Griechenland, unverhofft (1)
Von David Gubler
PrologGriechenland. Immer wieder diskutiert, und doch war ich noch nie da. Versprayte Züge, gammelige Infrastruktur, dünne Fahrpläne, alle paar Monate irgendwas anderes stillgelegt, kein Geld für irgendwas seit der Schuldenkrise… Hab ich irgend ein Vorurteil vergessen, das als Ausrede dienen könnte, nicht hin zu gehen? Oder sinds vielleicht doch nicht nur Vorurteile?
Irgendwie ging die letzte Motivation, nach Griechenland zu gehen flöten, als irgendwann um den Jahreswechsel 17/18 die Neubaustrecke zwischen Athen und Thessaloniki in Betrieb ging. Griechenland verschwand von meinem Radar.
Bis… irgendwann in der zweiten Hälfte ‘18 ich mal wieder über aktuelle Bilder von Adtranz-Dieselloks stolperte, die zwischen Athen und Thessaloniki aufgenommen wurden. Also fährt da doch noch was mit Diesel? Müsste man da doch noch vorbei gucken?
Flugs wurde Griechenland auf die Wunschliste der grossen Balkan-Runde nach Bulgarien aufgenommen, die Nil und ich im Herbst ‘18 unternahmen. Allerdings haben wir uns da in Bulgarien etwas zu sehr vertüdelt, als dass am Schluss noch Zeit für Griechenland übrig geblieben wäre. Wieder nix.
Die nächste Chance war, dass Nil Ende Januar ‘19 endlich wieder mal Urlaub machen wollte. Prompt kam Griechenland wieder aufs Tapet. Eines Abends Anfang Januar klärten wir die Situation ab. Schnell war klar, dass zwischen Tithorea und Lianokladi die NBS offen war (wobei angeblich wieder vereinzelt Regios oben drüber verkehren), aber zwischen Lianokladi und Domokos musste die Altbaustrecke noch in Betrieb sein. Dies suggerierten zumindest die Fahrzeiten, die online zu finden waren, und mehr oder weniger aktuelle Bilder. Lianokladi - Domokos würde fototechnisch noch durchaus einiges hergeben.
Auch wenn wir uns unserer Sache relativ sicher waren, kontaktierte ich mal einen Griechen, dessen E-Mail-Adresse ich über Umwege erhalten hatte, und wollte eigentlich nur die Bestätigung, dass unsere Beurteilung der Situation korrekt ist. Der Schreck kam prompt: Seit dem 7. Januar (also zu dem Zeitpunkt etwa seit drei Tagen!) werde auch da über die NBS gefahren. Also, jein, ausser zwischen Aggeie und Domokos.
Uhm, das war jetzt nicht gerade das, was wir uns erhofft hatten, aber immerhin wussten wir nun, was Sache ist. Dachten wir zumindest. Der verbleibende Streckenabschnitt war nicht mehr wahnsinnig lang, aber sah durchaus fotogen aus, und für ein paar gescheite Bilder der Adtranz-Diesel sollte es ja sowieso reichen. Also auf, in zwei Wochen nach Griechenland!
Freitag, 11.1.2019
Nur einen Tag später, am Freitag morgen, kam die nächste Hiobsbotschaft: Aggeie - Domokos soll nur noch bis 17. Januar über die Altbaustrecke laufen! Das heisst es blieben, inkl. heute, nur noch gerade sieben Tage!
Das kreuzte sich nun zumindest mit Nils Plänen, da er erst später Zeit hatte. Und ich hatte nächste Woche auch zu arbeiten. Aber hmm, wer weiss ob man diese Loks später noch irgendwo gescheit fotografieren kann? Und ein paar aktuelle Bilder, die ich erhalten hatte, zeigten sehr viel Schnee in der Gegend, und sogar die Wetterprognosen für die nächsten Tage waren vielversprechend! Den ganzen Freitag durch war ich hibbelig (haben will!) und konnte kaum konzentriert arbeiten. Nachmittags entschloss ich mich endgültig, alle nötigen Leute bei mir im Büro zu nerven, um nächste Woche irgendwie frei zu kriegen. Fixpunkt war allerdings der Freitag Nachmittag, da musste ich wieder zurück in Zürich sein. Allerdings gab das genügend Zeit für diesen Streckenabschnitt.
Nil nervte ich auch ein paar Mal den Tag durch, der hatte allerdings viel Stress, und wir konnten das Ganze erst abends bei einem Bier in Ruhe diskutieren. Allerdings war es ihm bei bestem Willen nicht möglich, so kurzfristig mitzukommen.
Abends musste das Ganze organisatorisch noch erledigt werden. Hinflug Zürich - Athen mit Aegean am Samstag Vormittag, Rückflug am Freitag Morgen früh mit Swiss, beides einzeln zu buchen für jeweils ca. 130 CHF (Danke Google Flights!). Auto wollte ich irgendwas mit 4WD, wegen Schnee und Dreckwegen und so. Sicherer 4WD war bei keinem der grossen Vermieter erhältlich, aber am Schluss buchte ich bei Budget einen Suzuki Jimny, der, wenns dann ein Jimny ist, zwangsläufig 4WD hat. Ausserdem wär das ein kleines Auto; ich konnte mir ja vorstellen, wie eng griechische Innenstädte sind, daher kam mir das gelegen. Aber wir wissen ja alle, man kriegt bei den Vermietungen nie das, was auf der Webseite steht. Hotel für die erste Nacht war das Athina in Lamia, und für die letzte (kurze) Nacht das absurd teure Flughafenhotel in Athen.
Samstag, 12.1.2019
S-Bahn an den Flughafen, kennt man ja, gefolgt von einem angenehmen und pünktlichen Hinflug mit Aegean. Mittelplatz frei im A321, genügend Beinfreiheit, Essen war für einen Europaflug auch ganz ok. Bemerkenswert war der viele Schnee auf dem Balkan; insb. Bosnien war quasi durchgehend weiss!
In Athen empfing mich aber primär mal Regen, ohne Hinweis auf Schnee. Die Autovermietung war schnell gefunden, aber Budget hatte selbstverständlich keinen Jimny, sondern einen Fiat 500 SUV (die Perversion, aus einem Fiat 500 einen SUV zu machen, sollte strafbar sein. Wer sich darunter nix vorstellen kann, einfach mal googeln). Allerdings konnte ich für 120 Euro oder so ein Upgrade auf einen 4WD Jeep Renegade bekommen, was ich dann auch etwas widerwillig annahm. Etwas Verwirrung kam auf, als ich trotz 4WD auch noch Schneeketten wollte; aber schlimmstenfalls musste ich das Auto alleine wieder irgendwo aus dem Schnee raus kriegen, da waren ein paar Hilfsmittel nicht verkehrt, und die 25 Euro dafür auch noch im Rahmen. War am Schluss dann auch kein Problem.
Anschliessend gings aus Athen raus gegen Norden. Irgendwo um Inoi rum stellte ich mich noch kurz an die Strecke. Es war zwar inzwischen schon arg am Eindunkeln, aber ich wollte mal sehen, wie die Züge hier bespannt sind; wie erwartet kam nach etwas Warten IC 58 mit einem Adtranz-Diesel vorbei, obwohl hier die Fahrleitung durchaus schon in Betrieb ist.
Die weitere Fahrt nach Lamia war unspektakulär; primär wars finster und nass. In Lamia war das Hotel schnell gefunden. Wie erwartet war das Parken in der Hotel-Tiefgarage mit dem Renegade-Schiff allerdings etwas eine Herausforderung, aber nach etwas Zentimeterarbeit gings schlussendlich doch noch. Das Hotel Athina war zwar nicht mehr ganz neu, aber gut im Schuss, sauber und mit rund 50 Euro pro Nacht bezahlbar.
Nach einem kurzen Abendessen beim Burgerbrater (nix gegen griechische Restaurants, aber 1.5h alleine in einem Lokal zu sitzen und mich mit meinem Handy zu unterhalten geht mir einfach auf den Keks) musste noch kurz der morgige Tag geplant werden, und bald gings ins Bett.
Sonntag, 13.1.2019
Frühstück liess ich ausfallen, da es sonst zeitlich eng geworden wäre, und so gings ziemlich direkt gegen Norden.
Nun, zunächst gibt es nördlich von Lamia einen Pass zu überwinden, der von Meereshöhe über vielleicht 800m auf ein Plateau führt, welches auf rund 500m Höhe liegt. Dieser Pass entspricht bei der Eisenbahn dem Abschnitt Lianokladi (ein paar km westlich von Lamia) - Aggeie, und die Passstrecke ist, wie schon erwähnt, seit kurzem nicht mehr in Betrieb. Zunächst war die Fahrt den Pass hoch etwas enttäuschend, denn ich hoffte auf Schnee, aber davon war bis kurz vor der Passhöhe überhaupt nichts zu sehen. Dies änderte sich nach dem Scheitelpunkt aber schlagartig! Auf der anderen Seite wurde ich vom schönsten Winter-Wunderland empfangen, mit ca. einem halben Meter Schnee, weissen Büschen und Bäumen, und schönstem Wetter. Eine schönere Überraschung hätte es nicht geben können!
Auf der anderen Seite wieder runter und quer über die Ebene ging es, bis links eine Seitenstrasse abbog, welche in Richtung Aggeie zur Eisenbahn führte. Etwas weiter hoch in die Berge, und bald war ich an der Abzweigung, bis wohin ich vermutete, dass die Strasse befahrbar wäre. Bis dahin waren die Strassen zwar stellenweise eisig, aber gut geräumt. Der abzweigende Weg war aber schneebedeckt und nicht befahrbar. Damit hatte ich aber gerechnet und entsprechend Zeit eingeplant. Zu Fuss gings weiter zur angedachten Fotostelle, inkl. eher mühsames Erklimmen eines Hügels.
Ich wartete auf den zweiten Südfahrer des Tages, IC 53, der Domokos um 9:04 hätte passieren müssen. Tat er aber nicht. Die TrainOSE-Webseite versprach zunächst +26, später +52. Das war dumm, denn damit würde es für die nachfolgende Gegenleistung eng. Es blieb allerdings nichts anderes als weiter zu warten, und mit ca. der angekündigten Verspätung kam der Zug auch tatsächlich vorbei.
Für den Weg zurück zum Auto benötigte ich fast 45 min. Ich wollte mich nun beim bekannten Kifera-Viadukt hinstellen; die Stelle war auch schnell gefunden, aber ich wartete da nicht lange, da eine realistische Betrachtung der Fahrzeiten und nicht vorhandenen Online-Verspätungsangaben ziemlich klar sagten, dass der Zug schon durch sein musste. Ärgerlich!
Weiter gings zur nächsten Ecke, die ich mir vorgenommen hatte. Zu dieser Fotostelle hatte es einen zwar nicht geräumten, aber schon befahrenen Weg. Das probieren wir doch gleich aus! Ich kam mit dem Auto zwar hoch, konnte aber schlussendlich nirgends parken, weil die einzige Parkmöglichkeit eine steile Weg-Abzweigung war, die ich mit meinen tollen Sommerreifen trotz 4WD nicht hoch kam. Also das ganze zurück und hoch gehen.
Eine passende Stelle für IC 55 war schnell gefunden. Kaum 10 Minuten an der Stelle brummte es aber von hinten. Was war denn das, etwa der verpasst geglaubte IC 50?!? Aber aber aber, das konnte doch nicht sein?! Bäääh, den wollte ich doch am Kifera-Viadukt ablichten! *schimpf* *fluch*
(Es stellte sich später heraus, dass ich den IC 50 tatsächlich verpasst hatte; dieser Zug war wohl der 884 Athen - Kalambaka, den ich bei meiner Fahrplanabfrage übersehen hatte, da er in Palaeofarsalos abzweigt).
Der erwartete IC 55 kam dann wenig später, und entschädigte gleich für den Ärger, hatte er doch noch einen HellasSprinter dabei!
Hab ich die tollen verschneiten Büsche schon erwähnt?
Nun gings für den nächsten Zug (und die wohl letzte Leistung bei Sonnenschein) zum Viadukt bei Kifera. Dort traf ich auf einen älteren griechischen Eisenbahnfotografen aus Athen, der zum Glück ziemlich gut Englisch konnte, und wir unterhielten uns über allerlei. Besonders interessant war seine Antwort auf die Frage, ob man hier mit Güterverkehr rechnen könne: Nein, tagsüber nicht, denn es fehle die Streckenkapazität! Dies deshalb, weil auf grossen Teilen der Strecke Athen - Thessaloniki die Signalsysteme ausser Betrieb seien, weil die Kabel geklaut werden! Die Züge fahren entsprechend nur nach Befehl zwischen den besetzten Bahnhöfen, wobei die Abschnitte dazwischen sehr lange sein können, in der Grössenordnung eine Stunde Fahrzeit!
IC 52 kam früher als erwartet vorbei, nämlich etwa eine halbe Stunde vorzeitig. Dies deshalb, weil trotz eröffneter NBS zwischen Lianokladi und Aggeie die Fahrzeiten nicht angepasst wurden, und entsprechend die Nordfahrer hier zu früh sein können.
Auch IC 52 erfreute uns mit einem HellasSprinter, und gleich zwei Adtranz-Dieseln!
Nun war es das leider vorerst mit den fotografierbaren Zügen. Die nächsten Bewegungen waren erst nach 17:00, und zwar eine Kreuzung in Aggeie. Leider ziemlich alles nach Sonnenuntergang.
Mangels besserer Ideen fuhren wir beide nach Aggeie und guckten uns den dortigen Bahnhof an.
Die Situation in Aggeie war so, dass vor dem alten Bahnhof die alte Strecke mittels Weichen mit der NBS verbunden war; die Züge fuhren entsprechend noch durch den alten Bahnhof. Nördlich davon querte die NBS die Altbaustrecke; die NBS war dort für ein paar Meter unterbrochen, d.h. von dieser Seite her noch überhaupt nicht erreichbar.
Der Griechische Kollege ging im Bahnhof etwas mit den Eisenbahnern schwatzen und kam mit ein paar Infos zurück (die Aussagen darf man allerdings nicht auf die Goldwage legen - was am Schluss stimmt und was nicht weiss irgendwie niemand so genau). Einerseits soll die alte Strecke in diesem Abschnitt nach Inbetriebnahme der NBS wieder angeschlossen werden. Dies deshalb, weil eine Brücke irgendwie in einer Erdbebenzone liegt, und sich u.U. verschieben könne; dann würde die alte Strecke als Rückfallebene dienen.
Ebendiese Brücke würde auch noch irgendwelche Lasttests vor der Inbetriebnahme erfordern. Evtl. fänden diese Mittwochs statt (wenige Tage vor der Betriebsaufnahme!). Und im Bahnhof Domokos müssen noch Bahnsteige montiert werden (?), dies würde am Dienstag geschehen (ein späterer Augenschein in Domokos offenbarte allerdings keine fehlenden Bahnsteige). Und aufgrund des Schnees könne sich sowieso alles verschieben. Und ach ja, die Fahrleitung sei erst bis Lianokladi in Betrieb; zwischen Lianokladi und Palaeofarsalos sei so vielleicht im März mit Aufnahme des elektrischen Betriebes zu rechnen.
Irgendwann wurde es dann doch noch Zeit, sich aufzustellen. Ich hoffte noch auf ein Sonnenbild bei der Bahnhofseinfahrt; wäre der IC 56 eine halbe Stunde vorzeitig gewesen wie der IC 52, hätte es dafür gereicht. Er war leider nur 10 min vorzeitig. Im Vordergrund sichtbar ist das Gleis der Altbaustrecke, die zwar noch angeschlossen ist, aber nicht mehr befahren wird.
Dafür war der kreuzende IC 59 aus Thessaloniki 20 Minuten zu spät, was dem IC 56 über eine halbe Stunde Aufenthalt in Aggeie bescherte. Immerhin konnten sich die Fahrgäste am Schnee erfreuen.
Die folgenden Bilder werden präsentiert von: ISO 6400 und Blende 2.8! Es war nämlich inzwischen ganz schön finster, als IC 59 ankam und IC 56 abfahren konnte. Aber die Stimmung mit dem Schnee und Dämmerlicht fantastisch! Im Hintergrund sieht man die unterbrochene NBS.
Ich verabschiedete mich anschliessend vom Griechen, und machte mich auf den Weg zurück nach Lamia. Morgen sollte das Wetter ziemlich schlecht werden; entsprechend hatte ich keine grossen Pläne, wollte aber dennoch etwas Rekognoszieren gehen. Die abendliche Planung beschränkte sich daher auf die Entscheidung, sich morgen mehr Zeit zu lassen und das Frühstück zu besuchen. Gute Nacht!