeugen, und dann, mit Koffern und Rucksäcken beladen, in Richtung unserer Zimmer machen.
Die Zimmer erfüllen dann auch die Erwartungen, die die Fassade und die Gänge dieses 2.000 Betten Bunkers genährt haben. Sie sind groß, mit üppigen, kitschig verspielten Betten, einem riesen Bad, mit ebenso riesiger Panoramascheibe in Richtung Zimmer. Gut das letztere einen elektrischen Rollo hat. Denn auf Peepshow unter Freunden haben wir nach wie vor keine Lust!
Wieder lasse ich Nil den Vortritt in Sachen Badezimmerzeiten, doch der wartet diesmal nicht bis ich und die anderen fertig sind, sondern enteilt gleich in Richtung Innenhof, wo lautstark das Leben tobt.
Castingshow, unfassbar große Hochzeit oder nur ein asiatisches „Wir machen uns alle zum Obst“? Wir wissen es nicht. Es lässt sich nur soviel beobachten, dass gut angezogene Menschenmassen an Tischen vor einer großen Tribüne sitzen, essen, trinken, sich auf die Schenkel klopfen vor Lachen, während sie von der grell erleuchteten Bühne wechselweise von einem mehr als gut gelaunten Moderator angeschrieben oder mit Musik höchster Lautstärke beschallt werden. Dazwischen schrille Showeinlagen und Tanz!
Alles zusammen sehr chinesisch und mit hohem Unterhaltungsfaktor, auch wenn man kein Wort versteht! Man könnte hier stundenlang verweilen. Und genau das schlägt Nil, der die Szenerie schon seit seiner Ankunft ausgiebig und amüsiert beobachtet, jetzt auch vor. Nur keiner von uns steigt durch, wie man sich hier mit den Nahrungsmitteln und Getränken versorgt, die an diversen Ständen rund um den riesen Bohei angeboten werden.
Nil meint, einfach hingehen, gucken, zeigen, und dann ggf. diskutieren. Nur dazu fehlt den meisten anderen nach diesem Tag die Lust. Also streben wir, einen etwas enttäuschten Partylöwen im Schlepptau, einer ruhigeren Ecke des Hotelkomplexes zu, in dem wir beim Ankommen ein Restaurant erblickt hatten.
Zwar deutet dort ein Schild darauf hin, dass das fragliche Etablissement bald schließen wird, aber die freundlichen, wenn auch mal wieder durch die Anwesenheit von Langnasen leicht überforderten, Damen gewähren uns noch Eintritt. Und nachdem die ersten Startschwierigkeiten überwunden sind werden wir, im Tausch gegen Wettgrinsen für diverse Selfies, wieder bestens versorgt. Was es gibt? Ach so, ja es gibt mal wieder hot pot. Nichts Außergewöhnliches mehr, mittlerweile, aber doch immer wieder schmackhaft.
Und so fallen wir auch bald gut genährt und gewässert in unsere Betten, um uns binnen kurzem in einen neuen Tag zu schnarchen. Wechseltag!
Wir wollen, müssen Strecke machen. Zwischendrin die eine oder andere Fotopause, soll es an Datong vorbei zumindest bis zum Anfang der Schlucht gehen, an deren Ende Luopoling ist. So wenigstens der Plan! Aber was ist schon ein Plan? *zwinker* Lasst Euch überraschen!