Schaut mal die Zwei! Sind das nicht He Fu Bao und Bai Ho Tsai? – Teil 11
Von Christof Hofbauer
Jingpeng – Jingpeng, 19.07.2016Nein, Kofferpacken gehört nun definitiv nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Weder zu Beginn einer Reise, noch während der Tour, wenn es darum geht das Nachtlager zu wechseln. Immer schauen ob man auch wirklich alles hat, die Zweifel ob auch alles was man hat rein passt, und dann die Verzweiflung, wenn ich den halbleeren Koffer meines Zimmergenossen sehe, in dem locker noch mein Koffer samt Kofferbesitzer Platz finden würde. Was hab ich denn nur wieder alles mitgeschleppt…..
Nein, wie gesagt, es gibt schöneres. Aber heute ist es ganz besonders lästig. Denn ich will hier eigentlich nicht weg. Und das liegt nur zum geringeren Teil an dem gemütlichen Zimmer in dem wir residieren. Nö, es liegt vielmehr daran, dass wir noch nicht fertig sind mit der Ecke hier.
O.k., den Pass haben wir nun fast zwei Tage beackert, aber was ist mit der Strecke östlich davon? Dort wo noch ausschließlich DF4 laufen? Da würde ich gerne nochmal hin. Und da gäbe es auch noch genügend nette Stellen. Wenigstens sagen mir das die Bilder und die Erinnerungen aus 2005. Aber die Meute will weiter. Zu stark ist der Drang nach Westen. Unter dem heranziehenden schlechten Wetter durch und weiter auf der Runde gen Beijing. Stehen doch dort unverrückbare Fotoziele auf dem Wunschzettel!
Ein Fehler wie ich denke. Denn in einem Land von solchen Dimensionen kannst Du nicht alles haben. Nicht in drei Wochen und auch nicht in drei Jahren. Da muss man sich fokussieren! Und auch mal etwas weglassen können, um anderes dafür auszuschöpfen. Hier kann man eben später nicht nochmal kurz vorbeischauen. Das ist das Problem. Und so sehe ich das eben auch mit dem Streckenabschnitt zwischen Daban und Tongliao. Wer weiß, ob und wann es uns hier wieder mal her verschlägt. Und wie wird die Eisenbahnwelt dann aussehen. In China geht alles furchtbar schnell.
Doch die Mehrheit zählt in unserer Demokratie und die Mehrheit hat sich, wenn auch teils nicht mit voller Begeisterung, für ein Verschieben nach Westen ausgesprochen. Dann soll, nein, dann muss es halt so sein. Da hilft auch leises vor sich hin grummeln nichts.
Die Zahlungsmodalitäten an der kleinen Rezeption ziehen sich etwas an diesem Morgen, also hängt das Gro der Truppe eine Zeitlang vor dem Gebäude in und bei den Autos. Das bleibt natürlich nicht unentdeckt. Ein kleiner Chinese, Marke verzogener und gut raus gefütterter Satansbraten, hat uns erspäht und hört nicht eher auf zu nerven, bis dass die obligatorischen Selfies mit uns entstanden sind. Langsam geht einem das Fotografieren doch ein wenig auf den Geist….
Dann endlich setzt sich unsere zwei Wagen Kolonne in Bewegung. Bis zum ersten Motiv haben wir nicht weit. Gleich hinter Jingpeng soll es sein, an der großen Brücke bei der Sandgrube oder besser beim Sandberg. Das haben unsere Erkunder gestern festgelegt und auch gleich den passenden Zug dazu ausgewählt.
Gefühlte dreimal ums Eck und wir parken gleich in der Nähe des mächtigen Pfeilers der Gitterbrücke. Hui, hier hat es einen Brückenwärter. Und der ist auch aktiv, so wie es aussieht. Frage: Macht der Probleme? Antwort: Nicht wenn man im respektvollen Abstand und ohne viel Getöse an seiner Hütte vorbeimarschiert. Geschafft! Wir sind anscheinend unbemerkt geblieben. Oder aber ihn stört unsere Anwesenheit und unser Tun von Haus aus nicht. Während der Rest des Rudels hart an der Abbruchkante der Sandgrube entlang schleicht, gehe ich eher in der Nähe der Gleise hoch. Die Kante war mir, teils überhängend und eben nur aus Sand bestehend, von unten her schon nicht recht geheuer. Und wenn’s da ab geht, dann geht’s aber ab! Freifallhöhe geschätzte 40 m! Nix für mich! Dann lieber schön brav etwas abseits laufen, dafür aber sicher im „Hinterland“. Und wer weiß, vielleicht kommt ja noch was, was man fotografieren kann, wenn man an den Gleisen unterwegs ist. Und es kommt.
Vor wenigen Minuten hat DF4DK 3331 mit dem K1381/1384 von Harbin West nach Baotou Jingpeng verlassen und ist nun weiter nach Westen unterwegs.
Na, wer sagts denn? Netter Start am Morgen. Nix für den Rest der Truppe, weil *äch* nur Lokschuss, aber mich freut’s. Darum geselle ich mich wenig später durchaus mit einem Strahlen im Gesicht zu den anderen. Aber nicht nur ich strahle. Auch der Dunst vor uns leuchtet, kämpft sich doch oben am Himmel die Sonne langsam, aber tapfer, durch eine Hochnebelschicht. Geht da vielleicht noch was in Sachen Tagesprogramm? Mal überlegen! Aber erstmal widmen wir uns dem Gegenzug, für den wir eigentlich hier sind. Der steht schon drüben, auf der anderen Talseite, weit hinten sichtbar in einer Ausweiche um den eben fotografierten K1381/1384 passieren zu lassen. Nun setzt er sich langsam in Bewegung und auch der Brückenwärter tritt wieder pflichtbewusst aus seinem Häuschen. Aufstellung nehmen und Männchen machen. Und über uns? Die Sonne tut ihr Bestes und schickt wechselndes Licht durch die Schmodderschicht. Na, ist doch schon mal nicht schlecht!
Nachdem er in der nahen Ausweichstelle mit dem westwärts fahrenden K1381/1384 gekreuzt hat, ist K995/998 nun wieder auf dem Weg in Richtung Jingpeng. Gezogen wird der Langläufer von Chengdu nach Hailaer auf diesem Abschnitt bis Daban von DF4DK 3210.
Habt ihr übrigens auf dem Bild den Brückenwärter beim Ballett gesehen? Erst steht er mit der Front zum herannahenden Zug, dann um 45° gedreht bei der Vorbeifahrt, um nach erneuten Schwenk den Zugschluss nach dem Passieren hinterher zu schauen. Perfekt! Nur das mit der Dienstkleidung *hmmm* das haben wir doch schon schneidiger gesehen.
In lockerer Dienstbekleidung, aber mit Armbinde und Flagge nimmt der Brückenwärter die Vorbeifahrt der DF4DK 3210 vor dem K995/998 ab.
Hui, der Tagesstart kann sich nun doch mal sehen lassen, oder? Blick zur Uhr, gerade erst halb Neun. Da ist noch jede Menge Tag übrig. Es gärt!
Deutlich geräuschvoller geht es jetzt wieder hinunter, immer am Abgrund entlang und vorbei am Wärterhäuschen, dessen aktueller „Bewohner“ nur wenig Interesse an uns zeigt. Langnasen, ach ja, schon eine Weile her als sie in Scharen hier herumtollten. Jetzt haben sie sich rar gemacht die letzten Jahre. Aber trotzdem nichts Besonderes!
Unten am Auto erstmal Rucksack ab und Flasche auf. Obwohl noch früh am Morgen ist es schon wieder ordentlich warm und das Gelatsche entsprechend schweißtreibend. Während neben uns ein Tank-LKW mit räusperndem Motor unter die Entnahmestelle rangiert, gut das wir da nicht geparkt haben, wir standen nämlich schon kurz mal an der Stelle, lege ich einmal mehr den Kopf ins Genick. Blau! Zartes Blau schimmert durch die Dunstfetzen. Und die Sonne drückt von Minute zu Minute mehr. Nochmal den Blick in die Runde schweifen lassen, dann steht mein Entschluss fest. „Schau mal, die Sonne kommt durch! Wäre doch doof sich jetzt ins Auto zu setzen und Kilometer zu schrubben! Was meinst Du? Also ich würde noch einen Tag hierbleiben und auf die andere Seite des Passes fahren. Bis hinter Daban und da DF4 machen.“ Klare Aussage und sie ist an Nil gerichtet, der sich zwischenzeitlich in den Schatten unseres fahrbaren Untersatzes zurückgezogen hat. Nun kommt er wieder hervor und richtet seinen Blick ebenfalls nach oben. Gemurmelte Zustimmung!
Schräg gegenüber bemerkt man unser Tun. „Hey, was’n los? Was überlegt ihr?“ Eigentlich schnell erklärt, wir würden gerne hier noch einen Tag dranhängen. „Ja aber der Plan? Die Stellen bei Beijing?“ Interessenskonflikt nennt man das wohl jetzt. Schwierig zu lösen, aber eigentlich auch nicht. Denn wir haben ja zwei Autos und Handys. Sprich, eine Gruppe kann sofort nach Westen fahren, während die anderen noch verweilt und ihnen später folgt. Alles kein Problem, oder? ….. Anscheinend doch!
Erinnert mich stark an eine sehr ähnliche Diskussion zwei Jahre zuvor in Südafrika. Zwei kurzentschlossen hü, zwei wie geplant hot. Selbe Situation, selber Lösungsvorschlag, selbes Endergebnis: Na guuut, dann bleiben wir halt noch einen Tag hier *grmbl* Die „West-Fraktion“ ist unzufrieden und wird es im Grunde ihres Herzens auch bleiben. Auch wenn sie jetzt im Moment aus freien Stücken diese Entscheidung getroffen hat. Immer wird ihnen ab jetzt dieser eine Tag fehlen. Immer werden sie alles was heute und die nächsten Tage geschieht daran messen, wie es gewesen wäre, wäre man nur gleich gefahren. Aber alleine absetzten wollen sie sich auch nicht.
Trotzdem hängt was in der Luft als wir uns auf dem Weg machen. Aus der Erfahrung der Jahre weiß ich, wenn es mal so verkorkst angeht, dann bleibt es auch irgendwie verkorkst. Und genau das wird auch dieser Tag bestätigen!
Erstmal geht’s aber wieder nach Jingpeng hinein. Nach Osten über die Landstraße entlang der Strecke oder über die südlicher gelegene 4-spurige Schnellstraße. Das ist jetzt die Frage. Letztere macht zwar einen kleinen Umweg, ist aber dafür ohne ellenlange Ortsdurchfahrten, nicht so gewunden, ohne Schotterpisten und Baustellendurchfahrten….. denken wir! Also, ab in Richtung Schnellstraße!
Schon der Start hätte uns stutzig machen sollen und lieber wieder umkehren lassen. Doch wie habe ich vorhin geschrieben? Wenn’s verkorkst ist, dann bleibt’s verkorkst. Denn kaum haben wir die Zufahrt zur Schnellstraße erreicht, bremst uns ein Gewirr aus Baustellenschildern und Baustellenhütchen aus. Viel Aufschlussreiches steht auf den Schildern geschrieben, einzig wir können es nicht lesen. Und so sehen wir uns unvermittelt einer Schranke gegenüber, die im Begriff ist geschlossen zu werden. Na, darauf haben nun ja gar keine Lust. Hier zu stehen und wer weiß wie lange auf den Gegenverkehr zu warten. Doch *haha* unser forsches Heranfahren zeigt Wirkung: Wir dürfen noch durch! Triumphgeheul, was uns aber bald im Halse stecken bleiben wird!
Gehen anfangs die Fahrspuren auf den beiden Richtungsfahrbahnen munter hin und her, und zwar so, dass wir am Ende nicht mehr wissen ob wir überhaupt noch auf der richtigen Spur fahren, endet die ganze Herrlichkeit plötzlich und wir werden auf eine elendslange Umleitung auf normalen Landstraßen bis hinauf in die Berge gelotst. Auch wenn sich dort teils begeisternde Ausblicke auf die umliegende Landschaft ergeben, uns rinnt die Zeit zwischen den Fingern durch. Nervig! Und dann, als wir uns endlich nach weitem Zickzack wieder der Schnellstraße nähern, Hoffnung keimt auf, der endgültige Tiefschlag: wir werden auf eine Schotterpiste abgeleitet. Nein, es ist nicht das Planum einer Straße die nurmehr geteert werden müsste. Es ist ein übler Schotterweg, der für alles gedacht ist, nur nicht dafür, den Fernverkehr der Region aufzunehmen, mit allen seinen PKW und schweren LKW! Ein paar Kostproben gefällig? Gerne doch!
Gut eine Stunde haben wir so verdaddelt! Und noch ist Daban weit. Aber immerhin geht es jetzt wieder auf die Hauptstraße. Übrigens Grund für die Sperrung war die Sanierung der Trasse, inkl. Abbau und Austausch aller Brücken in diesem Bereich. Ein Beispiel für die Nachhaltigkeit einiger Bauwerke in China, denn allzu viele Jahre dürfte diese Schnellstraße noch nicht auf dem Buckel gehabt haben.
Recht umständlich kurbeln wir uns wieder hinauf auf das Teerband, dann heisst’s „gib Gummi!“ Und obwohl wir zügig vorankommen, unter Ausnutzung der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit, schrumpft die Distanz zum anvisierten Bahnknoten nur langsam, sehr langsam. Es scheint so, als ob der blaue Punkt auf meinem Tablet, der in Echtzeit auf der elektronischen Landkarte mitläuft, sich gar nicht bewegt.
Endlich sind wir an der Einmündung der Schnellstraße die von Chengdu heraufkommt, damit quasi auf bekanntem Gelände und nicht weit weg vom Etappenziel Daban. Nur kurz bremsen uns eine Aufforstungsmaßnahme und die Mautstelle aus, dann werfen wir uns nach links ins Häusermeer.
Da Karten bei Annäherung an chinesische Städte bekanntermaßen ja unnütz sind, verlassen wir uns bei dieser Einfahrt lieber mal auf unseren Orientierungssinn. Hier gleich nach der Mautstelle rein, denn da hinten müsste eigentlich schon der Bahnhof mit seiner Brücke sein. Warum wir uns zielgerichtet hier in diesen neuerbauten Stadtteil, hin zur Bahnhofsausfahrt stürzen? Ein Blick in den Fahrplan hat mir gesagt, dass wir, mit etwas Glück, die Ausfahrt des heute Morgen schon fotografierten Schnellzugs noch machen könnten. Und da hier in Daban die Zugmaschine gewechselt wird, kann man sich dafür durchaus nochmal stellen.
Eigentlich hatte ich unterwegs ja schon gar nicht mehr daran geglaubt. Diese ganze Öddelei. Und dann dauerte es von dem Zeitpunkt, als wir wieder auf der Straße waren, auch nochmal eine Stunde bis wir hier angekommen sind. Aber es hat gereicht. Unter uns dieselt, friedlich vor sich hin blubbernd, DF4D 4305. Sie wird den Schnellzug hier von ihrer „Rennschwester“ übernehmen.
Glaubt man dem Fabrikschild, ist die DF4D 4305 zum Aufnahmezeitpunkt gerade mal 8 Jahre alt. Schaut man sich die Rostflecken an, wohl eher 80.
Erstmal muss aber DF4DK 3210 mit viel Gepfeife vom Zug absetzen, bevor sich die DF4D für den nächsten Abschnitt vor ihn setzen kann. Natürlich lässt auch sie sich nicht lumpen und tutet was die Signalanlage hergibt. Leider zieht ihre Schwester ganz bis zu uns vor und kommt unter der Brücke zum Stehen. Daher gibt es kein Bild beider Maschinen nebeneinander, wie erhofft.
DF4DK 3210 hat den K995/998 bis Daban gebracht. Nun setzt sie ab um ihn an die langsamere DF4D 4305 zu übergeben. Warum ausgerechnet vor dem flachen Teilstück die schnelle Maschine die Bespannung abgibt wird wohl ein Rätsel bleiben.
Nun ist der Weg frei und DF4D 4305 kann sich vor den Zug setzen, um wenig später die Reise fortzusetzten.
Gleicher Zug, andere Bespannung. Gab es an diesem Tag bereits vor Jingpeng ein Bild des K995/998 mit DF4DK 3210 an der Spitze, wird er nun, nach Lokwechsel, bei der Ausfahrt aus Daban mit DF4D 4305 als Zuglok abgelichtet.
Übrigens, Pascal und Gunar hatten den Lokwechsel sausen lassen und waren zum Betriebswerk durchgefahren, um dort die auf einem Denkmalsockel thronende QJ 6911 abzulichten, ziert doch ein Schild mit ihrer Nummer seit 2005 das Zimmer von Pascal.
Rechtzeitig zur Ausfahrt des K995/998 sind sie aber zurück. Und auch die beiden nun folgenden Rangierfahrten können sie mit beobachten. Denn während DF4DK 3210 ihren Platz unter der Brücke verlässt und in Richtung Betriebswerk verschwindet, rollt DF4D 4301 heran, die vorher schon die ganze Zeit sichtbar in einem der Gütergleise gewartet hatte. Sie übernimmt jetzt einen Zug, der gerade hinten im Bahnhof am Bahnsteig zum Halten gekommen ist und den wir nun so gar nicht auf dem Zettel haben.
Was nun? Nochmal hier die Ausfahrt abwarten? Nö, den Blick haben wir nun schon zur Genüge. Von den „Ortskundigen“ kommt daher der Vorschlag, etwas weiter in Richtung Osten zu fahren. Nicht weit von hier verläuft die Strecke in einer weiten offenen Doppelkurve. Die Sonne sollte dort passen und auch der Zug, soweit wir von hier hinten erkennen können, gebildet aus einer artreinen Garnitur schöner, grüner Wagen, wäre dort optimal zu sehen.
Erkennt jemand den Fehler im Plan?!? Es ist elf Jahre her, dass Pascal und ich hier waren. Und damals fuhren wir auch nicht selbst. Also ist das Auffinden von Stellen, und vor allem der Straßen, die dahinführen, aus dem Gedächtnis dann doch etwas anspruchsvoll! Zudem sind wir hier in China! Und hier verändern sich Städte fast über Nacht. Wo früher noch Brache und Felder waren, ist heute schon längst alles unter Beton und Teer verschwunden und von Hochhäusern, Straßen, Boulevards, Dämmen, Fabriken und ähnlichem verstellt!
Und so irren wir auch, kurz nachdem wir schwungvoll gestartet sind, planlos durchs Revier. Das ich wieder Nils vermaledeites Handy zum Navigieren benutzen muss, macht die Katastrophe noch perfekt! Schon beim Abbiegen von der Hauptstraße ist mir klar, dass war jetzt nix. Zwar landen wir nach einigem Gekurve und Gehoppel auf einer Freifläche mit Sicht auf die Bahn, und auch nicht einmal so weit von der Stelle weg wo ich hin wollte, aber dazwischen liegt Brachland und eine kleine off-road Einlage, die nur mehr Zeit und Nerven kostet. Irgendwie das Motto des heutigen Tages!
Unter zunehmend lauter werdendem Gegrummel meines Fahrers erreichen wir tatsächlich den Ort, den ich als Standpunkt ausgegeben hatte. Doch hier ist nichts mehr so wie es war. Statt eines weiten Blicks auf den Gleisbogen nur Büsche, Bäume, ein halbfertiger Damm und die ersten Pfeiler einer Straßenbrücken *äch* ! Dabei hätte es sooooo schön aussehen können.
2005 war hier noch freies Schussfeld, als am frühen Morgen QJ 6988, zusammen mit ihrer Schwester QJ 6878, Daban mit einem Güterzug in Richtung Tongliao verlässt.
Also das wir nix! Und auch der Einschnitt hinter uns, der vor 11 Jahren noch völlig unbewachsen war und so aussah…….
……ist völlig verwachsen. Zwar machen wir, in langsam wachsender Panik der Zug könnte uns vor der Nase durchfahren noch bevor wir einen Standort gefunden hätten, noch einen Versuch uns hinter dem Zaun in die Büsche zu schlagen, aber von der Garnitur ließen sich maximal die Lok und zwei bis drei Wagen aufs Bild bringen. Also Abbruch!
Legen wir die Dauer zwischen Ankunft und Abfahrt des Schnellzugs von eben zu Grunde, hat sich unser Zeitfenster, dass wir für einen Standortwechsel haben, eigentlich bereits geschlossen und DF4D 4301 müsste jeden Augenblick rechts von uns um die Kurve kommen. Trotzdem wagen wir noch einen Versuch, eine andere Stelle zu finden. Na gut, was bleibt uns auch anderes übrig.
Kurze Absprache, dann übernimmt Pascal diesmal die Führung. Eigentlich, so unser Beider Erinnerung, gab es mal nicht weit vor uns eine Abzweigung nach links, immer der Strecke entlang. Da wo unser Busfahrer immer mit Vollgas und unter lautem Hupen, dafür aber ohne Halt und ohne Sicht hinter der Mauer hervorgeschossen ist, hinaus auf die Kreuzung. Das sollte nun aber leicht zu finden sein.
Also sind wir es nun, die uns diesmal vertrauensseelig an den Vordermann hängen und uns führen lassen. Und während ich, noch mies drauf ob meines Versagens in Sachen Führung, langsam ausdampfe merke ich, auch Pascal hat sich wohl gehörig verfranzt. Denn statt auf einer Schotterpiste oder gar Teerstraße, hoppeln wir nun auf einem löchrigen Weg mitten zwischen Frühlingszwiebeln und Kohl durch die sprichwörtliche Botanik! Was für ein Spaß! *grmbl* Das weiter hinten gut sicht-, dafür aber unerreichbar, eine DF4D mit grünen Wagen am Haken vorbeizieht, kann die Stimmung unerklärlicherweise gerade im Moment auch nicht anheben! Ja warum denn nur?
Zum ersten Mal bin ich froh um Müll der auf dem Weg liegt, ist doch er es, der viele Schlaglöcher oder besser Schlagkrater überhaupt erst durchfahrbar macht. Dann ist es geschafft, wir sind wieder draußen, haben so etwas wie eine Straße unter den Rädern und fahren parallel der Bahn. Also, man vermutet die Bahn links neben uns, auch die elektronischen Helfer bestätigen ihr Vorhandensein. Allerdings ist der Blick durch üppig, grünen Bewuchs deutlich eingeschränkt. Irgendwie war früher alles aufgeräumter in dieser Ecke, nich?
So pflügen wir entlang der Schienen durch den Schotter, bis wir …. ja wohin kommen wir hier eigentlich. Unvermittelt sehen wir vor uns ein Gespinst aus Schienen. Überwerfungen, Unterfahrungen, Abzweigungen! Es ist die Ausfädelung der Kohlebahn nach Chifeng aus der Jitong Linie. Und gleichzeitig sind es die Zufahrten zum großen Kraftwerk, welches sich linkerhand erhebt. Wer die Abgeschiedenheit in dieser Gegend von Früher her kennt, füllt sich in einer anderen Welt.
Wir nutzen die baulichen Veränderungen in der Landschaft um endlich mal hinter die Hecke zu schauen. Eine Brücke hinüber zum Kraftwerksgelände erlaubt einen freien Blick auf die Strecke. Und siehe da, hier ist sie ja schon zweigleisig. Und da schau, da hinten kommt ein Licht, eingerahmt in creme und blau. Kameraden, an die Apparate!
Wieder ein Zug den unser Fahrplan nicht kennt! Und wie kommt es eigentlich, dass wir jetzt die 4301 sehen? Was war das dann für ein Zug der uns gerade bei der Gurkerei durch die Gemüsefelder durch die Lappen ging? Im Bahnhof Daban stand doch nichts mehr, was hätte vorher fahren können? Oder war die JT so nett und hat, um unsere Leiden zu mindern und uns für unseren Kampfgeist zu belohnen den Zug auf den wenigen Kilometern mal kurz aufgehalten?
Egal! Wir haben unser Bild. Und wenn es auch nicht gerade ein Starfoto ist, so ist es doch eines mit Symbolkraft, für die laufende Modernisierung der Jitong Linie.
Ein Blick auf die Uhr lässt uns erschaudern! Fast Mittag und wir sind noch so weit weg von dem eigentlichen Zielgebiet, der Region um Lindong. Da gäb’s ein paar nette Stellen, die Strecke dreht viel und man kommt gut ran. Also kurz besprechen was nun. Eins ist sicher, es soll möglichst bald einen vernünftigen Standort geben, an den man sich platzieren und ein nettes Bild machen kann. Die Wahl fällt daher auf die Brücke bei Chaganhada.
Wieder führt Silber, wir dackeln hinterher. Glücklicherweise gibt es hier wieder ein ordentliches Straßennetz und so erreichen wir, parallelfahrend zur neuen Kohlebahn gen Süden, zügig die vierspurige Hauptstraße.
High noon auf der Schnellstraße. Die beiden Fahrer drücken mächtig auf’s Tempo, während sich die Mittagsschwüle drückend über die Landschaft legt. Man hat das Gefühl, man wird in den Sitz geschmolzen. Daher ist es mir auch ganz recht, wenn es etwas flotter vorwärts geht. Erst recht, wenn man sieht, welche Strecke wir noch zurücklegen müssen bis zur Brücke. Und es zieht sich, und zieht sich, und zieht sich. Und mit jeder Minute die vergeht, verfestigt sich die Gewissheit, dass wir durch Unentschlossenheit heute Morgen und das ganze Getrödel den Tag über zu viel Zeit verloren haben und daher die Brückenstelle der Wendepunkt sein wird. Weiter geht’s dann aus zeitlichen Gründen nicht mehr. Sch….!
Endlich, endlich, da ist die Stelle. Jetzt noch irgendwie die Biege über die Schnellstraße kriegen, dann rein ins Gelände. Fotografenfreundlich hat man sogar einen Feldweg gebaut. Dann stehen wir nun parallel nebeneinander, Blickrichtung auf die Strecke und geparkt auf dem Planum der „alten“ Trassenführung!
Mooo’ment? Wie jetzt? Der alten Trassenführung?? Aber die Strecke ist doch erst aus den 90-gern??? Das müssen wir uns aber dann mal genauer anschauen. Ja genau! Dann! Denn kaum da, beginnt es wie bestellt zu rollen. Ein Güterzug aus Richtung Osten kommt langsam heran. Und den darf man natürlich nicht unfotografiert lassen. Wozu sind wir den schließlich hier. Also muss die Eisenbahn-„Archäologie“ noch ein bisschen warten.
Schick! So kann’s gerne weitergehen! Jetzt mal die Kameras bei Seite gelegt und wieder der Feldforschung gewidmet. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja! Strecke erst aus den 90-ern. Tja, und trotzdem hat man hier eine neue Brücke gebaut und dabei die Linie gleich mal um rund 100 m versetzt. Ob es jetzt wegen eben dieser neuen Brücke war, die für Doppelspur ausgelegt wurde oder ob die alte Trasse irgendwie instabil war oder ob es ist, weil man in China gerne mal was Neues baut, man weiß es nicht. Erst ein Blick auf das Sattelitenbild führt einen wohl auf die richtige Spur. Statt, im Zuge des zweigleisigen Streckenausbaus, hier, wie an anderen Stellen oftmals praktiziert, einfach eine zweite Brücke neben die bestehende zu stellen, hat man gleich etwas versetzt eine neue gebaut und damit erreicht, dass man die Kurve zusammen mit einer teilweisen Neutrassierung weiter ziehen konnte und somit zukünftig höhere Streckengeschwindigkeiten möglich sind.
So entwickelt man Eisenbahninfrastruktur weiter und macht sie fit für die Zukunft. Vielleicht sollte so mancher Bahnstratege in Deutschland oder Europa mal hierher Reisen, ins Reich der Mitte, und ein bisschen lernen!
Hab ich eigentlich schon erwähnt das es heiß ist? Schwül und heiß! Unendlich schwül und heiß! Hat was quälendes.
Drückend lastet die dumpfe, heiße Luft auf uns. Und nichts bewegt sich! Kein Windhauch und auch kein Zug. Nicht mal einer von hinten. Da hätte man wenigstens noch etwas zum Aufregen gehabt. Aber so! So ist’s nurmehr harzig!
Scheinbar unendlich langsam vergeht die Zeit, fast so als würden unsere Uhren nur mehr halb so schnell laufen, während wir halb dösend und apathisch in unseren Fahrzeugen liegen oder besser gesagt, hängen. Selbst mein improvisierter catwalk mit Peking Bikini sorgt nur vorüber gehend für Abwechslung. Jener für chinesische Männer typischen Form im Sommer ein T-Shirt zu tragen, bis zu den Brustwarzen hochgezogen und den Bauch, weit vorgestreckt, liebevoll tätschelnd. Nur kurz ist die Erheiterung, dann verfällt alles wieder in Lethargie, während die Minuten langsam und zäh verrinnen, wie dicker Honig. Und auch kein Wasser, ob getrunken oder über den Kopf gegossen, vermag Erleichterung zu bringen. So schnell es einen erreicht, so schnell ist es auch schon wieder verdampft und erhöht damit nur zusätzlich die Luftfeuchtigkeit.
Da das klare Nass zu allem Überfluss zwischenzeitlich auch noch die Temperatur eines wohl temperierten Wannenbades angenommen hat und wohl ohne Scheu unter dem Oberbegriff „Plörre“ eingeordnet werden kann, versucht der ein oder andere in seiner wachsenden Verzweiflung, sich mit einem Softgetränk etwas wohlschmeckendere Linderung zu verschaffen. Die taugen aber im Augenblick nur dazu, sich unverzüglich nach dem „Genuss“ mit dem Mund am Kotflügel festzukleben. Definitiv also auch keine Lösung.
Und während wir Vier willenlos vor uns hin schmelzen und Nil, im Versuch mittels USB-Stick und Laptop ein Hörbuch in die autoeigene Stereoanlage zu bringen, unvermittelt noch mal Aktivität entwickelt, wird uns klar, dass wir wohl bis zum nächsten anstehenden Personenzug warten werden müssen, bis sich hier endlich wieder etwas tut. Mist!
Gerade mal eine Stunde sind wir so gestanden, da brummt es leise, aber vernehmlich. Der P-Zug naht. Boah, schon ein komisches Ding diese Zeit. Eigentlich ja eine Konstante, nimmt man sie doch immer anders wahr. Gefühlt waren wir hier schon eine Ewigkeit. Wie lange 60 Minuten dauern können, wenn sie nicht vergehen wollen.
Jetzt marschieren wir hoch auf eine kleine Sandkante über der Strecke und wie auf Knopfdruck sind die Lebensgeister erwacht. Während alle angestrengt in die Richtung schauen, in der der Personenzug um die nächste Hügelkette kommen müsste, ergehen sich Pascal und ich mal wieder in Retrospektiven, der Marke „weißt Du noch?“.
Ja, es war genau hier, als wir die letzte Vorbeifahrt eines schweren, dampfgeführten Plangüterzuges erleben und ablichten durften, lief doch die Trasse damals noch über die eingleisige Brücke, von unserm jetzigen Standpunkt aus rechts.
Mit nicht viel mehr als Schritttempo, und immer wieder schleudernd, kämpfen sich QJ 6977 und 6998 am 07.06.2005 bei Chaganhada gen Westen.
Nicht täuschen lassen! Gleicher Blick aber andere Streckenführung und andere Brücke. Wenig vor den obigen Bildern waren schon QJ 7002 und 7048 auf der alten Trasse mit einem schweren Güterzug in Richtung Daban unterwegs.
Zwischenzeitlich hat sich DF4B 4308 um den Berg geschoben und kommt langsam am Gegenhang entlang rollend auf uns zu. Also Schluss mit „damals war’s“ und die Kamera in Anschlag gebracht. Erster Auslösepunkt: Beginn der Brücke….
Auf dem Weg in Richtung Daban rollt DF4D 4308 mit dem 6039/6042 durch den weiten Bogen nahe Chaganhada. Während auf der Brücke selbst schon die Schwellen für das zweite Streckengleis liegen, scheint der Ausbau danach etwas ins Stocken geraten zu sein.
Wie schon die anderen „Regionalzüge“ ist auch dieser aus älteren Wagen gebildet. Übrigens, wie schon bei dem Bild des Güterzuges, ist rechts, oberhalb des Zugendes, der Damm der alten Streckenführung zu erkennen.
Und auch diesen Brückenwärter, der artig vor seinem Häuschen steht und die Vorbeifahrt des Zuges abnimmt, hat sowohl unser Hiersein, als auch unser Tun nicht im Geringsten interessiert. Nein, er hat uns nicht mal groß eines Blickes gewürdigt.
Und eine Gelegenheit zur genaueren Inaugenschein- oder gar Kontaktaufnahme bekommt er nun auch nicht mehr. Wir haben’s hier. Also werden zügig die Autos beladen, Routen final besprochen und schon verschwindet unser Minitross in einer Staubwolke gen Schnellstraße.
Wir haben uns für den kontrollierten Rücksturz entschieden. Wie schon mal erwähnt, der Tag ist schon weit fortgeschritten und es ist noch eine Ecke bis zurück nach Jingpeng. Da wollen wir nämlich wieder übernachten. Warum? Ganz einfach, wenn wir da schlafen, haben wir auf unserem Weg nach Westen morgen schon einiges weniger abzuspulen. Zudem kennen wir da das Hotel und wissen wo es was zum Essen gibt.
Apropos was zum Essen. Wäre angebracht unsere beiden SUV’s zu füttern. Haben zwar noch etwas im Tank, aber bis zurück nach Jingpeng reicht das längst nicht mehr. Also Augen auf, auch wenn es jetzt von der Hauptstraße ab und ins ländliche Idyll hinein geht. Und siehe da, schon in der ersten Ansiedlung, und übrigens der einzigen auf dem Weg zum anvisierten Fotopunkt, werden wir fündig. Kleines Dorf und Tanke wie aus dem Bilderbuch. Nur mit der Kommunikation hapert’s. Welch ein Wunder. Aber zu was hat man Finger und ein planvoll verdrecktes Auto. Schnell die Spritart auf die C-Säule geschrieben, und läuft!
Nonverbale Kommunikation! Eine Zahl auf das Auto gemalt, und schon ist klar, welchen Sprit wir benötigen.
Wo sind Auffangrinnen, Ölabscheider, abgesenkte Wannen? Egal, an der Dorftankstelle versickert übergelaufener Sprint einfach auf Nimmerwiedersehen.
Gerne hätten wir auch noch etwas zur Erfrischung gehabt. Etwas kaltes, süffiges, prickelndes. Aber nein, außer diversen Kleinteilen und Motoröl hatte man nichts im Angebot. Und letzteres ist nun nicht wirklich lecker.
Also machen wir uns, was das betriff,t unverrichteter Dinge wieder vom Acker. Da wir jetzt nicht durch Städte müssen, die wie nichts in Metropolgröße aus dem chinesischen Boden gewachsen zu sein scheinen, leistet das Tablet wieder gute Dienste und ich mit ihm. So geht es zielgerichtet und auf direktem Weg zum nächsten Fotostopp, der Querung einer Verbindungsstraße mit der Bahn.
Wie sich herausstellt, eine Brücke. Und noch während wir aussteigen und langsam im Gänsemarsch die Rampe hoch laufen wird mir klar, hier warste auch schon mal. Doch damals war noch nix mit Überführung, da war hier, am A…. der Welt, nur ein Bahnübergang mit dazu gehörigem Wärterhäuschen. Beides mittlerweile längst verschwunden. So wie die damals noch alltägliche Dampftraktion.
Starker, böiger Wind trieb an diesem Tag die Rauchfahne vor der Dampflok her. Wo heute eine Brücke steht, war damals noch ein Bahnübergang mit Wärterhäuschen und Wärter.
Weit treibt der starke Wind die Rauchfahne von QJ 7040 über das Land. Im Vordergrund der Kilometerstein der Landstraße.
Vorbei ist es mit Rauch! Heute brummt es. Und es brummt gewaltig! Von links, aus Richtung Daban trägt es das sonore Rumoren zu uns herüber. Also schauen wir mit zusammen gekniffenen Lidern in den grellen Dunst, bis die beige-blaue Spitze einer DF4D zwischen den Büschen auftaucht. Und hinten dran gleich noch ein zweiter röhrender Kasten! Zerrend an einer endlos langen Schlange vierachsiger E-Wagen, die so typisch sind für die chinesische Eisenbahn. Doppeltraktion bzw. Vorspann! Fein denke ich, während die beiden langsam die Brücke erreichen, auf der ich vor 11 Jahren die Dampflok abgelichtet hatte. Blöd nur, dass sie aus dem Licht kommen. Gut dagegen, dass der Dunst am Himmel mittlerweile doch schon recht massiv geworden ist. Dank seiner und Photoshop müsste sich dann doch noch etwas basteln lassen, oder? Also drauf!
Wo früher ein Bahnübergang war überspannt jetzt eine Brücke die Bahn. Gut um von erhöhter Position DF4D 4177 und 4070 zu beobachten, die bei Gulumanhan einen langen, mit Kohle beladenen, Güterzug nach Osten ziehen.
Ist doch ganz nett geworden. Was hätt ich mir die Krätze geärgert, hätte ich nicht abgedrückt. So was muss man einfach ablichten. Wer weiß, ob man das hier bei einem nächsten Besuch nochmal sieht.
Jetzt haben wir wohl etwas Zeit, bevor sich auf der eingleisigen Strecke wieder was bewegt, so glauben wir. Die Chance in aller Ruhe den kleinen Bautrupp zu beobachten, der unter uns mit einem kleinen Bagger und Schaufeln zu Gange ist. Na gut, eigentlich sind nur zwei aktiv. Einer der baggert, einer der abwechselnd lautstark in sein Handy schreit oder dem Baggerfahrer Kommandos zu wirft. Die Anderen, derer drei an der Zahl, stehen, gestützt auf ihre Schaufeln, herum und beobachten das gebotene Schauspiel. Und wir, wie gesagt, wir beobachten sie. Wenigstens solange, bis eindeutige Rollgeräusche und mehrfaches „Hornen“ unsere Aufmerksamkeit wieder auf den Schienenverkehr lenken.
Schau an, kaum 20 Minuten nachdem der Zug von eben durch ist, zeigt sich weit hinten etwas in der Gegenrichtung, und damit ideal im Licht. Ich liebe die chinesische Eisenbahn. Naja, im Moment aber eher die rollende Fraktion, nicht die von der Infrastruktur, denn der Zaun neben den Gleisen hätte nun nicht sein müssen. Ist wohl so eine mongolische Eigenart, die Strecken einzuzäunen, damit die Züge nicht davonlaufen und in den weiten der Landschaft verschwinden. Aber was sogar noch mehr nervt wie der unansehnliche Zaum im Motiv, ist der, der auf der Brücke angebracht ist. So doof montiert, dass man kaum Halt für die Füße hat und nur ab einer lichten Höhe von 180 und daran geklammert wie ein Affe, drüber fotografieren kann. Ach ja, und seefest sollte man tunlichst auch sein, wenigstens wenn sich noch andere Langnasen in die Maschen verkrallen und das ganze Gebilde bedenklich hin und her schwenkt.
Kräftig gebaut wird an der Jitong östlich von Daban um ein zweites Gleis zu verlegen. Nahe Gulumanhan ist DF4D 4175 mit einem Güterzug nach Westen unterwegs.
Na, war doch eigentlich ganz nett. Was kommt jetzt? Noch ein Güterzug? Oder, halt mal, steht nicht eigentlich wieder ein P-Zug an. Blick auf den „Zettel“, Durchfahrtszeit geschätzt, ja, da sollte sich so in einer guten halben Stunde was tun. Gut! Und was tun dann wir? Hier warten oder Standort verändern?
Verändern, so der Mehrheitsentscheid. Hier haben wir ja nun das Güterzugbild und schöner wird die Stelle wohl in den nächsten Minuten auch nicht mehr. Da lässt sich doch bestimmt was Besseres finden, oder? Also nochmal ein Blick in die weite Landschaft und dann los.
Also das mit dem „da lässt sich doch bestimmt noch was Besseres finden“ hätten wir besser gleich nach Erreichen des Kehlkopfes wieder runterschlucken sollen. Denn was uns drei Kurven weiter erwartet, ist Baustelle, Baustelle, Baustelle. Hier wird richtig gebuddelt für das zweite Gleis. Und zwar mit allem Drum und Dran. Also inklusive Mondlandschaft, üblen Gräben, Baufahrzeugen, jeder Menge Staub und lustigen, im Windflatternden, orangen Absperrnetzen. Echt toll!!!
Und so geht es, in immer verzweifelter werdendem Bemühen etwas einigermaßen Ansprechendes zu finden, von Baugrube zu Baugrube. Immer wieder vorbei an den ärmlichen Behausungen der vielen hier beschäftigten Wanderarbeiter.
Welch ein Kontrast zur glitzernden und blinken Neonwelt des chinesischen Turbokapitalismuses. Oder tut man mit so einer Aussage einer Nation Unrecht, die sich mit riesigen Schritten in Richtung führende Wirtschaftsmacht entwickelt? Ist es nicht nur natürlich, dass dabei nicht das ganze Land und alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen schnell von dieser Entwicklung profitieren können? Und gibt es nicht in einigen Industrienationen noch deutlich größere Unterschiede zwischen Arm und Reich?
Eine Betrachtung, die man jetzt bis ins Unendliche interpretieren und diskutieren könnte. Wichtig für mich persönlich ist aber eher eine Schlussfolgerung: Welch glückliches Leben habe ich doch, dass ich für mein Hobby um die ganze Welt reisen darf. Während andere von solch einem Luxus nur träumen können. Und letzteres gilt für den überwiegenden Teil der Weltbevölkerung. Daher meine ganz eigene Quintessenz: Einfach dankbar sein und zufrieden! Und nicht gleich wegen jedem kleinen Haar in der Suppe aufschreien. Denn wer kein Haar in der Suppe findet, hat vermutlich schon eine Glatze!
„Wie wärs mit hier?“, die Stimme meines Fahrers holt mich zurück ins jetzt. Ja, da könnte was gehen. Einfach versuchen. Es ist nicht der erste Sandweg auf den wir einbiegen, seit wir die Brücke verlassen und uns auf die Suche nach einem Standort für den Schnellzug gemacht haben. Alle waren nicht zielführend. Und auch diesem scheinen die im Wagen hinter uns nicht zu trauen. Denn sie bleiben unbeeindruckt von unserem Abbiegemanöver auf der Teerstraße und eilen weiter. Uns dagegen zieht ein niedriger Durchlass unter der Eisenbahn magisch an. Sehr niedrig ist er, zu niedrig wie wir feststellen müssen. Datt wird nix! Also Plan B, durch den ausgetrockneten Bachlauf weiter rechts. Vorbei an Tierkadavern geht’s hinunter ins Bett des Wasserlaufes und unter der Brücke durch. Hinterhalb wartet wieder ein Weg auf uns, und Baustelle, und Zäune. Umdrehen? Ein Blick auf die Uhr sagt nein. Der P-Zug ist schon zu nahe. Wenn er nicht sogar gleich ums Eck kommt.
Und tatsächlich, kaum gedacht sehen wir auch schon eine Lokfront auftauchen. Nochmal ein beherzter Tritt aufs Gas, Kamera gekrallt und raus aus der Karre. Hat im Moment der Aufnahme leicht was von Notschuss. Aber dem Bild sieht es aber dann durchaus interessant aus. Nicht zuletzt wegen der bunten Garnitur.
Finster ist es geworden mittlerweile. Nur mehr trübes Licht drückt durch den Schmodder am Himmel. Also wieder zurück oder noch etwas hierbleiben. Ach, wo wir schon mal da sind. Auf dem Sandweg geht’s den Gleisen entlang. Eigentlich ganz nett, aber irgendwie kommen wir nie auf gleiche Höhe. Immer irgendwie Froschperspektive. Und nach hinten weg geht auch nicht so einfach, denn links von uns ist ein Stacheldrahtzaun. Der will erst einmal überwunden werden. Also fahren wir weiter, solange bis wir an einen Durchlass kommen.
Nun haben ja Nil und ich seit Südafrika 2014 ein gesundes Misstrauen gegenüber solchen, versperrbaren Durchlässen in Zäunen. Besteht doch durchaus die Möglichkeit, dass man diese auf der Hinfahrt noch problemlos passieren kann, auf der Rückfahrt aber dann im wahrsten Sinne des Wortes hinter verschlossenem Gatter „dumm dasteht“! Und sowas müssen wir eigentlich nun nicht wirklich nochmal haben.
Aber nu! Wenn wir es hier nicht wagen, wird es wohl kein Bild mehr geben. Wollen wir das bei dem Licht eigentlich überhaupt noch? Ach komm, wenn wir schon mal da sind! Und schau, da hinten bei der Außenkurve wäre sogar noch eine kleine Erhebung, auf der wir uns postieren könnten! Nu denn, dann mal los!
Gut, einen kleinen Haken hat die Sache dann noch. Es gibt nicht so wirklich einen Weg dorthin. Oder besser, es gibt gar keinen Weg dorthin. Also ab, querfeldein durch Steine, Sand, Rinnen und steile Abbruchkanten. Macht doch Spaß!
Kaum an der „Stelle“ angekommen, versuchen wir die anderen zu kontaktieren und mittels GPS-Daten zu uns zu lotsen. Sie haben uns dann auch kurz danach erreicht, bleiben aber vor dem Zaun, denn überzeugt sind sie von dem Ausblick nicht wirklich und außerdem ist es mittlerweile noch eine Ecke dunkler geworden, als vorhin bei der Durchfahrt des P-Zugs. Das ist ihnen keinen Speicherplatz wert. Also hebe nur ich den Foto und mache dabei, in diesem Moment nicht bewusst, das letzte Eisenbahnbild des heutigen Tages.
Obwohl noch früh am Tage trübt sich der Himmel immer mehr ein, als DF4D 4175 einen Güterzug von Daban her bringt.
Bei dem Licht kaum zu glauben, dass es erst kurz nach Vier ist. Passt aber irgendwie zu dem heutigen, etwas chaotischen und strukturlosen Tag. Auf der anderen Seite aber auch nicht schlecht. So fällt uns der frühzeitige Aufbruch leichter. Haben wir doch noch ein ganzes Stück zu fahren, wenn wir wieder nach Jingpeng wollen und dort bei Zeiten ankommen. Also Kamera weggepackt, kleine Off-Road Einlage gegeben und rauf auf die Teerstraße nach Westen.
Nein, kein Navigationsfehler! Was man hier sieht ist die offizielle Baustellen-Umleitung der Straße auf der wir Daban von Ostern her erreichen. Und ja, glaubt man den Fahrspuren, nutzen auch LKW diese Route. Mit den Reifen immer haarscharf an den Stämmen der Bäume entlang.
Zurück zu nehmen wir, im Gegensatz zur Herfahrt heute Morgen, ab Daban wieder die Straße der Bahn entlang. Zwar in einigen Teilen nicht so gut ausgebaut erspart sie uns doch die Hoppelei von heut Früh und außerdem haben wir immer wieder mal Bahnblick. So gibt es auch, nach einer kleinen Shopping Pause in Sachen „kalte Erfrischungsgetränke“, eine kilometerlange Parallelfahrt mit einer brüllenden DF8B. Leider erbringt der Versuch dabei ein Video zu drehen nur mäßigen, nein wohl eher saumäßigen, Erfolgt. Aber egal, eindrucksvoll war’s trotzdem.
In Jingpeng angekommen überraschen wir das Mädel an der Rezeption. Nach unserem bestimmten, und sicherlich irgendwie endgültig wirkenden, Auszug heute Morgen, hat sie wohl im Traum nicht daran gedacht, uns, wenn überhaupt, so schnell wieder zu sehen.
Aus unerfindlichen Gründen gestaltet sich die „Raumfindung“ für uns heute etwas komplizierter. Letztendlich bekommt aber doch jeder eine adäquate Lagerstatt, allerdings diesmal nicht im erlauchten Obergeschoss, sondern in den Niederungen des Parterres. Von der Zimmergröße identisch, aber in der Badausstattung einfacher und, mit niedrigen Fenstern im oberen Teil der Wand und Blick auf den Hang, etwas duster. Aber wir wollen hier ja nur ruhen, und dafür ist es allemal komfortabel genug.
Rituelle Waschungen, umziehen und schon steht die Meute hungrig vor der Behausung. Heute geht es wieder rein in den Ort, eine der zahlreich dort angesiedelten Grillbuden soll es sein. So kommen wir dann auch bald unter einer Plane Marke Partyzelt zu sitzen, wieder beschallt von der bekannten Mischung aus Ethnopop und Mongolen-Techno. Nicht melodisch, aber laut und durchaus rhythmisch mitreißend. Hinter uns dreht der Stadtverkehr seine Runden, vor uns, im Schaufenster des Lokals, allerlei Essbares an Bratspießchen.
Die Karte hat Bilder, was den Bestellvorgang erheblich erleichtert. Im Ordern von Bier haben wir ja mittlerweile sowieso Routine, das stellt keine große Herausforderung mehr dar. Und so füllt sich bald der kleine Kohlegrill mittig auf dem Tisch mit diversen Leckereien, während kühles Bier uns vor dem Austrocknen bewahrt!
Und während wir so vor uns hin schlemmen, lösen sich drei Tische weiter zwei Mädchen aus einer Gruppe Jugendlicher und kommen zu uns her. Das lustige Völkchen hat schon vorher dauernd zu uns rüber geschaut, doch nur die beiden jungen Damen bringen anscheinend den Mut auf, die obligatorischen Selfies abzuholen. Die Jungs, was für Weicheier, kleben lieber am Plastik ihrer Stühle und begleiten die Aktion mit diversen Kommentaren.
Unerklärlicher Weise ist es meist Nil der für solche Aktionen herhalten muss. Oder darf? Denn dem breiten Grinsen nach zu urteilen, genießt er es durchaus abgelichtet zu werden, eingekeilt von den Beiden, von denen die Eine sich dadurch auszeichnet, dass sie Bierflaschen mit den Zähnen aufmachen kann, was sie vor und nach dem Selfie im Kreise ihrer Freunde ausgiebig demonstriert, wogegen die andere aussieht, wie frisch aus einem der buntesten japanischen Mangas entsprungen. Also jede krass auf ihre Art und unterschiedlicher wie man nur sein kann.
Einmal eine Runde im Kreis lächeln, dann sind die zwei Grazien wieder zurück bei ihren Freunden und wir können uns erneut voll und ganz der Dezimierung der lokalen Nahrungs- und Bierbestände widmen, was wir dann auch. Und dass, im Gegensatz zum Ablauf des heutigen Fototages, äußerst strukturiert und zielstrebig.
Der Weg zurück, wird kein leichter sein! Das war uns beim runter gehen in die Innenstadt schon klar. Aber nun so mit schweren Beinen und vollen Bäuchen hinaufschleppen zum Hotel, das macht nun wirklich müde *grins* Und so bin ich froh, dass der Plan für morgen schon steht und ich nur noch ins Bett fallen muss, was ich nach Erreichen des Zimmers auch unverzüglich tue.
War das jetzt ein guter Tag oder ein schlechter? Oder einfach, aufgrund der Umstände, nur ein irgendwie komischer? Zu kompliziert gerade darüber nachzudenken. Ich überlasse es jetzt jedem sich seine Meinung zu bilden und schlafe einfach ein! Gute Nacht!