Frühling im Baltikum - Teil 2
Von Christof Hofbauer
Tag 3: 01.05.2012 Kaunas – KaunasMal wieder zu kurz war die Nacht als mich das Handy aus meinen Träumen reißt. Und das am Feiertag, wo andere sich um diese Zeit dösig nochmal in den Kissen umdrehen. Heute ist nämlich „Tag der Arbeit“! Und da sind wir auch schon bei Pudels Kern, nämlich der Frage: „Fährt heute überhaupt etwas?“ Nil hatte sie gestern gestellt und seither geistert sie in unseren Köpfen herum.
Man wird sehen!
Jetzt erst mal unter die Dusche und dann ab zum Frühstück. Dort bei Brötchen und Tee wird der Ablauf für den heutigen Tag beschlossen. Erster Punkt: Standardstelle Güterumfahrung Kaunas über die Staumauer. Einfach ein Muss wenn man hier in der Ecke ist. Zweiter Programmpunkt: Schaun mer mal! ……… Welch ausgefeilter Plan!
Zuerst geht’s aber zum Bahnhof. Rundumguck ist angesagt, inkl. Fahrplan fotografieren und Infos sammeln. Ein Triebwagendoppel entzieht sich unserem Versuch es von der Brücke aus zu fotografieren, in dem es zu früh Richtung Bahnsteig rollt, und eine rangierende Tamara hält sich lieber im Bergschatten auf, als ihre Reize im Licht zu präsentieren. Also, nichts wie raus zur Güterumfahrung.
Am Stausee angekommen wird unsere Geduld nicht lange auf die Probe gestellt. Schon nach kurzer Zeit rollt eine leerfahrende Doppel-Trommel an uns vorbei in Richtung Osten.
Start in den Fototag. 2M62M-0670 rollt leer über die Staumauer bei Kaunas.
Ein Blick in den Bildfahrplan zeigt, dass eigentlich demnächst ein Güterzug von Kaliningrad ansteht. Während Pascal sich auf den Weg zur Damm-Mitte macht, kraucht Nil auf dem Hang hinter uns herum, in der Hoffnung eine andere Perspektive zu finden. Zurück gekommen meint er nur, dass sich wohl E-Werk, O-Bus-Gesellschaft und Straßenbauamt verschworen hätten, denn irgendwie wären immer Lampen, Leitungen oder Bäume im Weg. Den Rest der Wartezeit bis zum anstehenden Güterzug vertreiben wir uns mit Naturbeobachtungen. Eine Riesenraupe und eine überdimensionale Wespe, letztere allerdings bereits dahingeschieden, fesseln unsere Aufmerksamkeit.
Fast nach Plan rollt Güterzug 2316, gezogen von 2M62-1198M, von Westen her heran.
So, die zweite Aufnahme von dieser Stelle ist im Kasten. Jetzt wollen wir auch etwas das Motiv wechseln. Zur Eile gibt es dabei keinen Grund, denn auf der Schiene rollt gar nichts. Langsam machen wir uns Sorgen, dass das mit der Feiertagsruhe doch keine irrige Annahme war.
Was hilfts, also Bücher gezückt ins Gras gesetzt und abwechselnd lesen oder die Landschaft genießen. So gemütlich kann Eisenbahn fotografieren sein. Doch während wir der Ruhe frönen, wandert der Planet über uns unbeirrt weiter. Heißt, das Licht ist rum. Abmarsch! Auch Pascal smst von der anderen Seeseite, dass er sich jetzt verschiebt und dabei das Auto gleich mitnimmt, um uns dann unterwegs einzusammeln. Prima! Genau in dem Moment rollt der nächste Güterzug auf den Damm. Zu spät für Pascal und fast zu spät für den Sonnenstand.
Endlich wieder eine Zugfahrt. 2M62U-0383M kommt mit Zug 2318 über den Damm gerollt.
Etwas verschattet an der Nase, aber sonst ganz o.k. So können wir uns jetzt auch auf machen um zu Pascal zu gehen, der mittlerweile unser feuerrotes Spielmobil auf dem Damm am Straßenrand geparkt hat. Uns gefällt der Standort, der vorbeikommenden Polizeistreife nicht. Unser Tun interessiert sie wenig, aber sie weisen uns höflich darauf hin, dass parken hier nicht erlaubt sei. Oh, sorry! Haben wir ganz übersehen. Also großräumig umfahren das Ganze. Schließlich kommen wir auf verschlungenen Wegen, die wir ohne Navi wohl nie gefunden hätten, bis fast direkt an den nächsten Standort.
Diesmal von der anderen Dammseite. Güterzug in Richtung Kaliningrad mit 2M62-1199M an der Spitze.
Wir hatten uns einen Zeitpunkt gesetzt bis zu dem wir abrücken wollten. Ziel war es den Zug 80 Kaliningrad – St. Petersburg zu erwischen, der am Damm aufgrund des Sonnenstands nicht geht, der aber weiter in Richtung Kaunas machbar sein müsste. Außerdem sollte dort an der E-Strecke, wo zum Transitverkehr noch der Regionalverkehr und Züge von/nach Klaipeda kommen, mehr los sein. Zwischendrin gabs noch schnell einen Döner in die Hand. Was für ein riesen Ding. Hat zwar ewig gedauert, aber war dafür lecker. Eins steht fest, dank einer Vielzahl von Imbissbuden und einer unwahrscheinlichen Dichte an Läden und Lebensmittelmärkten ist eine Spontanversorgung unterwegs ohne größeren Zeitverlust überhaupt kein Problem.
Erster Versuch uns zu stellen war in Kaisiadorys, dort wo die Strecke nach Klaipeda abzweigt. Aber Bewuchs und Sonnenstand machten Fotos unmöglich. Also weiter. In Zaslu gelez st. sah es dann etwas besser aus. Zwar nicht optimal, doch aufgrund der Streckenführung und der anstehenden Durchfahrt des Schnellzugs hatten wir keine große Wahl mehr. Sprich, einfach das Beste draus machen. Auf alle Fälle herrschte hier Verkehr. Kaum angekommen, schlug auch schon der Bahnübergang an. Schon der Schnellzug? Nein, eine ER20 kam die lange Gerade herunter gerollt.
ER20 031 erreicht mit einem Güterzug aus Klaipeda den kleinen Bahnhof von Zaslu.
Schönes Teil! Etwas größer als die Eurorunner die so täglich durch Weiden brummen. Einige dieser Maschinen hatte ich bei der Auslieferung in Allach kurz aus der S-Bahn gesehen. Schon damals war ich beeindruckt gewesen.
Kaum ist der Güterzug ins Ausweichgleis geschlichen, gehen die Schranken am Bahnübergang erneut zu und am Ende der Geraden taucht der erwartete Schnellzug von Kaliningrad her kommend auf.
Schnellzug 80 „Kaliningrad – St. Petersburg“ eilt mit TEP70 0346 an der Spitze in Richtung Osten.
Auch eine eindrucksvolle Maschine, diese TEP70. Aber meine Gedanken gehen weiter. Wird die Bespannung in Vilnius auf eine weißrussische TEP60 wechseln? *seufz* Die Antwort auf diese Frage wird sich wohl erst am Ende der Woche finden lassen. Jetzt heißt es erst mal Chance nutzen und noch ein Porträt von der wartenden ER20 machen.
Wenn die Maschinen in 40 Jahren auf Abstellgleis geschoben werden, hat dieses Bild Symbolkraft. ER20 031 wartet im Bahnhof von Zaslu auf die Überholung durch den Schnellzug.
Hier geht ja richtig was! Leider ist der östliche Bahnhofskopf zugewachsen und die Straße geht auch weg von der Bahn. Also zurück zum Bahnübergang, wo es schon wieder rot blinkt und sich die nächste Zugfahrt ankündigt.
2M62-1161M schleppt einen langen Güterzug über die litauische Magistrale.
Während wir im Bildfahrplan nach den nächsten Personenzugleistungen schauen und uns entschließen an die Klaipedastrecke zu wechseln, rollt schon wieder ein Güterzug heran.
Für das letzte Bild in Zaslu gelez st. stellt sich 2M62-0676M zur Verfügung.
So, nun reichts hier aber. Das Licht ist nicht optimal, Diesel unter Masten nicht so prickelnd und außerdem haben wir rausgefieselt, dass bald ein Schnellzug aus Klaipeda herunter kommt. Für den wollen wir uns etwas oberhalb von Kaisiadorys etwas suchen.
Angepeilt haben wir einen Übergang nach dem Bahnhof. Dort sollte lichttechnisch etwas gehen. Während wir noch in aller Ruhe parken und aus dem Auto klettern, beginnt der Bahnübergang zu läuten und zu blinken. Ja Mist, was soll das? Tatsächlich, der Schnellzug! Also ab im Laufschritt in die Wiese. Hingestellt, gekuckt und schon geht’s weiter nach hinten im Geschwindschritt. Hatten wir bis dato immer Bilder von 3-4 Wagenzügen gesehen, wird das Ding das da kommt immer länger und passt nicht mehr in den Bildausschnitt. Endlich müsste es reichen, also umgedreht, angemessen……meno, jetzt sind elends viele Masten im Bild…….also die Kamera etwas schwenken und……und damit den Zug abschneiden *grrr* !
Flott kommt TEP70 0347 mit einem langen Schnellzug das Gefälle vor Kaisiadorys herunter.
Super! Der erste Murks der Tour. So ein Mist! Aber nun auch nicht mehr zu ändern. Ist ja hoffentlich nicht der letzte Schnellzug den wir sehen.
So, was nun? Eigentlich könnten wir etwas hierbleiben, denn es sollte etwas laufen hier auf der Strecke und die Stelle sieht ganz gut aus. Gemütlich setzten wir uns auf der anderen Seite der Straße auf dem Rand eines kleinen Einschnitts und warten was passiert. Und es passiert einiges. Zuerst meldet sich der Bahnübergang wieder…..aha, sicher ein Güterzug nach Klaipeda……dann geht das Einfahrtssignal von Kaisiadorys auf grün……was soll denn das, jetzt stehen wir ja total falsch……und schon sprinten drei los! Hinter uns ist nämlich der Einschnitt im Schatten, sprich, für einen Zug aus Klaipeda müssen wir gut 400 m weiter vor um ihn im Licht zu bekommen. Also ab durchs Gelände. Gut dass wir drei die laufen konditionell so fit sind wie antike Statuen in Rom! Und ausgerechnet unser Dauerläufer Pascal hat sich entschieden stoisch ruhig seine Position zu halten. Vielleicht die einzig richtige Entscheidung, denn nun hupt es plötzlich aus Richtung Kaisiadorys! Ja wie nun? Kommt doch ein Zug von unten? Warum aber dann das grüne Einfahrtssignal? Egal, keine Zeit zum Nachdenken, nur zum Rennen und Atmen! Denn nun müssen wir noch weiter raus, denn nun kommt der Zug Richtung Hafen durch den dunklen Einschnitt. Während ich versuche meine Lungenflügel nach jedem hechelnden Atemzug wieder hinunter zu schlucken fällt mir der Ausspruch von Gimli aus Herr der Ringe ein: „Der Trick ist einfach immer nur weiteratmen!“.
Geschafft! Mit einem Puls nahe an der Drehzahl einer Hubschrauberturbine und einem Atemstatus kurz vor dem Sauerstoffzelt geht’s in Position. Zoom auf, etwas quer schießen und die bergwärts fahrende ER20 ist im Kasten.
ER20 023 schleppt einen langen Güterzug die Steigung bei Kaisiadorys herauf.
So, das wäre geschafft. Nun heißt es umdrehen und für den entgegen kommenden Güterzug aufstellen. Es dauert nicht lange und dieser macht sich durch mächtiges Rollen bemerkbar. Zu meiner Freude ist zur Abwechslung mal eine Doppel-Trommel vorgespannt.
Die grüne 2M62M-1164 rollt mit einem Güterzug von der Ostsee kommend in Richtung Vilnius.
Na da hat sich doch der Einsatz gelohnt. Eins weiß ich aber nach diesem Mittelstrecken-Sprint gewiss: Ich muss zukünftig wieder mehr für meine Kondition tun! Vorne beim Bahnübergang heißt es erst mal Wasser nachfüllen und dann gemütlich ins Gras setzen. Aber lange ist uns keine Pause gegönnt. Es kündigt sich der nächste Zug von unten her an.
Schlag auf Schlag geht es an dieser Strecke. Nur wenig nach den beiden anderen Zugfahrten nähert sich wieder ein Güterzug unserem Standort. Zuglok ist diesmal die ER20 017.
Schön hier, nur leider passt das Licht nicht mehr recht. Es gehen zwar beide Richtungen, aber immer nur mit Frontschatten. Also, wieder in die Unterlagen geschaut und siehe da, auf der E-Strecke stehen gleich einige Regionalleistungen an. Vorher hat die Meute aber noch „an Durscht“. Also in Kaisiadorys den nächsten Krämerladen gestürmt und dort für Verwunderung und Erheiterung gesorgt. Bewaffnet mit Getränken, Chips und Süßkram, also alles was ein Eisenbahnfotograf zum Überleben halt so braucht, entern wir wieder unser Auto. Nil hat sogar das erste Reisesouvenir aufgetrieben: Eine Riesendose Bier!
Einmal entlang dem Bahnhof geschaut, bleibt als Fotopunkt nur die östliche Einfahrt übrig. Hier malerisch verteilt machen wir unsere Bilder von der litauischen Ausgabe des City-Elefanten.
Als Regionalzug aus Vilnius kommt „City-Elefant“ EJ575 001 in den Bahnhof von Kaisiadorys gerollt.
Hm, in Tschechien hab ich noch keinen gesehen, geschweige denn fotografiert. Dazu musste ich also erst nach Litauen fahren!
Da uns für den folgenden Personenzug in die Gegenrichtung nichts schlaues einfällt, geht’s auf die Fußgängerbrücke bei den Bahnsteigen. Optimal ist es dort wegen der Leitungen nicht, aber ein bisschen was geht.
ER9M-309 bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof von Kaisiadorys.
Jetzt noch der Gegenzug, dann wieder ab an die Dieselstrecke und für den Schnellzug aus Vilnius gestellt.
Auf seinem Weg nach Kaunas verlässt ER9M-389 gerade den Bahnhof von Vilnius.
Diesmal fahren wir am Bahnübergang von eben vorbei. Das Licht ist hier immer noch nicht so richtig gut. Weiter oben dreht die Strecke und da sollte es besser gehen. Nil erspäht einen kleinen Damm auf dem er den Zug quer schießen will. Mir ist es zu weit weg und außerdem sehe ich ein Problem darin, den Schnellzug ganz in den offenen Abschnitt zu bekommen, sollte er wieder so lange sein wie der in der Gegenrichtung. Daher mache ich mich mit Philipp auf zum weiter oben gelegenen Bahnübergang. Und Pascal, zu guter Letzt, möchte wieder ein Stück zurück zu der Stelle, wo wir vor 2 Stunden waren. So verteilen wir uns in die litauische Landschaft und jeder findet sein Plätzchen.
Eine „alte“ Bekannte! TEP70 0346, die wir heute schon mit dem Zug 80 nach St. Petersburg fotografiert haben, führt nun den Schnellzug nach Klaipeda. Bei Miezouys passiert sie einen Bahnübergang und legt sich elegant in die Kurve.
Während Philipp und ich es uns gemütlich machen, trudeln langsam auch Nil und Pascal wieder ein. Zugbetrieb ist auch, leider nur von hinten und damit schlecht im Licht.
ER20 018 rollt mit einem Zug Kühlcontainer an uns vorbei in Richtung Hauptstadt.
Besonders interessant an der Garnitur war die Tatsache, dass der komplette Zug zwar aus normalen Tragwagen mit aufgesetzten Kühlcontainern bestand, in der Zugmitte aber ein traditioneller Maschinenwagen aus den früher so typischen russischen Kühlzügen mitlief. Mittels lose verlegter Kabel versorgt er die Kühlcontainer auf den Wagen mit Strom.
Nachdem uns noch ein ER20-Pärchen aus Richtung Klaipeda passiert hatte und das Licht daran ging sich zu verabschieden, beschlossen auch wir uns in Richtung Hotel auf zu machen. Doch einen Schuss sollte es noch geben. Wir wollten gerade losfahren, da kündigte sich durch Rollen und Röhren ein weiterer Zug an. „Zeit für Kunst“ beschloss Nil und so stellten wir uns nochmal auf. Voila, das Ergebnis!
Im letzten Abendlicht ist ER20 015 mit ihrem Güterzug unterwegs.
Diesmal hatten wir uns vorgenommen mal die Innenstadt von Kaunas unsicher zu machen. Allerdings hatte es empfindlich abgekühlt sobald die Sonne weg war. So wurde es ein mit beschwingtem Schritt durchgeführter Kurztripp durch die Fußgängerzone, bis wir uns in ein Steakrestaurant geflüchtet hatten. Das daneben liegende französische Lokal, mit Froschschenkel auf der Speisekarte hatten wir dann doch gemieden. Gesättigt durch ordentliche Portionen zu zivilen Preisen verfrachteten wir unsere Luxuskörper noch in eine Bar, wo es die wohlverdienten Absacker und das Tagesresümee gab. Fazit: Der Tag hatte sich rentiert, Steigerungspotential ist aber noch gegeben. Morgen geht’s erst nochmal für den Vormittagsschellzug an die Klaipeda-Strecke. Irgendwo bei Jonava wollen wir uns aufstellen, am besten an der großen Brücke. Danach heißt es Abmarsch nach Lettland. Dort wollen wir für drei Tage die Gegend rund um Daugavpils und Krustpils unsicher machen.