Eines Tages in Japan - Frühjahrstour 2017 (3)
Von Neel Bechtiger
03.05.2017 Utsnomoya - FukushimaDie Vorhänge bleiben offen in meinem Zimmer. So konnte die Sonne schon früh zeuseln und ich startete voller Energie in den Tag. Jetlag? Achba, nix da!. Vor dem vereinbarten Zeitpunkt um 8 Uhr war ich aber dann doch nicht auf den Beinen. Der lange Tag gestern ... jaja und der Jetlag waren mir auch nach acht stunden Schlaf noch in den Knochen.
Um 8 Uhr traf ich vor dem Zimmer David. Frühstück? Nö, wird verschoben. Erst etwas Fotografieren. Also liefen wir mit etwas Hunger im Bauch entlang den Strassen durch Utsunomya zur „Stelle“ am nördlichen Bahnhofskopf. Die Strecke ist die Magistrale von Tokyo in den Norden Japans und verspricht daher etwas Verkehr. Die Shinkansen Linie wäre zwar auch da, aber etwa 10m weiter oben … ausser einem Stromabnehmer ist von den Zügen nichts zu sehen.
Utsunomya ist ja eigentlich keine kleine Stadt, aber die Wohnquartiere direkt hinter dem Bannhof (der geografisch eigentlich etwa in der Mitte liegt ;)) sind Süss. Kleine Häuser, kaum was los auf den Strassen. Und so waren wir auch beim Fotografieren kurz danach ungestört. Wir bauten uns an der Hauptbahn auf und warteten auf das was da kommen mag. Wir rechneten mal mit silbernen Klötzen - logisch. Und vielleicht sogar noch ein Güterzug oder ein spezieller Bullettrain auf Kapspur? Letzteres kam natürlich nicht. Silberne Region aber reichlich, und sogar je ein Güterzug pro Richtung tauchte auf. Und wir konnten beim Güterverkehr schon wieder eine Baureihe mehr in unserer Liste beglückwünschen :-). So „viel“ Güterzüge zu sehen hätten wir ja nie gedacht, galt Japan bei uns in den Köpfen als gemeinhin „praktisch Güterbefreit“ … so kann man sich Irren.




Wir liefen zum Hotel zurück, räumten da zusammen und gingen mit den Koffern im Schlepptau zur Autovermietung rüber. Die war just auf der anderen Gleisseite unserer tollen „Stelle“. Immerhin kannten wir nun den Weg. Und den Kilometer hin und zurück schadet der Fitness auch nicht ;).
Wir waren pünktlich um 10 Uhr da und übernahmen unseren kleinen Hybrid Toyota Aqua. Ein nettes kleines Auto, für dass was wir mit ihm vor haben völlig ausreichend und dank Hybrid nicht so ein Schluckspecht. Bei uns lief der Aqua übrigens als Prius III im Markt. Bewusst einen solchen gesehen habe ich in Europa bisher aber nicht. Was ich nicht so recht verstehen kann … eine Nummer kleiner als der Yaris, aber immer noch geräumig.
Ich wäre ja nach der Übernahme des Autos am liebsten gleich irgendwo an die Shinkansen Linie gefahren, man kennt mich ja :-). Aber meinem Wunsch haben die Japanischen Ingenieure etwas entgegen zu setzen. Als ich gestern Abend noch im Internet nach Möglichkeiten suchte an der NBS - in der Nähe - merkte ich schnell: Da ist nix zu wollen. Die Bahn ist konsequent aufgeständert. Was alleine nicht so ein Problem wäre, aber die Fahrbahn eingebettet in eine Betonwanne eingebettet machts etwas schwierig. Denn ausser dem obersten 1/3 des Fahrzeugs sieht man schlicht nichts. Brücke drüber um wenigstens in die Länge schiessen zu können? Fehlanzeige.
Das Projekt Shinkansen legte ich daher vorderhand mal auf Eis. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben! :-)
Stattdessen kümmerten wir uns gleich um etwas „richtiges“. Utusunomiya ist nahe an den Bergen welche Japan im Norden horizontal durchqueren, und da zumindest in die ersten Ausläufer wollten wir heute Nachmittag. Die Strecke von Nikko nach Aizu-Wakamatsu führt malerisch durch die „Berge“ und bietet sogar etwas Verkehr. Der Aizu Mountain Ltd. Express fährt drei mal über die Gesamtstrecke, teilweise gibt es auch noch Regionalverkehr.
Fahrpläne? Das Kursbuch kennt sie, aber wir und Japanisch .. muah ... also dann lieber Digital. Alles an Verkehr findet man über die Seite von „Hyperdia“ heraus. Was klingt wie ein Spanischer Supermarkt ist DIE Fahrplan-App für Japan. Mit Relationsfahrplänen, Abfahrtsfahrplänen von Stationen und Zugläufen ist alles sehr praktisch und übersichtlich. Ob wir unser Kursbuch überhaupt brauchen bei so schön aufbereiteten Informationen Online in Lateinischer Schrift? ;)
In die Berge wollten wir am Nachmittag, ich hatte am Vormittag noch eine Idee was wir uns anschauen könnten. Da aktuell ja noch so ziemlich alles speziell ist in Japan kann man einfach mal eine Strecke heraus picken und da hin stehen. Die Nikko Line sollte den Anfang machen. Über das Luftbild war eine Brücke nahe dem Bahnhof Tsuruta auszumachen die für ein Zugpaar reichen würde.
Wir fuhren also aus der Stadt hinaus und machten die ersten Erfahrungen mit dem Strassenverkehr: Passiv, ganz schön passiv fahren diese Japaner. Damit sind sie wohl etwas alleine auf dem Asiatischen Kontinent? ;) Was über den ganzen Tag nicht klar wurde war die Frage: Wie schnell darf man eigentlich fahren? Tafeln gibt es nur spärlich und aufgehoben sind Geschwindigkeiten nur in den seltensten Fällen. Und was gilt wenn doch mal etwas aufgehoben ist? Wir orientieren uns ans den Japanern. Was nicht gerade dabei hilft das die einen Japaner schon Innerorts mit 70km/h von Ampel zu Ampel rasen und andere über Land kaum auf 50km/h gondeln. Das Internet half dann als es darum ging heraus zu finden was denn erlaubt ist. Grundsätzlich gilt 60km/h überall, ausser auf Autobahnen 100km/h. Gilt etwas anderes (also weniger), wird es signalisiert. Man darf also auf der breiten und geraden Landstrasse 60 fahren, genau so wie auf einer kleinen Engen Strasse durch ein Ort (denn häufig ist nichts begrenzt). Das System soll jemand verstehen … . Was man aber schon sagen kann nach einem Tag. Im Strassenverkehr verlieren die Japaner zwar ihre guten Manieren nicht, aber so ganz Regelkonform ist man dann doch nicht immer unterwegs.
Wo war ich stehen geblieben? Ahja, bei der Brücke bei Tsuruta. Wir parkten am Brückenkopf und liefen hinauf. Die Sonne, die in der Früh noch prima strahlte, versteckte sich kurz vor dem Mittag erfolgreich hinter einer Siffwand. Das war etwas unschön, aber ganz als ganz aussichtslos wollten wir es dann doch nicht bezeichnen.
Was dann kam war je ein Regio pro Richtung. Wir hätten eigentlich ja wissen können was kommt - und ja wir wussten es auch - es waren silberne Wellblechdosen.

Spannender was die Fahrzeuge anbelangt wurde es dann beim nächsten Programmpunkt. Parallel zur Utsunomya Line verläuft ab Nikko die Tobu Nikko Line. Da gibt es Fernzüge in den Grossraum Tokyo … und das könnte dann ja durchaus etwas spannendes sein?!
Um da rüber zu kommen reichten 10min Fahrt, es ist alles sehr kleinräumig in dieser Gegend. Beim kleinen Bahnhof Kita-Kanuma erreichten wir die Strecke und gerade als wir geparkt hatten ging der kleine Bahnübergang an der Station runter. Woher kommt etwas? Die Frage stand nicht lange unbeantwortet im Raum. Denn kaum hatten sich die Schranken gesenkt kam ein Regio durchgerauscht. Diese BÜ Schliesszeiten sind mal nicht von schlechten Eltern.

Kaum waren wir drüber als die Schranken wieder oben waren gingen sie schon wieder runter und ein Expresszug nach Tokyo kam aus Nikko. Schneidige Kisten!

So ging es dann weiter, wir blieben etwas an den zwei Reisfeldern und fotografierten, mal in der Sonne, mal im Schlonz etwas den Verkehr.
Und dabei waren wir nicht alleine. Schon wieder stand da ein Japanischer Eisenbahnfotograf und er lief ungeduldig hin und her. Ob dann wohl etwas spezielles kommt? Als wir uns zu ihm rüber verschoben für die nächsten Lokalzüge traute er sich sogar uns anzusprechen. Er nahm dabei wohl all seinen Mut zusammen und bedanke sich mehrfach das wir mit ihm sprechen. Er ist aus Tokyo und mag Züge in Landschaft, deshalb ist er heute früh raus gefahren in die Berge. Etwas spezielles sollte aber nicht kommen, zumindest nichts was er wüsste. Aber da konnten wir ihn beruhigen, für uns war ALLES noch speziell zu dem Zeitpunkt. Denn was da kam, war wirklich spannend. Nebst den schnittigen Expresszügen auch noch eine zweite Baureihe die … sagen wir mal sehr speziell ausschaut.



Wir hatten nach einem letzten Lokalzug die Stelle soweit gesehen und wollten weiter aufmachen in Richtung Berge. Dabei folgten wir aber immer der Tobu Nikko Line die noch ein paar Kilometer nebst der Strasse verlief. Direkt vor Nikko (vor dem Bahnhof Shimo Imaichi) stellten wir uns an einem Reisfeld Bahnübergang erneut in die Halbsonne. Eile hatten wir keine und wir wollten nochmal die schnittigen Expresszüge sehen ;). Man hätte zwar Stress verbreiten können um in die Berge zu kommen. Aber als Ziel wollten wir einen Mountain Liner ansteuern der von Aizu Wakamatsu einläuft hier unten - irgendwann gegen 14 Uhr. So lange sassen wir am Bahnübergang im Reisfeld und nahmen gleich nochmal eine neue Baureihe mit.




Eigentlich war der Nachmittag „extrem langweilig“ nichtwahr? ;-). Die Zeit drängte und wir wechselten etwas in den Norden an die Aizu Line für den Ltd. Express und fanden auch sofort eine wirklich schöne Stelle nur wenige Kilometer hinter der Abzweiung. Dabei wurden wir vom Reisebauern der gerade sein Feld bestellte noch auf den „rechten Weg gebracht“. Um auf den Weg zu kommen den wir ansteuerten sollten wir aussen rum über eine kleine Brücke. Warum erstaunt es uns (schon wieder) nicht das die Menschen hier mit der Spezies der Eisbahnfotografen vertraut ist? Auf jeden Fall wurden wir bisher nie schräg angeschaut, nie fotografiert und nie gefragt was wir hier denn Bitteschön tun. Angenehm ... kennt man auch anders aus Asien.
In diesem Reisfeld kam dann die Sonne nochmal richtig raus, und es folgte eine Überraschung und eine Enttäuschung. Die ganzen schnittigen Expresszüge fahren auch in die Berge rein bis nach Kinugana-Onsen. Diese bescherte uns etwas mehr Verkehr als vermutet … und schnittigeren Verkehr. So gab es also den Goldjungen nochmal und sogar das komische rote Teil von vorhin kam nochmal als Leerfahrt zurück (zumindest hatten wir im Fahrplan überhaupt nichts passendes gefunden. Die erstmalige Freude über den Hyperdia Fahrplan verschwand etwas. Praktisch ist es zweifelsohne, aber bei ganz unterschiedlichen Linien und Haltekonzepten ist es schon schwer alles zu finden. Denn die Relationenfahrpläne sind so grausam unflexibel, da darf man keine Relation vergessen.
Die Enttäuschung war der Aizu Mountain Ltd. Express. Da hätten wir ja mit einem schnittigen Dieselzug gerechnet, stattdessen kam ein dreiteiliges Triebwagengespann, Design by Klotz und Backstein Ing., Natürlich nicht hässlich, aber irgendwie halt nicht so speziell. Das machte die ganze Linie auf einen Schlag etwas uninteressanter wenn wir ehrlich sind ;).




Das Licht wurde nicht besser und wir wollten unbedingt die Strecke noch anschauen heute, um zu wissen was man alles in den Aizu Mountains denn so schönes machen kann … halt trotz der Triebwagen Büchsen. Wir verschmähen ja schöne Strecken nicht nur weil die Fahrzeuge etwas klotzig sind. Oder haben wir das jemals getan? Hmmmmm …. nein.
Das „Problem“ mit der Übernachtung lösten wir auch gleich noch. Also wir schauten uns auf Booking mal um und wollten einfach etwas reservieren in der Gegend. Als wir uns entschlossen das jetzt zu tun wussten wir noch nicht, dass es zu einem „Problem“ werden würde. Wir hätten ja am liebsten in Aizu Wakamatsu übernachtet, aber da gab es irgendwie nichts mehr mit freien Zimmern. Utsonomya? Nichts frei …. ja Herrschaft! Und wenn man mal etwas fand war es zu Mondpreisen angepriesen. Wir wollen die Hotels nicht kaufen ... nur da übernachten. Da spielen uns diese Japanischen Feiertage einen Streich? Wir fanden im ganzen grossräumigen Umkreis lediglich in Fukushima noch ein Hotel mit zwei Einzelzimmern (Raucher) für einen annehmbaren Preis im tieferen dreistelligen Bereich. Das buchten wir einfach mal, und als wir so grob rechneten wir lange wir dahin brauchte grauste uns davor.
Nach einem kurzen Besuch am Bahnhof von Kinugana-Onsen (soviel Zeit muss sein) machten wir auf durch die Berge.


Wir notierten uns hier und da ein paar Stellen, aber so wirklich die absoluten „Knüller“ waren nicht dabei (unsere Ansprüche sind einfach etwas ungesund hoch glaube ich). Dafür sind die Wälder etwas zu dicht, dafür sind die Büsche an der Bahn etwas zu Zahlreich. Aber so für einen Tag würde man sich auf jeden Fall beschäftigen können ;-).
Den obersten drittel der Strecke sahen wir dabei aber nicht mal, denn die einbrechende Nacht und die Dunkelheit legten sich über die Aizu Mountains und so war einzig noch die Landschaft vor unseren Scheinwerfern hell genug ….
In Aizu Wakamatsu ging es auf die Autobahn nach Fukushima. Dies war dann nach 21 Uhr erreicht.
Es war ja eigentlich nicht weit … aber die Strasse war konsequent auf 70km/h begrenzt … die Japaner haben es allem Anschein nach einfach nicht eilig. Wobei das nicht für alle gilt, so ein paar Nasen mit 120km/h waren dann doch unterwegs. Natürlich wir nicht, neinei.
Das Hotel lag direkt am Bahnhof und nachdem wir den richtigen Parkplatz gefunden hatten konnten wir die verrauchten Zimmer okkupieren. Das verstehe ich einfach nicht so richtig. Raucherzimmer? En Masse .. ganze Etagen voll. Raucherlokale, alle … und das in einem Land in dem man niemand rauchen sieht auf den Strassen? Finde den Fehler ….
Wir liefen etwas in die Stadt hinein fürs Abendessen und fanden flott etwas in einem rauchtigen Untergeschoss. Dabei gings jetzt das erste mal freudig los mit Speisekartenlotto. Die Bilder halfen dann die richtige Wahl zu treffen. Nicht ganz so schlau wurden wir aus dem „Modernen“ Japan. An jedem Tisch ein Touchscreen über den man wohl bestellen könnte? Wir taten es auf dem üblichen Weg beim Personal. Achja ... wir haben die Currywurst NICHT probiert, Bilder können auch abschrecken :-D.
Der Abend ging schnell zu Ende, wir waren müde und hatten für morgen schon wieder ein Plan ausgeheckt. Der Aizu Mountain Ltd. hat in seiner Priorität leider etwas eingebüsst, so geben wir ihm noch einen Nachmittag und nicht einen ganzen Tag. Der dazu gehörige Vormittag investieren wir zu Gunsten eines Mini Shinkansen. Dem Yamagata Shinkansen. Dazu aber morgen mehr.
Achja, bevor ichs vergesse: Japan ist das Land der Vielfalt. Heute haben wir schon wieder 8 neue Baureihen fotografiert, dabei noch in verschiedenen Lackierungsvarianten. Spannend oder?!
Nun senden wir strahlende Grüsse aus Fukushima in die Welt ;).