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Schaut mal die Zwei! Sind das nicht He Fu Bao und Bei Ho Thsai? - Teil 9

Von

Chifeng – Jingpeng



Ein sanfter Hauch. Die noch taufrische Luft lässt einen leicht frösteln und ein feiner Tröpfchenfilm überzieht die Scheiben. Doch der strahlend blaue Himmel über uns verspricht, es wird ein guter Tag! Noch hängen Reste des Schlafs in den Augen, als Koffer und Ausrüstung im Auto verstaut werden. Aber Spannung und Vorfreude fahren Körper und Geist Schritt für Schritt hoch. Jetzt noch ein erster Schluck aus der über Nacht gut durchgekühlten Cola, dann kann es losgehen. So beginnt für mich ein idealer Fototag!

Nachvollziehbar, oder? Obwohl, bei der Auswahl des Morgengetränks scheiden sich jetzt sicherlich die Geister. Aber ich kann nichts dafür, ich steh halt drauf. Und Vorteil Hofbauer, es gibt aktuell keine großen Alternativen. So müssen sich alle gleichermaßen durch das Süßgetränk Angebot quälen, egal welche Farbe oder „Geschmacksrichtung“ das jeweilige Wässerchen nun hat.

Dafür bleibt mir in Sachen Nahrungsaufnahme keine Wahl. Statt einer ordentlichen Wurstsemmel, ham and eggs, baked beans oder Weißwürscht mit na Brezn, muss ich mich mit Süßgeb…. Süßgebä…. Süßgbk….. …..sorry, ich krieg das Wort Gebäck im Zusammenhang mit dem was hier als solches angeboten wird am frühen Morgen einfach noch nicht raus. Noch ein Schluck von der braun-schwarzen Blubberbrause, vielleicht geht’s dann….. ....Süßgeb…..äck *puh* zufrieden geben. Schwere Geburt!

Aber egal was ich davon halte, mein Fahrer steht drauf. Zudem, es gibt nichts anderes. Daher begebe ich mich, kaum dass wir wieder durch die morgendlich leeren Straßen von Chifeng rollen, in die Speisekammer, die irgendwo zwischen Fahrersitz und Rückbank liegt. Rechts an den Fototaschen vorbei, die bei unserer Räumaktion von eben vergessenen leeren Getränkeflaschen gekonnt umgehend und abtauchend zwischen Chips, Gummischeiß und brotähnlichen, mittlerweile versteinerten Teigklumpen abgetaucht, schon fördere ich eine Packung der erlesenen Bgckwar…… Baggware……. Bggwr…… sorry, es sperrt sich schon wieder *puh* Backwaren *oh Gott* aus den Tiefen unseres Wagens hervor.

Warum sich mein Sprachzentrum so sperrt, wenn es darum geht die teigigen Erzeugnisse fleißiger chinesischer Menschen mit den Wörtern backen und Gebäck in Einklang zu bringen? Ganz einfach! Wenn ich „backen“ höre oder denke, dann kommt mir unweigerlich ein knusperndes Geräusch in die Ohren, spüre ich das Splittern von Kruste am Gaumen, tauchen meine Zähne ein in ein fluffiges Irgendwas das auf meiner Zunge zergeht. Und all das ist weit ab von dem, was man in China so als Brot, Brötchen, Croissant, oder wie die Produkte sonst so alle benannt werden, bekommt.

Ich bin ja der festen Überzeugung, auch wenn ich es nicht beweisen kann, dass es in China irgendwo eine riesige Fabrik gibt, mit einer größeren Grundfläche als die Metropole Berlin, die Tag für Tag Abermillionen Tonnen einer hell gelben, völlig geschmacklosen Maße herstellt. Die eine Hälfte der Produktion geht dann landesweit an Betriebe, welche sie in mit Bildern von Backwaren versehene Verpackungen presst. Die andere an den Baustoffhandel, wo sie unter der Artikelbezeichnung „Bauschaum“ unter das Volk gebracht wird.

Aber geben wir dem dargebotenen eine faire Chance und untersuchen es genauer. Zumindest die Verpackung verspricht Edles. Zwei herrlich lockere Croissants in einem Körbchen vor mediteraner Kulisse. Dann mal auf die Packung! Und was kommt zu Vorschein? Noch mehr kleine Verpackungen. Ah ja…..





Wenn der Chinese nur eines lieber tut als alles üppig zu verpacken, dann ist es diese anschließend achtlos in die Umgebung zu feuern.






Gut, was haben wir erwartet? Backwerk wie vom Lieblingskonditor um die Ecke? Nein, natürlich nicht, wir sind ja nicht weltfremd! Aber so klein wie die enthaltenen Tütchen sind, schwant uns bereits was jetzt auf uns zukommt! *tataa* Dann reißen wir mal so ein Beutelchen auf und verabschieden uns dabei schon mal von allen kulinarischen Regelsätzen!





Guck mal, so klein und schon ein Croissant! *augenverdreh* Na appetitanregend ist was anderes.






Teils belustigt, teils angewidert betrachten wir das kleine, gummiartige, schrumpelige Ding was dem Plastik entschlüpft ist. Ein optischer Vergleich macht klar, mit dem was auf dem Bild ist, hat das nun hervorgetretene wahrlich nicht das Geringste zu tun! Alles Mogel, alles Betrug hier in diesem Land? Wie kann man die armen Verbraucher nur soooo derart täuschen? Ich mein, wir sind ja in ein paar Tagen wieder weg. Aber die armen Chinesen, die das hier Jahr und Tag ertragen müssen! Eine Schande! Sowas sollte es nicht geben. Das man so etwas für sein gutes Geld geboten bekommt!

Oder tun wir dem armen Croissant und seinem Hersteller jetzt bitter Unrecht, und das ganze Malheur liegt da dran, dass wir des Chinesischen nicht mächtige Langnasen so dusselig waren und Aufback-Gebäck gekauft und jetzt keinen Ofen zur Verfügung haben?!?!? Neeeeein! Völlig ausgeschlossen das wir sooooo d…. sind! *grinsundjetztsichdocheinkleinesbisschenschäm*

Sie werden dadurch nicht appetitlicher, aber sie lassen sich besser schlucken, wenn man dabei herzhaft über sich selber lachen kann. Und zur Not, wenn einem die Gummimasse doch droht im Hals stecken zu bleiben, gibt es ja noch braun-schwarze Blubberbrause, mit der man alles runter spülen und im Magen endgültig zu einem einzigen klebrigen Klumpen werden lassen kann.

Mittlerweile sind wir schon auf dem flachen Land, raus aus dem Siedlungsbereich von Chifeng, und rollen durch eine durchaus nette Gegend gen Norden, immer an der recht neuen Kohlebahn entlang. Unweit von Daban trifft diese auf die JiTong Linie, dass haben das Internet und google maps ergeben. Was hier wohl fährt? Im Geiste brüllen hier noch DF4B vor endlosen Kohlezügen durch die Lande. Nett wäre die Linie ja! Und so halten wir schon mal nach der ein oder anderen Fotostelle Ausschau. Und davon gibt’s einige. Kommt auf jeden Fall auf die Liste, sollte man wieder hier sein. Gut, einen kleinen Dämpfer bekommt die Euphorie dann doch, und zwar kurz bevor Gleise und Straße sich trennen. Ein langer Zug kommt uns nämlich von Norden entgegen. Und vorne dran hängt eine HXN3! Oh Mann, dass hätte jetzt aber nicht sein müssen, dass sich die hier auch breit machen! Alles andere hätten wir mit mehr Begeisterung aufgenommen. Gut, dass Nil und ich den kurzen Gedanken, mal raus zu fahren und uns eine halbe Stunde auf Verdacht an die Strecke zu stellen, nicht umgesetzt haben. Obwohl, warum eigentlich? Dann hätten wir ein Sonnenbild dieser Maschine gehabt. Auch nicht verkehrt. Aber darüber ärgern braucht man sich nicht, man konnte ja nicht ahnen, dass wirklich gleich was um die Ecke kommt. Zudem, wir haben ja noch ein gutes Stück zu fahren und ein Ziel, dass wir, nach dem missglückten Anlauf im letzten Jahr, diesmal endlich erreichen wollen: Die JiTong Linie!

JiTong! Fast unverzüglich werden die Gesichtszüge weich, der Blick verklärt sich und die Augen werden glasig! Vor 11 Jahren war ich das erste und letzte Mal in dieser Ecke. Eigentlich war dieses China zu der Zeit kein Thema für mich. Zu weit, zu exotisch, zu kompliziert! Doch dann kam das Angebot und die Erkenntnis, wenn Du das jetzt nicht machst, dann wirst Du es später immer wieder bereuen. Also machte ich mich auf, mit einer Meute Gleichgesinnter, dem König Dampf ein letztes Mal zu huldigen. Und es war großartig! Endzeitstimmung lag über der Gegend, der Pass selbst war unlängst erst Dampf frei geworden und das Personal, im Bestreben das Maximale noch herauszuholen aus der Situation, bot alles an was ihrer Meinung nach verkaufbar war. Schilder, Mützen, ja sogar ein Führerbremsventil wurde uns aus den vorbeifahrenden Maschinen entgegen gehalten! Hoffen wir mal dass es nicht das der gerade passierenden Lok selbst war!






QJ 6988 und 7081 rollen, von Chabuga her kommend, mit einem gemischten Güterzug in den Bahnhof von Lindong ein. Wer genau hin schaut, sieht auf diesem ersten Bild schon das Personal der Zuglok,……







…..dass den anwesenden Eisenbahnfans Schilder zum Kauf hin hält.






So versuchten die Eisenbahner, bedroht vom nahen Ende des Dampfbetriebs, noch etwas von dem zu versilbern, was sie täglich umgab. Das uns dabei so im Verlauf des Tages auch mal ein Führerbremsventil hingehalten wurde, stimmt doch nachdenklich *grins*







Doch während es von Westen her dieselte, qualmte es im weitläufigen Betriebswerk von Daban noch an allen Ecken und Ende. Und zwischen hier und Chabuga waren, bis auf ein paar äußerst seltene Ausnahmen, ausschließlich die eindrucksvollen QJ unterwegs.






Die chinesische Einheitszeit macht’s möglich. 4:57 zeigt die Uhr, als die anwesenden Fotografen an diesem 5.Juni 2005 die von Westen her einfahrende DF4D 4234 fotografierten. Dahinter stehen…..







….DF4B 9010 und DF4D 4173 schon bereit, um wenige Minuten später den Bahnhof Daban in der Gegenrichtung zu verlassen. War damals die „Freude“ über die Dieseltraktion bei einigen doch sehr gedämpft, würde sich manch Eisenbahnfotograf heute die Finger ablecken bei einer grünen DF4B am Berg. So ändern sich die Zeiten!






Bereits seit einigen Monaten vorbei war es beim Aufnahmezeitpunkt mit der Dampftraktion am Pass. Und so ist es auch DF4B 6005, die mit einem Güterzug von der Rampe her kommend Daban erreicht, während es im rechts von ihr liegenden Betriebswerk noch kräftig dampft.







QJ 7037 macht sich, zusammen mit QJ 7007, zum Ausrücken bereit. Die links stehende QJ 7038 hat dagegen noch etwas Zeit, bevor auch sie wieder auf die Strecke muss.







Stillleben mit QJ 7038 und 7143







Arbeit an der Dampflok ist Knochenarbeit. Wie hier bei QJ 7105







Blick auf das Triebwerk von QJ 7081. Im Hintergrund wartet die 7105 auf das Ausrücken in Richtung Bahnhof.






Recht archaisch muteten dem Besucher die damaligen Arbeitsabläufe an. Sei es wegen des Dampfkrans Z151-15, der zum Bekohlen eingesetzt wurde, oder aber….







….wegen der vielen Handarbeit, die aller Orten noch geleistet wurde. Im Hintergrund nochmal QJ 7038 und die 6911, die der Autor etwas später sogar selbst fahren durfte. Aber das ist eine andere Geschichte.







Während, wie erwähnt, die Passstrecke bereits verdieselt war, war auf dem Abschnitt Daban – Chabuga die Welt noch in Ordnung. Und auch das landestypische Beiwerk war noch vorhanden. QJ 7105 und 7143 nahe Baomutu.







Für einen, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters, an das mich mein lahmes Kreuz und die schnell nachlassende Kondition mehr und mehr erinnern, noch den täglichen Betrieb mit 44, 50 und 64 vor dem eigenen Fenster erleben durfte, waren die Tage wie ein Rücksturz in meine Kindheit. Entsprechend nachdenklich stand ich damals, nach den letzten Bildern, der Rauchfahne einer schwer arbeitenden Doppeltraktion nachblickend, an einer der vielen Brücken. Drüben wartete schon der Bus nach Chifeng, der uns zum Nachtzug nach Beijing bringen sollte, und mir war klar, „dass war nun dein letzter richtiger Planzug mit Dampf!“. Das sind Momente in denen Zeit spürbar wird! Wenn in einem die Erkenntnis wächst, dass das was eben noch real und völlig selbstverständlich war, vorbei ist und nie wieder kommen wird!





QJ 6977 und 6998 auf der Brücke bei Changanhada.






Und jetzt? Warum ist die Vorfreude so groß dort wieder hin zu kommen? Der ein oder andere wird beim Lesen dieser Zeilen wohl verständnislos den Kopf schütteln und eine einfache Gleichung aufstellen: Kein Dampf = keine JiTong! So wie einige der „alten Garde“, die ich im Vorfeld getroffen hatte, mir erzählten: „JiTong? Da musst Du nicht mehr hin! Nicht mehr so abgeschieden, Schnellstraße im Bild, Stromleitung in der Nähe! *äch* Nein, da musst Du echt nicht mehr hin!“.

Warum also trotzdem? Ganz einfach! Es ist das hier und jetzt! Die aktuelle Eisenbahn, unsere Zeit. Und über dies, die Strecke, die Landschaft, sie haben sich nicht verändert. Heute brüllen halt Diesel den Berg hinauf, statt dass wuchtige Auspuffschläge durch die Täler donnern. Die grandiosen Ausblicke aber bleiben.

*Puh* Jetzt bin ich aber ganz schön abgeschweift! Aber der Teil der Fahrt war jetzt auch nicht so spannend, dass man nicht seinen Gedanken hätte nachhängen können. Zudem hatte sich, auf leisen Sohlen, die Müdigkeit von letzter Nacht herangeschlichen, was der autointernen Kommunikation etwas von der Geschmeidigkeit kalten Honigs gegeben hat.

Aber nun nähern wir uns Daban und ich bin gespannt, was sich hier alles verändert hat. Wir sind schließlich in China. Und bei dem Entwicklungstempo, das dieses Land vorlegt, sind 11 Jahre ein extrem großer Spielraum für Veränderungen.

Noch eine letzte Kuppe, dann *tadaaaa* liegt es vor uns. Und ganz ehrlich, ich hätte es nicht wiedererkannt. In meiner Erinnerung ein, für chinesische Verhältnisse, kleiner, räudiger Ort irgendwo im Nirgendwo, erblicken wir jetzt weitläufige neue Wohnanlagen wohin das Auge reicht, durchzogen von breiten Prachtboulevards, die so viele Fahrspuren haben, dass sie auch für den Verkehr von Überübermorgen bereit sind.

Erstmal heißt es aber Eintritt zahlen an der Mautstation und den regionsüblichen Querverkehr passieren lassen.






Schau, schau! Wusste gar nicht, dass ich in China Verwandte habe!






Tschüss Tante, tschüss Onkel! Es kann weiter gehen! Da drüben links müsste irgendwo der Bahnhof sein. Ob wir gleich durch eine der neuen Siedlungen fahren und damit abkürzen sollen? Hm, schwierig. Unsere off-line Karte hilft uns mal wieder nicht weiter. Nur ansatzweise sind die Straßen abgebildet. Und die gerade eben mal wieder nicht. Und das genauere Sattelitennavigationssystem sitzt gerade neben mir am Fahrersitz und hat alle Hände voll mit anderen Dingen zu tun. Fahrspur halten und Chinesen verhupen zum Beispiel. Für einen Moment sind wir abgelenkt und schwupps, vorbei an der Einfahrt. Also, Ehrenrunde gedreht und dem Ganzen von hinten nochmal genähert. Jetzt klappt es mit dem Abbiegemanöver und wir rauschen auf einer breiten Straße dahin. Weg mit der Elektronik, den angeborenen Spürsinn aktiviert und siehe da, es klappt. Spätestens als wir die Neubauviertel mit ihren schicken Gebäuden, Straßen und Lampen hinter uns gelassen haben, erreichen wir einen Kreisverkehr, der endlich nach chinesischer Provinz ausschaut. Ein ausgefranster Teerkreis, mit holprigen, sinnlos erscheinenden Abfahrten und Betonklötzen. Da rein, Dritte wieder raus, Achtung Querverkehr, Rampe rauf und siehe da, die Zeitmaschine hat uns 11 Jahre zurück geworfen!






Wenigstens um den Bahnhof herum sieht Daban noch nach dem Daban aus, dass ich in Erinnerung hatte.







Gut, nicht ganz. Die Brücke ist zwar noch dieselbe, schon mal nicht selbstverständlich, aber schon der Blick Richtung Bahnhof und Betriebswerk zeigt Veränderungen. Und dass liegt nicht nur an der Vegetation, die deutlich mehr und höher geworden ist. Und natürlich erst die Fahrzeuge! Bunte Farben statt schwarz-rot beherrschen das Bild!






Auf den Namen DF10D 0146 hört er nun, der aktuelle Bahnhofshund von Daban. Und in schickem Orange kommt er daher. 11 Jahre zuvor……







…..war für diesen Dienst noch die windblechlose QJ6981 eingeteilt. Hier säuselt sie, um 5:10 Uhr Ortszeit am Morgen des 5.Juni 2005, kurz nach Sonnenaufgang also, im Bahnhof von Daban leise vor sich hin.







Noch ein Vergleichsbild gefällig? Aber gerne doch. Nehmt euch Zeit. Je mehr man sich das obige Bild mit der DF10D und das nachfolgende anschaut, umso mehr fallen einem die Unterschiede auf. Und damit meine ich nicht nur die Fahrzeuge. 2005 herrschten noch QJ und DF4B, im Verbund mit neu übernommenen DF4D. Und auch Gleisanlagen, Gebäude und nicht zuletzt das Grün, das mittlerweile ordentlich in die Höhe geschossen ist, machen den Unterschied.






Lokwechsel im ersten Tageslicht. Eine grüne DF4 hat Zug 6051 bis Daban gebracht. Für die nächste Etappe bis Chabuga übernimmt jetzt QJ 6911 die Beförderung. Wir schreiben den 5. Juni 2005, zum Zeitpunkt der Aufnahme ist es 04:34 Uhr!







Oh ja, früh musste man raus, wollte man damals den Fernpersonenzug gen Osten ablichten. Und das fiel doppelt schwer, wenn es am Abend vorher einen Geburtstag zu feiern galt. So war das, was von der Nacht noch übrig geblieben war, denkbar kurz. Wobei, ganz ehrlich, ich war froh darüber einen Grund zu haben, das Bett und das Hotelzimmer so schnell wie möglich zu verlassen. War ich mir doch nicht sicher, mit wie vielen Lebewesen ich meine Schlafstatt so teilen musste. Und damit meine ich nicht die ortsansässigen Damen, die spät in der Nacht, süß flüsternd, mit nachdrücklichem Klopfen an die Zimmertür, Einlass in mein Gemach erbeten hatten. Deren Drängen hatte ich nämlich widerstanden, ohne dafür größere Willenskraft aufbringen zu müssen. Und auch dass es beim Abmarsch noch dunkel war hatte seine positiven Seiten. Im trüben Schein der Zimmerfunzel sahen die Flecken, die Teppich und Wände zierten, nicht mehr ganz so abschreckend aus. Gut, gegen die wacklige Kloschüssel half dies nun nichts, aber mit etwas Balance und ordentlich Festhalten war auch das zu meistern.






Die Einheitszeit und ISO 800 machen es möglich. 04:45 Uhr Ortszeit! Nachdem sie die Bespannung von einer Diesellok der Reihe DF4B übernommen hat, verlässt QJ 6911 mit Zug 6051, dem weltweit letzten planmäßigen dampfbespannten Personenzug auf einer Fernbahn, am frühen Morgen den Bahnhof von Daban, um ihn nach Chabuga zu bringen.







Der aufgehenden Sonne entgegen!







Am übernächsten Tag waren wir dann übrigens selbst mit diesem Zug unterwegs und zwar von Lindong nach Chabuga. Sehr zur Verblüffung der Chinesen, die sich verwundert den Schlaf der langen Nacht auf unbequemen Bänken aus den Augen rieben, als eine schnatternde Rotte Langnasen ihren Wagon stürmte, wechselseitig die Fenster aufriss, nur um den Kopf hinaus zu strecken und Rufe der Verzückung auszustoßen, wegen des rauchigen, rußigen Ungetüms was vorne am Zug hing. Und auch damals war man als Durchschnittsmitteleuropäer nicht davor gefeit, mittels neumodischem Fotohandy abgelichtet zu werden. Ich kann mich noch an eine Dame erinnern, die sich akribisch Sitzreihe für Sitzreihe vorarbeitete und dabei die Gesichter aller Gruppenmitglieder aus nächster Nähe ablichtete.

Etwas anderes ist mir auch noch im Gedächtnis geblieben. Nämlich dass nach Verzehr des in praktischen Styroporverpackungen mitgebrachten Frühstücks, selbige, also die Verpackungen, nebst Essstäbchen in hohem Bogen aus dem Fenster des fahrenden Zuges flogen! Eine liebgewordene Angewohnheit, die der traditionsbewusste Chinese heute noch pflegt! Dementsprechend sieht es auch links und rechts der Strecken aus. Da ist die Einführung von Wagengarnituren mit fest verschlossenen Fenstern und Klimaanlage durchaus ein großer Schritt in Sachen Umweltschutz.

Übrigens, 2005 befuhren nur ganze zwei Personenzugpaare die JiTong-Linie. Einmal die Garnitur aus Lok und Wagen, und dann dieses schnittige Teil, mit dem wir damals die Strecke von Tongliao nach Daban zurückgelegt hatten.






NYJ1-4010B steht am 04.06.2005 im Bahnhof von Tongliao zur Fahrt über die JiTong Linie nach Hohhot bereit.







Das mit dem „schnittig“ hatte sich bei näherer Inaugenscheinnahme dann aber relativiert. Der ganze Zug war doch recht massiv und durchaus „traditionell“ gebaut. So waren zum Beispiel die sehr schweren Einstiegstüren mit einfachen Außenscharnieren am Wagenkasten angebracht. Trotzdem war die Fahr mit dem Dieseltriebwagen ein Erlebnis und auch auf der Strecke war er ein ganz hübsches Fotomotiv. Erst recht in Verbindung mit der teils rustikalen Signal- und Weichentechnik.






Nur bei der Durchfahrt zackig und mit Mütze und Jackett angetan, war der Wärter an der Westausfahrt von Dariqiga.







Zum Aufnahmezeitpunkt, am 06.06.2005, erst rund fünf Jahre alt ist der im Jahre 2000 bei Sifang Works gebaute NYJ1-4010B. An diesem Abend rollt er, vorbei am Ausfahrtssignal von Dariqiga, als Schnellzug von Tongliao nach Hohhot.







Heute passiert deutlich mehr Personenverkehr den Bahnhof von Daban, doch ein Lokwechsel findet immer noch statt. Nur ist es jetzt Diesel auf Diesel. Wann der nächste P-Zug von Westen her kommt, dass versucht nun Nil mittels App herauszubringen. Wir anderen können derweil in Ruhe noch ein bisschen der DF10D beim arbeiten zuschauen,……




















…..oder, wie im Fall von Pascal und mir, sich in „weißt Du noch, damals…“-Momenten ergehen.






QJ 7105 und 7143 am 05.06.2005 mit einem interessant zusammengestellte Zug aus Kohle- und Kühlwagen.














So viel gäbe es noch hervorzukramen aus der Erinnerung, aber Nil holt uns abrupt ins hier und heute zurück. Er ist fündig geworden! Ein Schnellzug ist laut Plan im Anmarsch. Und wenn wir den auf der Strecke kriegen wollten, dann müssten wir jetzt flinke Füße bekommen. Kleiner Kriegsrat: Wollen wir? Na was für eine Frage?!? Also ab in die Autos und rauf auf die staubige Piste. Wir rumpeln nämlich über die Schotterfläche einer im Bau befindlichen Schnellstraße. Eine mehr, die hier die Landschaft durchziehen wird. Aktuell gleitet man aber noch nicht, man hüpft. Besonders wenn es gilt schnell Strecke zu machen. Lange geht’s nicht, dann ist Schluss. Vor einer Brücke im Bau wird man auf die alte Straße ausgeleitet. Wie praktisch, wer will denn schon „ins Nichts“ fallen, und wie unpraktisch, wäre die Brücke fertig, könnte man bestimmt gut drauf stehen und ins Tal fotografieren. „Aber doch nicht jetzt!“, der Meister des Lichts meldet sich via Funk. Hier geht ja mal gar nichts, so lässt er sich unter Rauschen vernehmen, hier nicht und die nächsten Kilometer auch nicht. Da wäre das Licht achsig. Doof jetzt das! Weil, soviel Zeit zum lange entgegen fahren bis die Strecke dreht haben wir jetzt auch nicht. Also schauen wir angestrengt hangwärts, jede noch so kleine Biegung ansagend, die für etwas Seitenlicht gut sein könnte. Doch das Veto aus dem Fahrzeug hinter uns folgt sofort auf dem Fuß. Also weiter schauen, weiter, weiter ….. ACHTUNG!!! LOCH!!! ….. nein, nicht nur „Loch“, die halbe Straße ist weg! Irgendwann am Ende des Winters hat sie mal der unter uns fließende Fluss mitgenommen, der jetzt so schmal, flach und harmlos daher kommt. Aber was muss da bei der Schneeschmelze abgegangen sein. Gut 10 m breit und ebenso lang und tief ist der Abgrund der vor uns gähnt. Da möchtest du in der Nacht aber nicht hier unterwegs sein, denn von Sicherung und Ausschilderung keine Spur!






Wer sagt da, dass es entlang der JiTong nicht noch aussieht wie vor 20 Jahren? Gut, nicht mehr überall, aber so einige „verträumte“ Ecken gibt es noch. Das Loch haben wir im Übrigen nicht dokumentiert. Da war die Freude zu groß „nicht hineingefallen“ zu sein. Zudem mussten wir ja schnell weiter.







Aber es ist ja gottlob Tag und die Sonne scheint. So haben wir die Gefahr noch rechtzeitig gesehen. Moment, Sonne? Da war doch was! Ach ja, Sonnenstand und Zug der von vorne drückt. Also schnell weiter. Langsam werde ich hibbelig, dann der erlösende Satz aus dem Lautsprecher. In zwei, drei Kilometern dreht die Strecke, da müsste was gehen. Also Herr Fahrer, drauf auf den Stempel, wir haben ein Ziel!

Aobao Engeri heißt die Ansammlung von Häusern, zumindest unserem elektronischen Helferlein nach. Hier knickt die Strecke im 90° Winkel ab, um dann auf einer langen Brücke den um diese Jahreszeit fast ausgetrocknete Flusslauf des Changamulun zu überqueren. Das tun wir übrigens auch, auf einer schmalen Straßenbrücke. Denn noch ist nicht klar, wo wir stehen wollen. Von Brücke zu Brücke geht schon mal nicht. Zu weit entfernt. Also kehrt marsch und zurück zur Siedlung. Da nämlich hat der große Landschaftsmodelleur doch tatsächlich den idealen Hügel für uns hin gebastelt! Alleinstehend und hoch über dem Flusstal! Perfetto!






Na, da hat sich Blablabla-Tours ja mal wieder selbst übertroffen! Extra einen so großen Fotohügel in die Landschaft zu setzen, nur damit dieses Fuzzi-Volk einen idealen Standort hat. Respekt!







Recht malerisch liegen die Häuslein da. Und wie ausgestorben. Kein Mensch ist zu sehen oder zu hören. Unter dem tobenden Kläffen diverser Wachhunde parken wir unsere Autos am Rand der Siedlung, schultern die Rucksäcke, die durch Zugabe von Wasserflaschen nun auch nicht gerade leichter geworden sind und machen uns, immer am Rand lang, wir wollen ja niemanden stören, an den Aufstieg. Der Hügel ist steiler als es den Anschein hat. Und unser Tempo ist auch nicht ohne, haben wir doch immer Sorge, dass der Schnellzug noch durchbrummen könnte, bevor wir richtig stehen. Oben dann noch den aufgeschichteten und mit Wimpeln verzierten Steinhaufen in respektvollem Abstand umrundet, dann können wir endlich uns und die Rucksäcke am abgewandten Hang fallen lassen. Flaschen raus! Durst!












Einen herrlichen Blick hat man von hier oben, auf den Fluss, die weite, geschwungene Landschaft und auf die Brücke. Oder besser auf die beiden! Denn hier hat mal wohl mal die Trasse leicht verlegt und dafür gleich mal eine neue Brücke neben die alte gestellt. Oder hat man die andere einfach stehen lassen um sie später für den Zweispurausbau zu nutzen? Wir werden es wohl nie klären können. Egal! Und außerdem, uns interessiert viel mehr, wann jetzt der Schnellzug auftaucht. Ah! Da hinten, da sieht man ihn kommen!






Mit etwas Verspätung überquert K995/998 von Chengdu nach Hailer nahe Aobao Engeri das im Sommer fast trockene Flußbett des Changamulun. Mehr als 2750 km seiner 4123 km langen Laufstrecke hat K995/998 dabei bereits hinter sich. Gezogen wird er auf diesem Abschnitt von DF4DK 3337 der Jítōng Tiělù. Insgesamt dauert die Fahrt dieses Schnellzugs, mit typisch chinesischem Zuglauf, planmässig 56 Stunden und 22 Minuten.







Schon ein Hingucker sind diese Maschinen in ihrer „Tigerlackierung“. Da kann man schon nochmal größer drauf halten.







Um mich herum wird hektisch gepackt. Kein Zweifel, die Meute bläst zum Aufbruch! Aber warum denn? Hier oben sitzt es sich doch ganz gemütlich. Und der Blick ist auch Klasse. Wenn jetzt hier noch ein Güterzug kommt. Und sitzen tut man hier auch ganz gemütlich. Oh, ich glaube das hatten wir schon! *upps* Ja gut, ich geb’s zu, ich bin gerade etwas faul und würde mich am liebsten hier so schnell nicht wegbewegen. Aber der Rest strebt zum Pass. Und ganz ehrlich, wenn wir dort noch etwas vom Tag haben wollen, sollten wir uns auch langsam dorthin aufmachen. Immerhin ist es schon halb elf durch. Und zu fahren ist auch noch ein Stück! Also auf und diesmal auf direktem Weg nach unten. Wieder sieht man keine Menschenseele, aber immerhin sind jetzt Stimmen zu hören. Und kläffende Hunde! Aber die waren ja vorhin auch schon aktiv.






Auch ein netter Blick. Sollte man sich merken, für den Fall, dass es einen wiedermal in diese Ecke verschlägt. Übrigens, nicht nur unsere beiden Autos parken malerisch im Bild, auch der Schnellzug von eben ist noch zu sehen. Zumindest dessen Ende.







Weiter geht es gen Westen. Mal mit Blick auf die Bahn, mal ohne. In Linxi ein kurzer Halt am örtlichen Lebensmittel Einzelhandel. Getränke auffüllen und Knabbereien besorgen, so für den Hunger zwischendurch. *urgs* Werd ich froh sein, wenn wir wieder in einem Land sind, in dem man sich beim Metzger eine ordentliche Wurstsemmel kaufen kann. Chips oder Gummischeiß gegen Loch im Bauch? Nein, das bringt’s nicht wirklich.

Beim raus fahren nehmen wir die Route parallel zur Bahn. Zwar ein bisschen langsamer, aber so können wir kucken. Kommt aber nix kuckbares. Dann sind wir schon an der Brücke in Reshui. Funken der Erinnerung zucken kurz im Hirn auf. Schon mal auf Bildern gesehen, aber doch irgendwie ganz anders. „Lots uns mal zur Strecke hoch!“, brummt es vom Fahrersitz. Wie? Die Karte auf dem Tablet kannste vergessen! „Ne, mit dem Luftbild! Handy! Klar?“ An sich keine schlechte Idee vom Linksaußen, aber mein Handy ist zu langsam. Bis sich da die Karte nach jedem Mal Schieben wieder neu aufbaut sind wir bei vier Versuchen sicher schon bis nach Hohhot gekommen. „Verstehste mir, Kasimich?“ Wortlos reicht Nil mir seins. Doch ich komme auch mit dem Zauberteil nicht zurecht. Ungeübt brauche ich zu lange bis ich reagiere und jedesmal wenn ich’s hab *bums* geht es auf standby. Zu erwecken nur durch den Besitzer. Mühsam! Und nichts für die zarten Nerven meines Partners. Der zeigt trotz meines Kampfes aber auch kein Anzeichen, vielleicht mal die Fahrgeschwindigkeit anzupassen. Weiter, immer weiter, und wenn auch nicht klar ist wohin, Hauptsache schnell weiter!

Mal ehrlich, ich bin mit Karten schon in der halben Welt gefahren. Und auch mittels Tablet geht es wunderbar. Aber das Teil überfordert mich gerade etwas. Ich bekomm ja gleich Stresspickel. Der Herr links neben mir aber auch. Unverändert den Fuß fest auf dem Pedal raunzt er in die Muschel: „Gubi, übernimm mal Du! Der auf dem Beifahrersitz kommt nicht weiter!“ Danke für das Verständnis und die gezeigte Geduld *grins*

Aber egal, dank der geballten Kompetenz unseres Chefnavigators erwischen wir eine Ausfahrt nach oben. Und der angeschlossene Feldweg bringt uns direkt zur kleinen Station Liudigou, oben am Berg! Na bitte, Fachpersonal braucht man eben....

Sind die Bahnhöfe in China, ja meist auch die kleinen, normalerweise immer derart abgesperrt, dass man sie nicht so ohne weiteres betreten kann, so glänzt dieser hier durch offene Tore. Also fallen wir recht unverschämt ins Gelände ein und parken unsere beiden SUV gleich neben dem kleinen Bahnhofsgebäude. Durchaus erschrocken, im Angesicht dieser überfallartigen Invasion, schaut der Fahrdienstleiter aus seinem Dienstraum, was wir mit einem freundlichen Lächeln, hochgehaltenen Kameras, zeigen auf die Gleise und fragendem Blick erwidern. Er versteht sofort, freut sich nun seinerseits über den Besuch, und gibt uns mit einer einladenden Geste zu verstehen, dass wir willkommen sind. Nach Ende der Dampflokära sind wohl Langnasen, die früher die Gleise zwischen Reshui und Jingpeng bevölkert haben wie Schimmel alten Käse, nun zu einer absoluten Rarität geworden.

Kurz die Lage sondiert, dann schultern die Schweizer Taschen und Rucksäcke und eilen von dannen. Keine 100 km Fernsicht?! Das geht ja nun mal gar nicht! Da muss man schnell die Strecke entlang, weg von jeglicher Bebauung und rauf auf den nächsten Hang! Und alles im Geschwindschritt, der nächste Schnellzug droht. Sollen Sie mal! Gunar und ich bleiben da! Gerade die kleine Station und das drum herum haben es uns angetan. Die sollen möglichst mit auf die Bilder. Mal etwas anderes. Einziges Manko, die Planer haben nicht richtig mitgedacht *zwinker* Das Durchfahrtsgleis ist nämlich nicht das am Hausbahnsteig. So werden wir den Schnellzug wohl etwas an den Hang pressen müssen. Egal, wir bleiben trotzdem. Erst einmal müssen wir aber über die Gleise. Kurzer Blickkontakt mit dem Diensthabenden, internationale Zeichensprache, Freigabe per Kopfnicken. Die Welt könnte so einfach sein.

Kaum drüben, brummelt es auch schon vernehmlich. Mit sonorem Grummeln schiebt sich ein 16 Zylinders von links heran. Gottlob ein Einzelfahrer. So gibt es nicht nur ein Bild, nein die Maschine alleine lässt auch noch genug Raum für das drum herum.






Nachdem sie einem Güterzug über den Berg geholfen hat, läuft DF8B 5909 wieder hinunter nach Reshui.







Langsam rollt der schwere Diesel aus. Ahja, das heißt er kreuzt hier mit dem Schnellzug. Sprich, da ist mit einem beherztem Sprint hin und einem zurück noch ein zweites Bild der Maschine am anderen Ende der kleinen Station möglich. Dann mal schnell oben an der Kante den Hang entlang geflitzt. Gunar spart sich die sportliche Einlage und bleibt lieber wo er ist.






Leerlok DF8B 5909 wartet am talwärtigen Ausfahrtssignal von Liudigou auf den hier kreuzenden K1565/1568.







Während ich noch auf dem Display die Aufnahme kontrolliere und meine Lungen für den Rückweg fülle, hämmert es von vorne schon gewaltig. Mit schwer arbeitender Zuglok kommt der K1565/1568 den Berg herauf. Also Beine in die Hand und durchs Gras zurückgehoppelt. Ungefähr zu der Zeit als ich hechelnd neben Gunar wieder Aufstellung nehme *hiächhiächhiäch* drücken die drei Schweizer weiter vorne schon auf den Auslöser.






Jedes Pferdchen was der mächtige 16 Zylinder hergibt braucht DF4DK 3323 der Jítōng Tiělù um den 15 Wagen Schnellzug die Rampe herauf zu wuchten. Gerade passiert sie die letzte Kurve vor der kleinen Station Liudigou, als David auf den Auslöser drückt.







Wenig später hat sie die kleine Station erreicht und donnert ohne Halt durch.







Genau SO haben wir uns das vorgestellt! Und so sehr stört es gar nicht, dass der Zug auf der Hangseite durchrollt. Im Gegenteil. So bleibt mehr von der Bebauung links zu sehen.

Und was jetzt? Von den drei anderen ist noch nichts zu sehen. Also bleiben wir mal hier und warten auf das was da kommt. Und es kommt! Allerdings nicht in Gestalt von mächtigem Grollen, nein, es ist der Fahrdienstleiter der aus seinem Dienstraum tritt. Scheint dann wohl die nächsten Minuten nichts zu rollen hier. Gemächlichen Schrittes, nach links und rechts schauend, kommt er vor bis an die Bahnsteigkante schräg gegenüber von uns und ….. nein, er wird doch nicht?!? ….. nein, nicht wirklich, oder?!? ….. doch er tut!!! *omg* Während ich mich, das drohende Unheil erahnend, abwende, beginnt es hinter mir munter zu plätschern! *grins* Tja, watt mutt, datt mutt…. Aber musste es denn vor uns und in die Gleise sein? Stelle auf jeden Fall merken und beim Zurückgehen meiden.

Cheffe, nun erleichtert, lässt sich im Schatten eines der kleinen Bäume nieder, nicht ohne uns aufmunternd zuzurufen, wir sollen ihm doch Gesellschaft leisten und ein kühles Getränk mit ihm teilen. Gut, steht eigentlich nichts dagegen. Und wenn ein Zug kommt, bekommen wir es ja früh genug mit. Also ab in den Schatten. Die angebotene Dose schlagen wir, unsere eigenen Flaschen zeigend, freundlich aus. Wir müssen ihm ja jetzt auch nicht noch seine kalten Getränke wegtrinken.

Es könnte so schön sein hier, wäre da nicht die unüberbrückbare Sprachbarriere. Unser chinesischer Freund ist durchaus an einer Konversation interessiert und sucht stets nach neuen Ansätzen selbige in Schwung zu bringen. Alleine, wir können seine Äußerungen halt nicht mal im Geringsten deuten und er im Gegenzug nichts mit unseren blind vorgebrachten Antworten anfangen. Langsam macht sich beklemmendes Schweigen breit. Ich überlege gerade fieberhaft, wie wir die Situation möglichst ohne Peinlichkeiten auflösen können, da erhebt sich der Meister auf typisch chinesische Art schwer seufzende „es hat ja irgendwie alles keinen Sinn“ und verschwindet in seinem Dienstraum. Puh, das hätten wir erstmal überstanden! Oder? Nein, nicht wirklich! So leicht gibt er nicht auf! Dazu ist er einfach zu leutselig! Mit einem brummenden Ruf, der keinen Widerspruch zulässt, werden wir in den Raum gebeten. Quasi ins Allerheiligste der Station! Sehr interessant!!!

Mit militärisch strengem Ton wird Gunar und mir ein Platz zugewiesen, ihm in der linken vorderen Ecke, mir in der rechten hinteren, dann lässt sich der Chef in seinen Armsessel Marke Eigenbau sinken und verfällt erstmal in Schweigen. So, da sitzen wir nun! Und jetzt?!? Wieder nimmt er einen Anlauf, zeigt auf einige Bilder, brummt, redet, erzählt, fragt, und bekommt von uns doch nur ratlose, bedauernd lächelnde Gesichter! Er wirft die Hände! Was soll er denn jetzt noch machen, damit diese Langnasen in den Genuss seiner landestypischen Gastfreundschaft kommen? Plötzlich die Eingebung! Was machen alle Menschen rund um den Globus um Kontakt aufzunehmen? Man bietet seinem Gegenüber eine Zigarette an! Eingehüllt in Rauch hat man plötzlich etwas gemeinsam. Ganz ohne Worte schafft man so eine fast schon intime Verbindung. Gleichgesinnte untereinander! Also hält er uns ein Päckchen hin, zwei, drei Zigaretten mit gekonntem Schwung griffbereit aus der Packung geschüttelt. Guter Plan! Doof nur, dass der einzige Raucher unserer Truppe einige 100 m weiter draußen an der Strecke steht!

Gut das er mir die Packung als erstes hin hält. So kann ich noch dankend abwehren, ohne dass es unhöflich wirkt. Bei zweien, kann einer davon ruhig nein sagen. Also wird der Arm in Richtung Gunar geschwenkt. Der nimmt zu meiner Verblüffung an. Raucht er denn? Nein, tut er nicht! Darum ist jetzt der Chinese verblüfft, warum der Typ zwar mit Dankesgesten einen Glimmstengel annimmt, ihn aber dann nicht auch anzündet! So lieber Gunar, jetzt erklär mal einem Chinesen ohne Chinesisch, dass Du seine mit chinesischer Höflichkeit angebotene chinesische Zigarette nicht rauchen und damit die chinesisch-deutsche Freundschaft besiegeln willst! *kicher* Ein lustiges Schauspiel den beiden zuzuschauen.

Ein wenig hin und her, dann hat der gute Mann wohl endgültig den Glauben an uns verloren. Genau im richtigen Moment klingelt das Diensttelefon. Wir verfallen sofort in Schweigen. Es scheint uns nicht ratsam, dass der am anderen Ende der Leitung mitbekommt, dass hier Fremde im Dienstraum sitzen. Auch wollen wir den Betriebsablauf nicht stören. Mir gibt es Gelegenheit den Raum etwas genauer zu inspizieren und den Ablauf zu beobachten.

Auf den drei Bildschirmen vor unserem Gastgeber die schematische Darstellung der Strecke, Symbole für die Züge inkl. Zugnummern, daneben Exceltabellen mit Durchfahrtszeiten, Anzeigen von freien und blockierten Streckenabschnitten, Weichen- und Signalstellungen. Rechts an der Wand ein Board, auf dem abwechselnd Züge angeschrieben oder ausgestrichen sind. Unser Fahrdienstleiter führt noch einige Telefonate, schaltet Weichen und Signale und zeigt währenddessen immer wieder mit ausgestrecktem Arm auf die Bildschirme und die Tafel. Nicht für uns, sondern so wie es die Vorschrift anordnet.












Liegt es daran, dass er unser endgültig überdrüssig ist oder will er nur, dass wir den nächsten Zug nicht verpassen. Ziemlich rüde werden wir nun aus dem Raum komplimentiert. Gut, dass kann auch täuschen. Chinesisch zeichnet sich oftmals nicht durch einen weichen Umgangston aus, sodass ganz normale Äußerungen für europäische Ohren schon mal was Bedrohliches haben können. Der Gruß zum Abschied spricht dann auch eher dafür, dass er sich unseres Ansinnens bewusst ist und uns nur das nächste Bild nicht vermasseln möchte. Dazu passt auch, dass er uns im Hinausgehen noch andeutet, von wo aus der Zug kommt. Aber ehrlich, ein bisschen, oder auch etwas mehr *grins* , ist er schon froh uns wieder los zu sein.

Draußen in der Hitze orientieren wir uns sofort nach rechts, soll doch der nächste Güterzug von Reshui herauf kommen. Von links hechelt Nil heran mit der Info „da kommt ein Güterzug den Berg hoch“ ….. jaja, alter Hut, wissen wir schon lange *zwinker* ! Von den beiden anderen ist nichts zu sehen. Die bleiben noch vorne in der Kurve, so die Auskunft.

Da das Licht hier am Bahnsteig noch nicht genug rum ist, geht’s schnell raus in Richtung westliche Signalgruppe. Da ich nicht direkt an den Gleisen entlang laufen will, man soll die Geduld des Herren in Uniform ja auch nicht über Gebühr strapazieren, wähle ich den Weg außerhalb des Zauns und versteige mich prompt im Gestrüpp am abschüssigen Damm. Kostet Zeit, Kraft und bringt mir, neben einigen Schrammen auch eine ordentliche Anzahl an Kletten in Hose und Strümpfen ein. Hat sich ja mal wieder rentiert. Aber Eile tut Not, denn wir stehen noch kaum richtig, da ist DF8B 5917, am Haken eine lange Leine Güterwagen, auch schon da.






Ganz alleine muss DF8B 5917 einen Güterzug über den Berg bringen. Bei der Durchfahrt durch die kleine Station Liudigou ist dabei das Schwerste schon geschafft.







Na, Seitenlicht war hier aber auch noch nicht wirklich, oder? Ja, gut, aber zum von oben auf die Nase schießen hat es schon so irgendwie gepasst. Dafür ist der Blick ein netter.

Langsam und triefend geht es zurück Richtung Bahnhof und Autos. Und während wir schon mal unsere Ausrüstung verstauen und uns an labbrig warmen Getränke erfreuen *bäh* kommen auch die beiden anderen daher. Kurze Besprechung, „Wohin jetzt?“, „Auf die andere Seite der Rampe und dabei unterwegs nach möglichen Stellen kucken.“, „O.k.!“, dann winken wir nochmal unserem Gastgeber, bedanken uns artig und verschwinden über die staubige Zufahrt.

Natürlich ist uns klar, dass es hier auf dem Pass wohl keinen Quadratmeter, keinen Blick, keinen Schienennagel gibt, der nicht schon unzählige Male auf Bild oder Film verewigt worden wäre. Und so hätte man vorher im Internet recherchieren können, um sich dann punktgenau hin zu stellen. Aber wo bitte bleibt dann der Spaß? *zwinker* Abarbeiten von „vorgegebenen Motiven“? Nicht so prickelnd, finde ich.

Logisch, schlau machen wir uns vor unseren Touren auch, wo was geht. Wenigstens sofern das Netz was hergibt. Und so landen wir auch immer wieder an Orten, die einfach zu schön sind, um sie auszulassen. Meist sind wir aber einfach nur mit offenen Augen vor Ort unterwegs und versuchen unsere eigenen Blickwinkel zu finden. Motive die uns gefallen. Und wenn sich dann herausstellt, dass da schon hunderte vor uns waren, spielt das auch keine Rolle. Wir machen die Bilder ja primär immer noch für uns.

So landen wir dann auch unweigerlich am Kurvenviadukt an der Westrampe. Eben einem dieser Standardfoto- und filmpunkte noch zu Dampflokzeiten.

Aber „Hein, wie haste dir verändert!“. Kannte ich das Gelände aus diversen youtube-Mitfahrten oder Fotoserien bislang nur kahl und steppenartig, breiten sich jetzt in der Kehre neben der Strecke kleine Wälder aus, die früher oder später den ein oder anderen Blick verschlucken werden. Aufforsten ist anscheinend hier angesagt. Und ganz ehrlich, dass kann mich durchaus begeistern. Beugt man doch so, wenigstens partiell, der weiteren Bodenerosion vor.

Entsprechend dem veränderten Vegetationszustandes links und rechts der Schienen endet unsere Anfahrt in Richtung Fotohügel denn auch auf einem „Waldweg“, der im weiteren Verlauf so zugekrautet ist, dass er zwar nicht mehr als Fahrstraße, aber doch immerhin als idealer Parkplatz dienen kann. Also Taschen raus, grob Richtung festgelegt, weil sehen kann man den Hügel auf dem wir Aufstellung nehmen wollen von hier nun nicht mehr, und abmarschiert. Und das durchaus flott! Leises Brummeln aus der Ferne kündet nämlich von neuen Aktionen hier auf der Rampe.

Während die anderen, mit Blick auf das „große Ganze“, jetzt immer weiter nach oben streben, komme ich nach Prüfung der Luftvorräte in der Lunge und Energiereserven meiner Muskeln zu dem Schluss, dass es auf halber Höhe auch ganz nett aussehen würde. Zudem habe ich ja bekanntermaßen nichts dagegen die Züge auch mal dominanter auf dem Bild zu haben. So bleibt mir auch genug Zeit, den jetzt schon deutlich lärmenden Bergfahrer bei seinem Kampf gegen die Rampe ausgiebig zu beobachten, wie er im Bahnhof am gegenüberliegenden Hang nochmal versucht Geschwindigkeit aufzunehmen, um sich dann mit maximalen Schwung gegen den Berg zu werfen.






Zusammen mit DF8B kommen auch im Jahr 2016 noch Maschinen der Reihe DF4D über den Pass. Hier schleppen DF8B 5919 und DF4D 4072 einen Güterzug die Westrampe hinauf.







Na das ist doch mal eine schöne Garnitur für das erste Bild, oder? Und die Bespannung mit DF4D und DF8B ist ja auch nicht zu verachten. Übrigens, bei wem die gelben Wagen jetzt Assoziationen zu Postwagen wecken, nein, es ist eindeutig kein Postzug den wir hier erwischt haben. Außer die an den Wagen angebrachten Totenköpfe deuten auf äußerst giftige Briefe von bösen Schwiegermüttern oder dem Finanzamt hin.

Schon als wir noch am Aufstieg waren und die ersten Blicke gen Viadukt warfen meinten die Sonnenkundigen übrigens, dass wir wohl schon etwas zu spät wären. Gut, da man von diesem Standort sowieso quer schießen muss, wäre es doch eigentlich egal. Aber der Sonnenstand würde halt auch nicht besser, so die Aussage. Dagegen lässt sich jetzt grundsätzlich nichts sagen. Also waren die Gipfelstürmer schon fleißig dabei, mit forschenden Blicken auf der anderen Talseite einen potentiellen Standort zu suchen.

Sonnenstand hin oder her, mich treibt in diesem Moment aber etwas ganz anderes um. Während nämlich gerade der Bergfahrer herannahte, hatte sich halb rechts von uns, ein Talfahrer in der nächsten Ausweiche an den Rand gestellt. Jetzt gab es zwei Möglichkeiten. Der kreuzt mit dem „Postzug“, der sich gerade auf die Brücke schiebt, oder er muss noch einen weiteren ostwärts fahrenden abwarten, der aber dann eigentlich schon zu hören sein müsste.

Kurz und gut, jetzt ist Zeit zum Handeln. Und während die anderen noch schauen wo man drüben auf der anderen Talseite stehen könnte, hüpfe ich schon wie ein Hase, mit wippendem Rucksack, unseren Hügel hinunter. Beschleunigt vom Gefälle und der Angst, nach all dem Einsatz am Ende den Talfahrer doch noch zu verpassen. Das Ziel meines Mittelstreckensprints ist klar. Der Tunnel da rechts hinten soll es sein. Genau da am Ausgang will ich stehen, wenn die DF8B ihr blaues Gesicht aus dem Loch schiebt. Also Lungenflügel hinter den Ohren verknotet und Vollgas. Im Laufen bekomme ich mit, dass Gunar sich anscheinend meiner unausgesprochenen Idee anschließt und die Verfolgung aufgenommen hat. Prima, ist also einer da der mich hier im Gelände aufsammelt und zum Auto trägt, sollte ich mir die Bänder reißen! Das ist weniger scherzhaft gemeint wie es sich anhört. Denn durch die Aufforstung ist die ganze Fläche vom Hügel bis zum Einschnitt der Bahn durchzogen von Längsgräben und Löchern, die für die kleinen Setzlinge angelegt worden waren. Da mittlerweile aber schon recht verwachsen, sieht man nur mehr bedingt wo man hin tritt. Also ist maximale Schnelligkeit mit maximaler Vorsicht die Losung des Tages. Dazu noch das Schnaufen nicht vergessen und …… hm ….. da war doch noch was …. aber was …… ach ja ….. Stoßgebete abschicken, dass der Zug nicht doch gleich aus dem Tunnel bricht.

Irgendwie hat das von oben kürzer ausgesehen, doch schlapp machen gilded nich! Also halt ich das Tempo hoch, Knochen und Bänder heil und Lunge und Beine in maximaler Bewegung. Das Gunar in der Zeit nicht zu mir aufschließen kann, werte ich jetzt mal als gutes Zeichen. Und wirklich, noch bevor wieder was rollt auf den Schienen, haben wir den Einschnitt erreicht, der zwischen Tunnel und Bogenviadukt liegt. Jetzt noch den Puls runter bringen, was trinken, dabei eine Rutschung umgehen und eine Position suchen, dann kann die Show von mir aus los gehen.






Nachdem sie die Zugkreuzung in Hadashan abgewartet hat, rollt DF8B 0240 nun mit einem Leerzug talwärts Richtung Jinpeng.














Gunar und ich üben uns im Wettgrinsen als wir uns auf den Weg in Richtung Auto machen. Perfekt! Genau so haben wir uns das gedacht. Unten im Gehölz, bei den Autos treffen wir auf die anderen, die mittlerweile auch von ihrem Feldherrenhügel abgestiegen sind. Beim Drehen der Fahrzeuge sind nochmal die Beifahrer gefordert. Typisch für diese Gegend sind die Auswaschungen aller Orten. Und so kann ein Weg, der von oben noch gut aussieht, von unten her schon zu teilen ausgehöhlt sein. Fatal, wenn man so ein Stück befährt. Auto versenken steht nämlich nicht auf unserer to do – Liste. Wenigstens nicht heute oder doch?

Wir wechseln die Talseite, hinüber in kleine Örtchen Xiakengzi. Heißt der Ort wirklich so? Na wenigstens der Bahnhof trägt den Namen. Auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben. Schmucke Häuschen, ein kleiner „Volkspark“ mit Trimmgeräten, eine breite Straße die den Ort der Länge nach durchzieht.

Und letztere bringt uns heraus aus der kleinen Ansiedlung. Heller Belag der in der grellen Sonne förmlich strahlt und in den Augen schmerzt, ständiger Lichtwechsel durch Büsche und Bäume am Straßenrand, und dann immer wieder diese Senken für die Wasserdurchlässe! Und obwohl wir durchaus mit gedrosseltem Schaum dahineilen, plötzlich ein hektisches Bremsmanöver vor uns. Rote Lichter glühen auf, Dreck staubt von der Straße hoch, Gubi kämpft! Doch allein, es hilft nichts! Zu nah ist schon die nächste dieser Absenkungen, zu versteckt lag sie genau am Rand der nächsten Schattenzone. Unsanft geht es nach unten und noch unsanfter wieder hinauf *krrrrch* Der Vorbau hat Bodenkontakt. Und diese Senken ab jetzt einen Namen: „Gubinator!“

Immerhin, jetzt fällt die Ansage dem Beifahrer deutlich leichter. Denn so wie wir die Straßenwülste in Südamerika und Spanien „Hubbolito“ oder in Kurzform „Hubbel“ getauft haben, kann der Rechtsaußen jetzt „Gubinator“ rufen, sollte er merken, dass so ein Ding auftaucht und der Fahrer keine Anstalten macht das Tempo zu drosseln. Also, hat sich die Aktion von eben doch rentiert. Umso mehr, nachdem die spontane Inaugenscheinnahme ergibt, dass außer etwas abgeschabtem Plastik keine größeren Schäden aufgetreten sind. Oder vielleicht doch……?!?

Die nächsten 500 m schaffen wir dann unfallfrei, links ab auf einen Feldweg und die Autos schön ordentlich direkt unterhalb des Bahndamms abgestellt. Vom Hügel auf der anderen Talseite aus hatten wir uns die Stelle ausgekuckt, weil man dort wohl am besten über die Gleise und hoch, auf eine erhöhte Fotoposition kommt. Gut, dass man einige hundert Meter weiter eine Unterführung gehabt hätte, mittels der wir ganz bequem bis an den Fuß des Geländegrates hätten fahren können, das ist eine andere Geschichte. Und man kann ja schließlich nicht immer alles wissen *grins* Das nächste Mal dann halt.

Mal wieder die schweren Rucksäcke geschultert, was man nicht alles so mitschleppt, eilen wir nach oben. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit bei der hier bestehenden Zugdichte hoch, etwas zu verpassen. Also auf, auf und hinauf!

Drüben auf der anderen Gleisseite heißt es erstmal wieder klettern. Der Mongole im Allgemeinen zäunt seine Eisenbahn nämlich gerne ein. Wohl um zu verhindern, dass sie ihm in die Weiten der Steppe entkommt. Wobei zu sagen ist, dass die chinesisch-mongolische Variante uns deutlich lieber ist als das Original. Zwar höher, dafür aber ohne Stacheldraht. Zumindest hier in der Gegend. Macht’s zwar jetzt nicht zwingend einfach, oben auf der Kante wild hin und her schaukelnd das Ding zu überwinden, aber deutlich ungefährlicher für Kleidung und diverse Körperteile.

Wir sind kaum drüber über das Metallgeflecht, da kommt auch schon Hektik auf. Von hinten, oben grummelt es dezent. Schulterblick: Ein Helferlein kommt gerade über das Bogenviadukt gerollt! Schnell geht’s hinunter in eine Senke, ist ja immer so, wenn’s eh schon hoch geht, haben die Landschaftsbauer garantiert vorher noch eine Kuhle eingeplant, damit sich der Aufstieg auch ja rentiert. Unten in der Senke höre ich plötzlich Stimmen! Hektisch schaue ich um mich! Hab ich da jemanden aufgeschreckt? Aber niemand ist zu sehen! Ratlosigkeit! Dann schlägt das monotone, beschwörende Brabbeln plötzlich in einen Singsang um, der sich nicht weniger mystisch anhört. Blick nach unten: Bin ich gerade auf eine Kultstätte eines verborgenen Zwergenstammes getreten? Nein, Stimmen und Klänge kommen eindeutig von oben. Also die Wipfel der niedrigen Bäume um mich herum abgesucht. Und siehe da, dort, ans Geäst gebunden, hängt ein kleiner, roter, quadratischer Lautsprecher und quäckt vor sich hin! Warum, wieso, weshalb, dass zu ergründen hab ich keine Zeit, den von hinten rollt die DF8B.

Ein beherzter Zwischensprint bringt mich zwar außer Puste und an einen ganz vernünftigen Standort, alleine die Wolken, die sich mittlerweile großflächig und zahlreich am Himmel ausgebreitet haben, haben wohl meine sportlichen Aktivitäten gesehen und wollen beim Rennen mitspielen. Und natürlich gewinnen! Was sie auch tun! Darum war alle Anstrengung umsonst und das Halblichtbild von DF8B 5919 verschwindet in den Untiefen des „Rohbilderarchivs“. Übrigens ist es die Maschine, die gerade erst dem „Postzug“ die Rampe hinauf geholfen hat.

So, da haben wir also den ersten Wolkenschaden des Tages. Und wenn ich so nach oben blicke, dann wird es wohl auch nicht der letzte sein! Gut, im Vergleich zu gestern und vorgestern ist es ja noch absolut Bombe, waren doch die beiden Tage komplett mit Dunkelheit geschlagen. Aber als Eisenbahnfotograf gewöhnt man sich halt an nichts so schnell wie an das strahlende Licht.

Schritt für Schritt arbeiten wir uns nun durch den zerklüfteten Hang nach oben, dabei reift bei mir nicht nur die Erkenntnis, dass mich der Sprint von eben, also der bergab auf der anderen Talseite, mehr Körner gekostet hat als mir lieb sein kann, nein, auch die, dass es manchmal besser sein kann, auch mal etwas fahren zu lassen. Denn noch bin ich weit unterhalb der Kante, von der man einen Blick und ein freies Schussfeld in die Gegenrichtung hätte, als es von hinten her mächtig das Röhren und Grummeln anfängt. Dieses brachiale Geräusch lässt auf Großes schließen! Und wir stehen falsch. Aber sowas von! Mein fast schon lächerlicher Versuch quer zu laufen, um dann wenigstens volle Breitseite auf die Maschinen die da wohl kommen mögen schießen zu können, scheitert kläglich, denn ich bin noch nicht weit gekommen, da bricht auch schon ein gewaltiges Dröhnen aus dem Einschnitt rechter Hand. Ein Brüllen, das kein Schalldämpfer bändigen kann, ein Aufschreien von 48 Zylindern im Kampf gegen Zuglast, Steigung und Schwerkraft. Die ganze Luft um uns scheint zu erzittern vor so viel Anstrengung. Bis hier oben kann man das Vibrieren der Kästen, das Mahlen der Motoren hören, während unter uns das Trio aus DF8B 5908, 0239 und DF4D 4171 langsam vorbeizieht, sich förmlich schüttelt im Versuch noch einmal Fahrt zu gewinnen, bevor es endgültig hinein geht in die steile Rampe!

Langsam verebbt der infernalische Lärm der Drei, tauchen sie ein in den nächsten Einschnitt, setzt sich das dumpfe Schlagen der schwer beladenen Wagen durch. Mein erster Impuls „hinterher!“ während ich, noch tief beeindruckt vom dem Schauspiel eben, auf halber Höhe im Hang verharre. Den eins scheint mir klar zu sein, eine solche Bespannung gibt es auch hier auf dieser Strecke nicht alle Tag! Und bei dem Tempo müsste der Zug bis zur Passhöhe noch zu machen sein. Dort, wo wahrscheinlich die Helferlok absetzen wird.

Allein meine Mitreisenden steigen stoisch wieder bergan. Sie können sich am eben erlebten nicht so begeistern. Und so prallen einmal mehr zwei Philosophien aufeinander. Es ist halt aus ihrer Sicht weniger wichtig was fährt, eher wo es fährt. Und da wollen sie sich den Blick vom Grad über uns auf keinen Fall entgehen lassen. Also nehme auch ich den Aufstieg wieder auf, allerdings mehr von der Idee getrieben, den Zug dann wenigstens noch quer übers Tal, auf dem Bogenviadukt zu schießen, als von der Überzeugung, nun im Zweifel lieber den Blick von hier oben auf den nächsten Personenzug zu haben, als dieses Gespann von eben.

Zwischenzeitlich hatte das Rauschen von der Schnellstraße, drüben auf der anderen Seite des Tals, die Oberhand gewonnen, doch jetzt, da sich der Kohlezug langsam auf das Viadukt schiebt, verschaffen sich die drei mächtigen Maschinen problemlos wieder Gehör. Übertönt ihr Ringen mit der Rampe die restlichen Geräusche im Tal. Leise vor mich hin fluchend stehe ich neben den anderen auf dem Grad des Hügels. Mich nervt gerade das „Immerdrauf“ was ich auf meiner Kamera habe, dem jetzt hier im entscheidenden Moment doch einige mm an Brennweite fehlen, und noch mehr die Wolkenbank die sich gerade flugs vor die Sonne geschoben hat und nun nicht mehr weggehen will! Warum hier und warum ausgerechnet jetzt? Hinten hell, vorne hell, und im Motiv finster wie ….. – ich könnte gerade …..!

Abgedrückt wir trotzdem! Und auch gezeigt! Schließlich ist diese Bespannung schon etwas Besonderes. Zumindest so meine Vermutung. Da darf’s dann auch schon mal die Ansätze eines Dubis haben, oder?






Gleich mit drei schwer arbeitenden Maschinen an der Spitze kämpft sich dieser Güterzug den Berg hinauf. Für Traktion sorgen DF8B 5908, DF8B 0239 und DF4D 4171. Eine Kombination die auch bei schlechten Lichtverhältnissen ein Bild wert ist.







Ob ich angefressen bin, gerade in dem Moment? Ach komm? Ich und angefressen? Wegen dem Schattenbild und überhaupt? Ich doch nicht! Ich bin s t i n k s a u e r !!! Alles andere, was wir hier hätten verpassen können, hätte mir nach dem bisherigen Tag nur ein müdes Lächeln entlockt. Alles? Naja, fast alles. Aber eben nicht das Ding von Eben! Das ist schon übel.

Aber gemütlich dahingelagert auf der bequemen Wiese, umgeben von klarer Bergluft und netten Menschen, beschienen von der jetzt wieder hervorlugenden Sonne ….. Mist Wolken ….. verfliegt die schlechte Laune genauso schnell wie sie gekommen ist und macht einem leicht enttäuschtem „Schaaadééé!“ Platz! Schauen wir mal, was der „Große Steuermann“ am Trafo der JT als nächstes so zu bieten hat. Gut, nur eine gewöhnliche DF8B vor einem Güterzug. Standard also. Dafür aber diesmal mit Sonne, Motiv und allem Drum und Dran! Wer möchte da schon noch weiter meckern?






Nachdem sie im Betriebsbahnhof Hadashan die Kreuzung mit dem Bergfahrer von eben abgewartet hat, kommt DF8B 5677 mit einem Leerzug auf dem Weg ins Tal durch die Station Xiakengzi gerollt.







Übrigens, den Bergfahrer sieht und hört man noch eine ganze Zeit, wie er sich, nachdem er im Seitental die bekannte Ziegelei umrundet hat, hinten am Rand der Berge mühsam in Richtung Passhöhe kämpft!

Jetzt tut sich erstmal eine dreiviertel Stunde lang nichts. Straße, Vögel, das Aufschreien einer Kreissäge und um uns brummende Insekten bilden die Geräuschkulisse. Dann wird ein Einzelfahrer sichtbar, der über die Schleifen herunter auf uns zu rollt. Es ist die Vorspannlok der Dreifachtraktion, die wohl auf der Passhöhe vom Zug gegangen und nun für neue Aufgaben wieder hinunter nach Jingpeng unterwegs ist.






Eine der Krawallkisten von eben, die DF8B 5908, kommt solo vom Pass herunter…..







……und rollt, durch das nun breiter werdende Tal, hinunter nach Jingpeng, um dort für den nächsten bergwärts fahrenden Zug als Unterstützung bereit zu stehen.







Versonnen schauen wir der Maschine nach, bis sie um die nächste Geländekante verschwunden ist, dann gehen die Blicke wieder nach links und hinauf in Richtung Hadashan. Schließlich soll ja nun der Hauptgrund der Kletterei hier herauf kommen, der Personenzug von Osten her. Hoffen wir doch, bestärkt durch die Erfahrung der letzten Tage, hier auf eine interessante Zuggarnitur aus älteren Wagen, bespannt mit einer DF4D in blau-beige. Spekulatius, spekulatius! Und siehe da, manchmal haben wir sogar Recht mit unseren Vorhersagen.





Mit einem Regionalzug kommt DF4D 4299 die Schleifen oberhalb von Xiakengzi herab.







Um kurz danach ohne Halt durch die Station Xiakengzi zu rollen.







Eigentlich ganz nett hier oben. Und zudem eine Zweirichtungsstelle. Aber Nil treibt es schon wieder um. Er hat rechts von uns, an der Bahnhofsausfahrt eine Stelle entdeckt, die will er ausprobieren. So mit den Häuschen hinterhalb. Gubi steigt mit ein in die Überlegungen und kurz danach mit ab. Die Krux am ganzen ist nämlich, um da hin zu kommen, muss man erst einen steilen Hang hinunter bis zum Weg, nur um dann wieder steil nach oben zu klettern. Zuviel für meinen noch vorhandenen Akkustand, denke ich und bleibe auf der Wiese liegen. Pascal und Gunar links von mir zeigen auch keine großen Aktivitäten. Also „relaaaaaxe and chill Maaaann“!

Doch der Zweifel nagt still und heimlich in mir, frisst Stück für Stück die Faulheit auf und bekommt langsam Oberhand gegenüber meinem Schweinehund. „So ein anderer Blick wäre doch nicht schlecht, oder?“ *hm* „Wenn nur dieses elende auf und ab nicht wäre!“.

Noch während in mir also der Kampf tobt, haben meine Arme bereits den Rucksack auf meinen Rücken befördert und die Beine tragen mich hangabwärts Richtung Bahndamm. „Hä? Wie jetzt?“ Was geht denn nun ab hier? War ich nicht gerade noch auf „Wellness in der Wiese“ programmiert? Ein Leerzug, der hinten im Tal aufgetaucht ist, hat den Ausschlag gegeben für den Spontanaufbruch. Nochmal DF8B mit einer Schlange E-Wagen von hier oben? Nein, das hatten wir schon! Also auf zu neuen Ufern *keuch* Vorbei am Plastik-Schamanen, der hoch aus seinem Baum weiter unablässig brabbelt und seinen Singsang erklingen lässt, geht es hoch zum Bahnhof. Ich hab mich für einen Abgang auf derselben Route wie beim Hinweg entschieden. Ist zwar länger und umständlicher wie der direkte Weg von Nil und Gubi, aber auch deutlich weniger steil. Also wesentlich passender zu meiner Kombination aus Höhenangst und wackligen Füßen. Aber dafür muss ich zweimal über den Zaun und einmal den Gleisen entlang durch den Bahnhof. Letzteres stört übrigens mal wieder niemanden.

15, 16 kg auf dem Rücken lügen einfach nicht. Erst recht, wenn man sowieso schon am Ende ist und dann auch noch dieses ewige rauf und runter. Zudem rollt’s schon vernehmlich von hinten und von vorne kommt jetzt auch noch ein tiefes, mächtiges Grummeln, das immer lauter wird. Und zur Fotostelle ist es noch so weit! Warum hört sich gerade „gemütlich daheim sitzen und Briefmarken sammeln“ so erotisch an?

Ich stolpere durchs Gelände, in dem Wissen, dass ich es wohl nicht mehr rechtzeitig bis zur Stelle schaffen werde, außer….! Ja, manchmal bestraft das Leben eben nicht den, der zu spät kommt, sondern es belohnt ihn sogar! Von vorne schiebt sich, mit lauten Brummeln, ein DF8B-Doppel um die Kurve, am Haken einen langen Güterzug. Nil und Gubi, schon an der geplanten Stelle, stehen nun ganz falsch. Bei mir reicht’s aber mit etwas aufziehen und Frontschatten für ein ganz nettes Bild.






Mit gewaltiger Lärmentwicklung kämpfen sich DF8B 5922 und 5674 vor einem schweren Güterzug, von Jingpeng kommend, in Richtung Pass.







Juhu! Na die Zugabe nimmt man doch gerne mit. Zudem hat mir der Zug noch etwas Luft verschafft, um die Stelle zu erreichen. Musste doch der Talfahrer wegen ihm in die Ausweiche. Nun aber flott, denn lange kann’s nicht dauern bis sich der Leerzug wieder in Bewegung setzt. Aber leichter gesagt als getan. Ich stehe unvermittelt vor einer gut sechs, acht oder noch mehr Meter hohen, senkrechten Abbruchkante. Eindeutig zu viel zum Springen und zum Klettern gibt es nirgends Halt. Zurück, bis dahin wo ein Weg hinunter führt, ist auch keine Option. Dann verpass ich den Zug nämlich mit Sicherheit. Aber auf halber Strecke hat das Wasser kleine Spalten in den sandigen Untergrund gewaschen. Die sind meine Chance. Kurz überlegt, in die „netteste“ hineingeklettert, geht’s im Spreizschritt einige Meter abwärts, dann noch den Rest springen, zwei Meter Höhe, das geht gut, dann mit wippendem Rucksack und pfeifender Lunge den Sandweg entlang in Richtung Wiese zu den beiden anderen gelaufen. Hinter mir das einsetzende Toben des 16-Zylinders!






Nachdem sie die Kreuzung mit einem bergwärts fahrenden Güterzugs, dessen Wagen man noch oberhalb der Leergarnitur sehen kann, abgewartet hat, beschleunigt DF8B 5038 ihren Zug aus dem Bahnhof Xiakengzi.







Während ich nun keuchend ins Gras sinke, planen die beiden anderen schon wieder den Aufbruch. Man könnte ja….., schließlich hätte man doch hier….., da hinten wäre doch….. *grmbl* Manchmal hasse ich die Beiden und ihren unerschöpflichen Elan sooooo seeeeehr! Ja wo bleibt denn da die Gemütlichkeit?!? Oder wenigstens der Drang zum Überleben?!? *grins*

Bevor wir aber wieder abrücken, muss noch ein Bild quer über den Ort, hinauf zum jetzt die Brücke erreichenden Güterzug von eben sein.





DF8B 5922 und 5674 auf dem Viadukt oberhalb Xiakengzi






Dann folgt das Unvermeidliche. Schultern der Rucksäcke und in Bewegung setzen der Beine. Letztere quittieren die Aktion unverzüglich mit einem gequältem Ziehen und sich steigernder Kraftlosigkeit. Meine in den Raum oder besser in die mongolische Weite gestellte Frage, ob es denn für das jüngere Fotografenvolk nicht natürliche Pflicht, wenn nicht schon fast eine Ehre wäre mich, den weisen, verehrungswürdigen Alten, oder zumindest meinen Rucksack, bis zum Auto zu tragen, wird von selbigem erst völlig ignoriert und dann, als wir nach Abstieg vom Bahndamm und dem passieren einiger Hinterhöfe die Hauptstraße des kleinen Ortes erreichen, mit der Antwort bedacht, ich, der Alte, könne mich ja hier still und fein hin setzen wenn ich denn so kraftlos wäre und warten. Man würde mich dann schon irgendwann abholen! Ja so ein Saubande! Schon mal was von Anstand gehört? Da fehlen einem ja schon fast die Worte! Sowas hätten wir uns früher ja nie getraut! Wir wären sofort gesprungen und hätten einem solchen Fotografenurgestein ja sogar noch die Lokomotiven ins Motiv getragen…. Also mindestens! *grins*

Aber so nicht meine jungen Herren! Wenn ihr glaubt, ihr könnt da so umgehen mit dem alten Dackel *haa* da zeig ich Euch doch mal was ne Harke ist! Sich hängen lassen? Nu erst Recht nicht!

Und ob’s jetzt daran liegt, dass wir alle nur noch Durst haben und die nächsten Flüssigkeiten in den Autos liegen oder nach einem langen, harten Fototag immer noch so viel Elan, dass wir keine Zeit vergeuden und zum nächsten Fotopunkt kommen wollen, oder vielleicht doch daran, dass nun jeder von uns Drei, bei der Ehre gepackt, sich nicht die Blöße geben will zurückzubleiben, wir verfallen augenblicklich, kaum haben wir einen Fuß auf das Betonband gesetzt, dass den Ort durchzieht, in einen mörderischen Geschwindschritt!

Im Gleichtakt geht es schweigend entlang der Hauptstraße durch den Ort. Vorbei an den kleinen geduckten Häuschen, allerlei Getier und Einheimischen, die uns nach Art des Landes entweder grimmig, desinteressiert Mustern oder offen auf uns zeigen, um dann lachend mit dem Umstehenden unser Auftauchen zu kommentieren: „Hey kuckt mal, Langnasen! Was mögen wohl das für Vögel sein? Latschen hier schwer behängt in der Hitze des ausgehenden Tages durch unser Dorf! Was treibt denn die her?“ Gut, die Älteren unter Ihnen werden sich unser hier sein, durch die Erlebnisse in der Vergangenheit als hier die „Massen“ noch zu den schwarzen Göttern pilgerten, erklären können, verstehen warum wir hier sind, und all die Vorgänger vor uns, werden sie es aber immer noch nicht.

Schier endlos zieht sich das graue Band unter unseren Füßen, aber wir halten unser Tempo. Jetzt eindeutig getrieben von dem Bestreben, es so bald als möglich hinter uns bringen zu wollen. Endlich haben wir den Ortsausgang erreicht, tauchen ein in die Schatten der Straßenbäume, passieren DEN „Gubinator“ und können endlich in den grasbewachsenen Zufahrtweg zum Bahndamm abbiegen. Dorthin wo unsere Autos stehen. Pascal und Gunar haben unseren Marsch von oben her verfolgt und sich ihrerseits rechtzeitig zum Rendezvous an den Fahrzeugen aufgemacht.

Erstmal Türen auf *boah!* ein Backofen-Feeling Marke Umluftherd schlägt uns entgegen, dann Rucksäcke von den Schultern und nach Getränken gekramt! Deren Erfrischungswert liegt etwa in Regionen einen Wannenbades für Erwachsene, aber immerhin füllt die labbrige, warme Plörre die zwischenzeitlich verdampften Flüssigkeitsreserven wieder etwas auf.

Dann rumpeln wir, den kühlenden Fahrtwind bei offenen Fenstern genießend, auch schon wieder der letzten Stelle des Tages entgegen, dem Betriebsbahnhof von Hadashan. Ein Schnellzug steht noch auf dem Zettel, und der soll dort oben verarztet werden.

Mit Hilfe unserer Luftraumspäher erreichen wir die Stelle ganz bequem. Bis fast ganz nach oben an die Gleise kann man fahren. Der geschundene Körper dankt! Vorher ging’s, von der Schnellstraße her kommend, schaukelnd noch einen ausgewaschenen Feldweg nach oben. Hui, hoffentlich sind wir morgen, wenn ich fahre, wieder da. Den möchte ich mal mit Kawumm rauf und runter jagen.

Jetzt aber erst ein letztes Mal den Rucksack geschultert, Getränke und Restbestände von Knabberzeug und Süßkram gepackt, die Mägen machen sich zu fortgeschrittener Stunde nun doch schon durch knurren und kneifen bemerkbar, und am Einschnitt an der westlichen Ausfahrt platziert. Ruhig liegt es im milden Abendlicht da, das große, langgezogene S das hier den Anstieg bildet, herauf vom Talgrund bis in den Betriebsbahnhof. Zeit um inne zu halten und den Blick schweifen zu lassen, auf die in Gold getauchte Landschaft um uns herum. Jetzt, wo mal keine Dieselmonster sich brüllend gegen die Rampe werfen oder das Schlagen langer, talwärts strebender Wagenschlangen die Geräuschkulisse bilden. Das schon vertraute Brummen von Insekten, das Zwitschern von Vögeln und das Blöcken von Schafen macht das Idyll beinahe perfekt. Zeit mal Fazit zu ziehen. Es war der bisher beste Fototag auf dieser Tour. Nein, ich würde mich sogar soweit versteigen, dass es einer der besten auf allen bisherigen Fototouren war. Zu pathetisch? Mag gut sein! Bin nur gerade recht im *aaaaah* Modus! Liegt vielleicht auch an dem erlebten heute. Aber das was uns heute so geboten wurde, kann sich schon sehen lassen. Und ein bisschen was an Programm gibt es ja noch. So wie den Schnellzug, der gerade drüben am Hang hinterhalb von ErDi ins Seitental rollt, um wenig später, vorbei an der bekannten Ziegelei, wieder zurück zu kommen.






In einen leicht Goldenen Schimmer hat das Abendlicht die Landschaft getaucht, als DF4DK 3340 mit dem K895/898 Tongliao - Baotou talwärts fahrend den Betriebsbahnhof Hadashan passiert.






Und jetzt? Gehen oder bleiben? Schließlich ist es schon Viertel-Sieben durch – (Achtung: In nicht oberpfälzischen Regionen ist das Viertel nach Sechs und für alle Nerds „nach 18:15 Uhr“) - , der Tag war lang, die Sonne kratzt schon am Horizont und wir haben noch kein Hotel. Aber es ist doch noch soooo schön hier……

Der nächste Talfahrer der sich hinten am Hang zeigt, nimmt uns die Entscheidung ab. „Na den verarzten wir jetzt hier noch!“ Ich hab nur ein Problem. Meine Kamera streikt. Voll blöd! Gerade als der Schnellzug durch ist, ist es passiert. So viel ich auch gedrückt habe, nix! Also ist erst Panik, dann ein kleiner technischer Check, dann extrem erhöhter Blutdruck angesagt! Zeigt sich doch, dass ich Dödel einfach verpennt habe, dass mein Chip voll ist. Großer Schaden! Ganz großer!

Also runter zum Rucksack und wechseln. Hektik ist nicht angesagt. Wolken und Sonnenstand sind eine unheilige Allianz eingegangen, sodass die Durchfahrt des Talfahrers im Schatten abläuft. Könnte man machen, muss man aber nun jetzt auch nicht wirklich nach der Tagesausbeute. Als sich dann aber Licht zeigt hinter uns und Maschine und die ersten Wagen im Streiflicht erglühen, wird doch nochmal abgedrückt. Und das trotz der modernen Landschaftsverzierungen im Vordergrund.






Weit baucht sich die in einer Kurve liegende Simingyi Brücke in die Landschaft, auf der gerade DF8B 5923 einen Leerzug hinunter nach Xiakengzi bringt.







Jetzt aber wäre ein idealer Zeitpunkt um abzurücken. Wäre da nur nicht dieses Röhren, das sich jenseits der Talsenke erhebt, noch ehe der Güterzug von eben überhaupt Xiakengzi hat. Na den kann man jetzt auch noch erwarten. Denn vielleicht hat’s ja noch ein bisschen Sonne wenn er da …. . Hat’s tatsächlich, wenn es am Ende auch nur mehr ein ganz zarter Hauch ist! Gebannt schauen wir von unserem Hügel den beiden blauen Kraftpaketen zu wie sie in die Kurve unter uns gehen, ankämpfend gegen die Steigung, das Viadukt passieren, um dann kurzzeitig unseren Blicken zu entschwinden. Und natürlich machen wir auch noch ein Foto.






Ein Hauch von Licht liegt noch über der Szenerie, als DF8B 5919 und 5921 mit einem gemischten Güterzug die Rampe bei Hadashan herauf kommen. Gefühlt der richtige Abschluss für den heutigen Fototag.







So! Feierabend! Fröhlich schwatzend geht es hinunter zu den Autos, deren Inneres von der gesammelten Hitze des Tages immer noch zu glühen scheint. Alle Fenster auf und den Weg hinunter zur Schnellstraße gehoppelt.

Den Ellbogen lässig auf dem Fensterrahmen, das Resthaar flatternd im Fahrtwind, so geht es hinein nach Jingpeng. Jenem kleinen Städtchen der Glückseeligkeit vergangener Zeiten, dass wie alles in China in den letzten Jahren schier explodiert ist, sich dabei aber eine gewisse Provinzialität erhalten hat. Zwei Anläufe braucht es, dann haben wir das angepeilte Hotel erreicht. Ganz hinten, am Ende einer Straße liegt es, dort wo das Teerband abrupt vor dem abgegrabenen Hang endet.

Während der Quartiermeister zur Tat schreitet, bleibt der Rest der Truppe erstmal malerisch um die beiden Autos gruppiert vor der Tür und harrt der Dinge die da kommen. Lang dauert es, sehr lang, bis Vollzug gemeldet werden kann und wir zur Abgabe der Pässe gebeten werden. Irgendwie lässt das Ganze den Verdacht aufkommen, dass das Hotel offiziell gar keine Ausländer beherbergen darf. Aber nicht unser Problem. Geld wechselt den Besitzer, ja auch hier ist “nur Bares Wahres“, dann werden die Schlüssel überreicht und wir dürfen unser Gepäck in den 2. Stock wuchten. Aufzug Fehlanzeige. Kraft, jedenfalls soweit es mich betrifft, so langsam auch.

Das Zimmer geräumig, sauber, mit Blick auf den Ort, nicht auf den Hang wie bei den anderen. Tja, halt jedem wie er es verdient *grins* Mami, hier bleib ich, festgesaugt auf der bequemen Matratze, und steh nicht mehr auf. Doch das bleibt nur ein Traum. Wie Gewitterwolken sammeln sich die Reste der Reisegemeinschaft in der Tür, wollen Antwort auf die Frage „wann geht’s zum Essen? In 20 Minuten? Also ich könnte es schaffen!“. Kommod, kommod die jungen Herren. Zugegeben, mein Magen knurrt auch, aber Körper und Geist schreien mindestens ebenso laut nach Ruhe und Entspannung. Lasst Euch doch Zeit, wir sind schließlich im Urlaub und nicht auf der Flucht. Doch der ein oder andere sieht seine „Web-Zeit“ im Nachgang zum Abendessen dahinschwinden und drängt zum Aufbruch. Gut, ein halbes Stündchen oder etwas mehr, dann unten am Ausgang, o.k.? Zähneknirschender Kompromiss! Ich schicke Nil mal zum Wässern vor. Bleibt mir noch etwas mehr Zeit zum Relaxen. Dann muss auch ich mich unter die Dusche werfen und ausgehfein machen. Und ich wäre doch so gut gelegen.

Jetzt auch mit kurzen Hosen bewaffnet geht’s zu den anderen, die schon mit den Hufen scharren. Hinein in die Stadt, auf der Suche nach etwas essbaren. Mittlerweile hat es leicht abgekühlt, genau so weit, dass man gut draußen sitzen kann, das kühle Feierabend Bierchen aber immer noch eine dankbare Erfrischung ist.

Zuerst fallen wir aber mal in ein größeres Lokal ein, unten an der Einmündung zur Hauptstraße. Ein Blick durch den Eingang, sehr hübsch, deutet so auf „Mongolian Barbeque“ hin. Das hört sich doch gut an. Kaum drinnen werden wir, nach einem kurzen Augenblick des Erstaunens, sofort freudig und strahlend begrüßt, wird auf freie Plätze gedeutet, werden Speisekarten überreicht! *upps* Problem! Nix mit Bildern, wie wir es gewöhnt sind und es so praktisch ist. Auch keine Theke wie in Chengde, wo man in die Töpfe schauen kann und andeuten was man gerne so hätte. Nein, eine Speisekarte, wohl bedruckt in zwei Sprachen, aber eben nur Mongolisch, und für die, die dessen nicht mächtig sind, in Chinesisch! *puh* Das macht’s jetzt aber etwas unentspannt! Taktischer Rückzug ist angesagt.

Lächelnd, entschuldigend die Hände hebend und wechselweise auf die Karte zeigend, machen wir uns mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns wieder von dannen, begleitet von den etwas ratlosen Blicken der zurückgelassenen Bediensteten und anwesenden Gäste. Man scheint unser Problem nicht so wirklich zu verstehen. *hm* Draußen die Frage: „Und watt nu?“ Wir werden wohl überall auf ähnliche Probleme stoßen. Aber vielleicht findet sich ja doch noch irgendwo ein „Bilderlokal“ oder etwas in einer Theke auf das man deuten kann. Der Abend ist ja noch jung.

Drei Ecken weiter schlägt uns Musik entgegen. China Pop und Techno hämmern wechselseitig aus großen Lautsprechern. Offene Pavillions auf dem Gehweg laden zum Verweilen. Im Lokal im Hintergrund drehen sich lustige Spieße auf dem Grill, auf dem Tisch harren in Folie eingeschweißte Teller, Tassen und Gläschen auf ihre Verwendung. Hier sind wir richtig!

Klappt es mit dem Bier bestellen mittlerweile schon ganz gut, was uns kurzzeitig in Euphorie versetzt, holt uns der weitere Bestellvorgang wieder brutal auf den Boden der Tatsachen zurück. DIN A4 im Format, schwarze Schrift auf weißem Grund, mit kleinen, eng gedruckten mongolischen und chinesischen Zeichenfolgen gefüllt, so liegt sie da, die Speisekarte oder besser das Speiseblatt des Lokals. Und über allem steht drohend, hinter ihrem Notizblock verschanzt, die Bedienung, mit wachsender Ungeduld auf die Bestellung wartend! Wir sind überfordert!

Flucht ist diesmal keine Option. Erstens haben wir ja schon unser Bier, zweiten, irgendwann MÜSSEN wir was essen. Also die unter anderem in Korea bewährte „Fingertipp-Methode“ anwenden und dann fünfmal Beilage bekommen oder dreimal Würstchen ohne was dazu? Gut, zur Not würde es gehen, man würde satt, aber eigentlich haben wir uns zum Tagesabschluss auf etwas Leckeres gefreut! Doch wie sag ich’s meinem Kinde, sprich der Dame hinter ihrem Block?!? Gar nicht! Denn in der höchsten Not taucht SIE auf, vielleicht knappe eins siebzig groß, zierlich, mit großer dünnrandiger Brille, einem sympathischen, stillen Lächeln auf den Lippen und des Englischen mächtig! UNSER ENGEL des Abends! Wie aus dem Nichts steht sie auf einmal neben unserem Tisch und fragt, ob sie uns helfen könne? Oooh ja! Der Hunger ist groß und die Verwirrung ebenso!

Punkt für Punkt gehen wir die Karte durch, fleißig erklärt sie uns die Gerichte und übersetzt unsere Bestellungen für die Dame mit dem Block, die ihrerseits nun auch deutlich entspannter wirkt. Noch einige Sätze über unser Hiersein, unser überschwänglicher Dank für die Errettung vor dem Hungertod, dann ist sie auch schon wieder weg! Auch das ist China! Das junge, neugierige und hilfsbereite China! Das China, das sich darüber freut, wenn Ausländer das Land entdecken.

Und auch die Herren die sich nun an unseren Tisch gesellen gehören dazu. Gäste vom Tisch nebenan, mit denen man zwar mangels gemeinsamer Sprache keine erschöpfende Konversation führen kann, bei denen aber freundliche Gesten, ein herzliches Lachen und das klirrende Aneinanderstoßen von Bierflaschen durchaus zur Völkerverständigung reichen. Die Welt könnte, wie schon gesagt, so schön und unkompliziert sein!

Nachdem sich langsam unser Tisch mit Essen füllt und die obligatorischen Selfies gemacht wurden, ziehen auch sie dann wieder von dannen, und wir widmen uns endlich der Nahrungsaufnahme. Und was soll ich sagen, alles schmeckt einfach nur lecker!











Als alles aufgegessen ist, wir die Flaschen geleert und den Umsitzenden ausgiebig zugeprostet haben, machen wir uns, zum Abschied in die Runde winkend, müde aber zufrieden auf den Weg zurück ins Hotel. Dort angekommen gibt es nur noch eins, ab in die Falle. Warm wird die Nacht, aber das spielt keine Rolle. Der Schlaf wird nicht auf sich warten lassen. Gut so, denn morgen geht es in aller Frühe wieder raus! Sonne und die ersten Züge bei Licht locken!

Es war ein langer Tag, und ein langer Bericht, da kann man schon mit einem zufriedenen Lächeln die Augen schließen. Gute Nacht! Bis morgen!